1 Religion und Gesundheit als Thema der Theologie und der Religionspsychologie

Religiöser Glaube hofft auf Heil. Die christliche Heilserwartung verspricht umfassendes Heil trotz und über das Leiden und den Tod hinaus. Die christliche Glaubenstradition hat sich deshalb mit dem Vorwurf der Körperfeindlichkeit, übertriebener Leidensmystik, der Deutung von Krankheit als Strafe Gotte und der Heilshoffnung als zu Passivität führender Vertröstungsstrategie auseinandersetzen müssen. Die Bibel selbst betrachtet Leib und Gesundheit als Gaben Gottes, während Krankheiten häufig als Metaphern für eine zutiefst unheilvolle Situation verwendet werden. Wunderheilungen hingegen werden interpretiert als Zeichen großen Glaubens (Eibach, 2011).

Die kirchliche Seelsorge zielt heute nicht mehr nur auf außerweltliches Seelenheil, sondern auf das konkrete psychische und leibliche Wohlergehen der Menschen. Im Hinblick auf die grundlegende Frage nach dem, was gelingendes Leben bedeutet, gibt es eine beachtliche Schnittmenge zwischen der weltlichen Psychotherapie und der kirchlichen Diakonie (Utsch, 2002, S. 13). Trotzdem sind der psychotherapeutische und der pastorale Zugang nicht deckungsgleich. Weltanschauliche und religiöse Neutralität gehören zu den methodischen Grundsätzen der Psychotherapie, während sich der kirchlich beauftragte Gesprächspartner religiös positionieren darf und muss. Dabei gelten auch für letzteren professionelle Standards: gerade aufgrund der religiösen Haltung muss er seiner eigenen Position kritisch bewusst sein und imstande sein, mit Differenzen konstruktiv umzugehen. (Utsch, 2002, S. 60). Trotz der unterschiedlichen Herangehensweisen wächst in der Psychotherapie immer stärker das Bewusstsein, dass religiöse Elemente, womöglich aus Furcht vor Verletzung der Neutralität, bei manchen Menschen im Interesse eines Heilungsprozesses nicht ausgeklammert werden dürfen (Klosinski 1994, S. 17; Utsch, 2004; Utsch, Bonelli & Pfeifer, 2014).

Die Religionspsychologie hat sich von ihren Anfängen an für die schädlichen bzw. gesundheitsförderlichen Effekte von Religiosität beschäftigt, besonders im Hinblick auf psychische Erkrankungen. Im folgenden Beitrag geht es um die Frage, inwiefern die Erkenntnisse der Religionspsychologie im Hinblick auf den Zusammenhang von Religion und Gesundheit für religiöse Sozialisations- und Bildungsprozesse von Bedeutung sind. Die Religionspsychologie selbst beansprucht die wertfreie Darstellung des Einflusses von Religion auf Gesundheit. Trotzdem droht die Frage nach Religion und Gesundheit schnell apologetisch zu werden: indem von säkularer Seite Religion und Glaube als die Entwicklung des Menschen behindernd, als unfrei, als krankmachend behauptet werden, oder von religiöser das religiöse Heil als das dem innerweltlichen erreichbaren als weit überlegen dargestellt wird.

Zunächst werden die Positionen dargestellt, welche die negativen Seiten von Religiosität hervorheben. Diese Kritik kommt seit Mitte des 20. Jahrhunderts vor allem von Theologen. Schädliche Gottesbilder werden benannt und dienen dazu, Fehlentwicklungen der eigenen Religion zu kritisieren. Bei näherer Analyse exemplarischer Fälle zeigt sich jedoch, dass die Wirkung des Gottesbildes nur kontextuell im psychosozialen Umfeld erklärt werden kann, insbesondere im Zusammenhang mit der familiären Sozialisation. Eine neue Perspektive auf das Thema bietet der integrative Gesundheitsbegriff, der die Ausschließlichkeit von Gesundheit und Krankheit überwindet und auf die Ressourcen der Lebensbewältigung fokussiert. In diesem Konzept kann die Rolle von Religion neu bedacht werden. Ein Blick auf die Studien zeigt, dass Religiöses sich positiv wie negativ auswirken kann. Diese Ambivalenz des Religiösen, welche nicht nur mögliche Wirkungen betrifft, sondern schon der religiösen Tradition selbst inhärent ist, darf nicht verschwiegen werden, sondern muss in religiösen Sozialisations- und Bildungsprozessen produktiv aufgenommen  werden.

2 Negative Effekte von Religiosität und Spiritualität

Negative Auswirkungen von Religion und Religiosität auf den Menschen sind spätestens seit der Religionskritik des 19. Jahrhunderts ein Thema. Für Freud, den Begründer der Psychoanalyse, ist Religion schädlich, weil sie die Autonomie und den Vernunftgebrauch des Menschen verhindert. Zum einen ist die Gottesvorstellung dem ambivalenten Vaterbild, welches durch Schutzversprechen und Angst geprägt ist, nachgeformt, zum anderen ist die Religion selbst eine Illusion, ein Märchen, das den Menschen in abhängiger Kindlichkeit hält (Freud, 1948, S. 346) Obwohl die psychoanalytische Tradition sich nicht durchgängig durch Religionsfeindlichkeit auszeichnet, wird diese extrem negative Bewertung von Religion nach wie vor vertreten. „Die elegante therapeutische Lösung für emotionale Probleme liegt darin, völlig areligiös zu sein.“ sagt A. Ellis, der Begründer, Begründer der rational-emotiven Therapie (Grom, 1992, S. 114).

Die Kritik an der Schädlichkeit von Religion, näherhin des christlichen Glaubens, findet sich auch bei Theologen oder bei der Kirche nahestehenden Autoren. Bereits 1955 verwendet der Mediziner Eberhard Schaetzing den in der Folge viel zitierten Begriff "Ekklesiogene Neurosen“ zur Bezeichnung der schädlichen Effekte einer prüden, triebfeindlichen und bigotten religiösen Erziehung auf die menschliche Sexualität. Schaetzing lehnt den christlichen Glauben nicht radikal ab, sondern macht das fundamentalistische Verständnis der Bibel, die von ihm so bezeichnete infantile Dogmatik und vor allem die restriktive, lustfeindliche Sexualmoral für die negativen Auswirkungen des Glaubens verantwortlich. Eine religiöse Erziehung, die auf Entwicklung eines persönlichen Gewissens, auf Mündigkeit und Eigenverantwortung abzielt, sieht er als Notwendigkeit an. Dabei ist seine moralische Haltung insgesamt zeittypisch und kirchenkonform; Homosexualität lehnt er ab. Letztere sei ein Ergebnis falscher religiöser Haltungen: namentlich „in gewissen pietistischen Kreisen [würde] sowohl die männliche wie die weibliche Homosexualität direkt gezüchtet (…).“ (Schaetzing, 1955, S. 99) Ebenso fördere die kirchliche Lustfeindlichkeit die eheliche Untreue. Schaetzings theologisches Urteil überschreitet die Grenzen einer unparteiischen medizinischen Sicht auf Religion.

Seine Argumentationslinie wird später von psychologisch ausgebildeten Theologen wie Zellner (1995) und Frielingsdorf (1997; 2004) aufgenommen, die ihr Augenmerk auf schädliche Gottesbilder legen. Für Frielingsdorf sind sie der Schlüssel zum Verständnis des krankmachenden Potentials des Glaubens. Er nennt zwei Ausprägungen des schädlichen Gottesbildes: der Lückenbüßergott und der Angst machende Gott.

Mit dem Lückenbüßergott ist eine Projektion in Feuerbach’scher Manier gemeint, ein Wunschgott, auf den positive Attribute und unerfüllte Sehnsüchte nach Nähe, Geborgenheit, Schutz, Sicherheit, Liebe usw. projiziert werden. Bei Kindern und Erwachsenen, welchen die Erfüllung dieser Bedürfnisse verwehrt bleibt, führt der Glaube zu einer Aufspaltung in eine gute Welt bei Gott und eine böse bei den Menschen. Gott ist hier der große Kompensator. Grom berichtet von einer 14-jährige Schülerin, die unter der Lieblosigkeit von Mutter und Pflegevater leidet:

„Mein Gebet geht immer zuerst zu Gott Vater. Er ist mein eigentlicher Vater (…). Wenn mein Pflegevater ungerecht mit mir schimpft, bete ich zu ihm. (…) [Die Eltern sagen zu mir]: Du gehörst ja nicht zu uns, du musst in ein Heim (…). Ich hoffe, dass ich ein braves Kind meines Gott-Vaters werden kann.“ (Grom 1994, S. 184).

Dieses Gottesbild wird dann problematisch, wenn es verhindert, dass der betroffene Mensch sich aktiv mit dem Verlust des Vaters, der Lieblosigkeit der Mutter oder anderer Kränkungserfahrungen auseinandersetzt und es versäumt, eigene Ressourcen zu entwickeln.

In die Kategorie des Lückenbüßergottes gehört auch die stellvertretende Auseinandersetzung mit Gott, die dann eintreten kann, wenn die Abhängigkeit von den Eltern die Konfrontation mit negativen Gefühlen ihnen gegenüber erschwert oder verhindert.  Das ist besonders dann der Fall, wenn die Eltern sich schwach oder als Opfer darstellen oder  auf die Hilfe der Kinder angewiesen sind. Der nicht aus getragene Konflikt mit den Eltern kann sich als Glaubensauseinandersetzung zeigen und führt zu Konsequenzen, die Religion bzw. Kirche betreffen, das Verhältnis zu den Eltern aber unberührt lassen, z.B. zum Austritt aus der Kirche (Frielingsdorf, 1997, S. 44-45).

Der zweite Typ des schädlichen Gottesbildes ist der Angst machende, strafende Gott. Er verlangt Gehorsam und Unterwerfung. Der Lohn für den Glauben liegt im Versprechen, von einer absoluten Macht beschützt zu werden (Frielingsdorf, 1997, S. 62). Diese Gottesvorstellung ist verknüpft mit einem defizitären Menschenbild, in dem der Mensch, so sehr er sich auch anstrengt, immer minderwertig bleibt. Es ist eine widersprüchliche Gottesvorstellung, die den Menschen gefangen hält. Zellner bezeichnet in seinem autobiografisch und therapeutisch angelegten und in einem dramatischen Sprachduktus gehaltenen Buch Gottestherapie (Zellner, 1994, S.64) diesen Sachverhalt als «Schizophenie“ und «Gottes-Kuddelmuddel“. Der angstmachende Gott wird bei ihm als «Patriarchen-Gott“ beschrieben (Zellner, 1994, S. 64). Für Zellner liegt die Lösung dieses Problems auf der Hand: es ist der Gott Jesu. Seine therapeutische Intervention besteht in einer Reihe von Bibelarbeiten.  Auch Frielingsdorf stellt den krank machenden die heilenden Gottesbilder im Rahmen von religiösen Übungen im ignatianischen Sinne gegenüber (Frielingsdorf, 2004).

Neuerdings nimmt Bucher die Kritik an negativen Gottesbildern wieder auf (Bucher, 2017).  Er unterscheidet nicht die Gottesvorstellungen, sondern beurteilt sie von den negativen Wirkungen her. Diese sind:

  1. Erzeugung von Angst

  2. Bewirken von maladaptiven, d.h. unbegründeten Schuldgefühlen

  3. Begünstigung von Skrupulosität und zwanghaftem Verhalten

  4. Minderung des Selbstwertgefühls

  5.  Förderung feindseliger Haltungen

  6. Behinderung bei der Bewältigung von Krisen (Bucher, 2017, S. 24)

Alle diese Wirkungen hängen zusammen und ergeben in der Summe ein problematisches Bild. Dabei sind Angst und Schuldgefühl durchaus zweideutig. Angst hat bekanntermassen eine notwendige Schutzfunktion für den Menschen (Bucher, 2017, 14). Schuldgefühl kann zur Reflexion der eigenen Verantwortung führen oder schädlich werden, wenn sie zu einer permanenten Befindlichkeit wird, für das es keinen Grund gibt (Bucher, 2017, 29). Theologische Topoi wie die Erbsünde oder das menschliche Verschulden des Kreuzestodes Jesu tragen dazu bei, maladaptives Schuldbewusstsein in die Menschen einzubrennen.

Mit den ersten beiden Wirkungen hängt auch das zwanghafte Verhalten zusammen. Es tritt dann auf, wenn die Religion Regeln vorgibt, deren strikte Einhaltung von den Gläubigen gefordert wird. (Bucher, 2017, S. 30; Klein & Albani 2011, S. 221). Das Bemühen, sich vor unangenehmen Konsequenzen zu schützen oder einen Status der Reinheit bzw. Sündlosigkeit zu erreichen, bei gleichzeitiger Unsicherheit darüber, was genau verlangt ist und wie Gott reagieren wird, begünstigt zwanghaftes Verhalten. (Bucher, 2017, S. 31) Das defizitäre, negative Menschenbild, dass sowohl gewissen Gottesbildern wie der Forderung nach der strikten religiöser Vorschriften zugrunde liegt, kann in Verbindung mit entsprechenden Ritualen oder Gebeten den Selbstwert mindern oder sogar  eine Depression auslösen. Alle Faktoren zusammen führen dazu, dass der Glaube den Menschen daran hindert, Krisen zu bewältigen und ein erfülltes Leben zu führen (Bucher, 2017, S. 31).

Doch was ist Ursache und Wirkung? Bereits Grom konstatiert, die gesundheitsschädlichen Auswirkungen eines religiös begründeten belastenden Schuldgefühls seien empirisch nicht belegt. Vielmehr scheinen religiöse Gruppen, in denen ein hohes Mass emotionaler Abhängigkeit und autoritäre Strukturen herrschen, für Menschen mit emotionalen Problemen attraktiv zu sein (Grom, 2004, S. 193). Die Kombination von bereits vorhandener individueller Disposition mit einer ungünstigen Gruppenstruktur und ihren religiösen Vorstellungen kann also in eine negative Spirale führen. Man muss von der Reziprozität von Religiositätsvariablen und individuellen Faktoren ausgehen. So kann eine gewissensängstliche Religiosität Zwangsstörungen fördern; umgekehrt können bereits vorhandene Zwangsstörungen für gewissensängstliche Religiosität empfänglich machen. Genau so zeigt sich die Wechselwirkung zwischen angstbesetzten Gottesvorstellungen und geringem Selbstwertgefühl sowie zwischen Schuldgefühlen gegenüber Gott und nicht-klinischer Depressivität. Eine klinisch relevante Depression wiederum kann religiöses Coping, d.h. die Fähigkeit, religiöse Ressourcen für die Bewältigung einer Krise zu nutzen, beeinträchtigen (Grom, 2004, S. 205).

3 Gottesbild und Erziehung

Eine ungünstige religiöse Inhaltlichkeit, wie die oben erläuterten schädlichen Gottesvorstellungen, führt allein noch nicht automatisch zu einer psychischen Beeinträchtigung. Es ist zu bedenken, dass die religiöse Prägung meist in der Kindheit erfolgt, in einer Situation großer Abhängigkeit von den Eltern und gleichzeitig hoher Formbarkeit. Es lohnt sich, einen Blick auf den Zusammenhang von Erziehungsstil, Familiendynamik und Gottesbild zu werfen.  Bucher weist darauf hin, dass die Angst vor einem strafenden Gott innerhalb einer Generation massiv geschrumpft ist (Bucher, 2017, 25-26). Dies steht im Zusammenhang mit der Liberalisierung der Erziehung, die vermehrt auf Verhandeln statt auf Befehl setzt und wo harte körperliche und seelische Bestrafung als unakzeptabel gilt. Die Familienstruktur ist heute stärker als früher durch die Gleichberechtigung der beiden Elternteile geprägt ist. Gleichzeitig verschwand das Bild des gewaltsamen, zornigen Gottes aus Religionsunterricht und Katechese. Das ist kein Zufall.

Erziehungspraxis und Gottesvorstellung stützen sich gegenseitig, wenn einerseits das Gottesbild die elterliche, vor allem die väterliche Autorität stützt, und andererseits die Einhaltung kirchlicher Normen, deren Einhaltung der so vorgestellte Gott überwacht, von der gleichen Autoritätsperson gefordert wird, die gleichzeitig Gehorsam gegenüber den elterlichen Regeln verlangt.

Alice Miller hat in einer kritischen Auseinandersetzung mit der eigenen psychoanalytischen Tradition die kindliche Verpflichtung zur Idealisierung der Eltern für diesen Zusammenhang verantwortlich gemacht.

„In den alten Erziehungsschriften wurde regelmäßig empfohlen, so früh wie möglich dem Kind ‚seinen Willen zu nehmen‘, seinen ‚Eigensinn‘ zu bekämpfen, und es immer im Gefühl der eigenen Schuldigkeit und Schlechtigkeit zu belassen; man dürfe niemals den Eindruck aufkommen lassen, daß der Erwachsene sich täuschen oder einen Fehler begehen könnte, dem Kind niemals die Entdeckung der Grenzen des Erwachsenen ermöglichen, sondern solle im Gegenteil eigene Schwäche vor ihm verbergen, ihm die göttliche Autorität vortäuschen.“ (Miller, 1981, S. 276)

Miller beschreibt die Funktion des Vater-Gottes als ein „Phänomen unserer Kultur“:

„Der Gott-Vater ist ein leicht kränkbarer, ehrgeiziger, im Grunde unsicherer Mensch, der daher Gehorsam und Konformität in der Meinungsäußerung verlangt, der keine Götzen neben sich erträgt (…)“ (Miller, 1981, S. 280).

Diese Kritik umfasst im Übrigen die Väterfiguren der Psychoanalyse, inclusive Sigmund Freud selbst.

Die kindliche Idealisierung der Eltern kann bewirken, dass notwendige Auseinandersetzungen und Konflikte verdrängt und die die daraus resultierenden Gefühle auf Gott übertragen werden. Damit distanziert sich Miller auch von der Freud’schen Religionskritik. Miller beschreibt ihren eigenen Reflexionsprozess, indem sie sich auf die religionskritischen Überlegungen ihrer pietistisch erzogenen Patientin Inge einlässt. Sie stellt fest, dass der biblische Gott keineswegs widerspruchsfrei ist; dass er tatsächlich Elemente des durch die Erziehung vermittelten, vatergleichen Bildes enthält, aber letztendlich als Gott der Liebe zu denken ist, der nicht Gehorsam fordert, sondern Freiheit gibt. Ihre Überlegungen münden in die Kritik des alttestamentlichen Gottesbildes. (Miller, 1981, 120–122).  Miller selbst sieht den Josef des Neuen Testamentes als Personifizierung einer idealen, bedingungslosen väterlichen Liebe (Miller, 1981, 125).

Man kann Miller nun die Nichteinhaltung der von der Psychologie postulierten Neutralität gegenüber Religion vorwerfen. Allerdings wurde diese Grenze schon von den Begründern der Religionspsychologie nicht immer respektiert. Heine stellt anschaulich dar, wie die restriktive, eng, moralische, zuneigungsarme religiöse Sozialisation bei den Gründervätern der Religionspsychologie Stanley Hall, Edwin Starbuck und Gordon Allport, welche von einer arbeitsorientierten puritanischen Frömmigkeit geprägt war, zu einem Impuls ihrer Forschungen wurde und letztendlich zu einer Auseinandersetzung mit der eigenen Religion führte. (Heine, 2005, S. 23). Besonders Hall und Starbuck waren davon überzeugt, dass Religiosität zum Menschen gehört und forderten eine lebensfreundliche, freiheitliche Religiosität. Von Seiten der Fachkollegen in der Psychologie wurden sie dafür kritisiert, aber auch von der Theologie, welche Religiosität nur konfessionell gebunden und dogmatisch definiert denken konnte.

Auch in einem der bekanntesten modernen religionskritischen Schriften, dem 1976 erschienenen autobiografischen Buch Gottesvergiftung von Tilmann Moser, wird der Zusammenhang zwischen Gottesbild, Erziehung und Familiendynamik deutlich. Der in einem pietistischen Milieu aufgewachsene Autor rechnet in seinem Buch exemplarisch mit einer die Seele krank machenden Religion ab. „Du [Gott] wohntest in mir als mein Selbsthass. Du bist in mich eingezogen wie eine schwer heilbare Krankheit, als mein Körper und meine Seele klein waren.“ (Moser, 1976, S. 10). Später im Buch heißt es: „Du hattest so viel an mir verboten, dass ich nicht mehr zu lieben war.“ (Moser, 1976, S. 19).

Seine Ausführungen über die Kommunikation in der Familie und den Umgang miteinander zeigen, dass das Grundproblem keineswegs in der Religion liegt, sondern in der zutiefst kontaktgestörten Familie, in der jeder für sich allein lebte. Moser schreibt:

„Weisst du, dass du für viele meiner Familie für ganze Bereiche ihres seelischen Lebens der einzige Gesprächspartner warst? Dass deine erdrückende Wirklichkeit ihrer Isolierung, ihren Kontaktstörungen, ihrer Sprachlosigkeit anderen Menschen gegenüber entstammt? Dass sie zu dir gebetet haben, dir abends ihren Tag erzählten, weil ihnen sonst niemand zugehört hätte?“ (Moser, 1976, S. 23) Das Familienleben war belastet durch die schwere Krankheit des Vaters, welche die gesamte Energie und Zuneigung der Mutter beanspruchte, so dass Till im Alter von sechs Monaten zu einer Pflegefamilie gegeben wurde, einen Akt, den er seiner Mutter als Verrat ankreidet. Er hasst seine Brüder, die sich 'breitmachen' und ihm keinen Raum mehr lassen. Gott muss gross werden, „um diesen Hass in Schach zu halten.“ (Moser, 1976, S.37)

In ihrem autobiografischen Roman Das verborgene Wort stellt die 1946 geborene Ulla Hahn die Inanspruchnahme religiöser Überzeugungen zur Festigung der elterlichen Autorität erzählerisch dar.  

„Im Anfang erschuf Gott Hölle, Teufel und Kinder, und er sah, dass es schlecht war. Meine Grossmutter auch. Kinder kamen schlecht auf die Welt. Erwachsen werden hiess besser werden. Dafür sorgten die Erwachsenen, die alles besser wussten, besser konnten, besser machten, eben weil sie erwachsen waren. Kind sein hiess schuldig sein. Sündig sein. Der Reue, Busse, Strafe bedürftig, in Ausnahmefällen der Gnade. Gebote und Verbote kamen direkt von Gott. Gott aber war der, vor dem alle in die Knie gingen. Letzten Endes waren es also nicht die Erwachsenen, die alles besser wussten, sondern der liebe Gott, der durch ihren Mund sprach.“ (Hahn, 2001, 15)

Für die Wirkung religiöser Vorstellungen ist der familiäre Kontext, in dem sie vermittelt werden, ausschlaggebend. Der familiäre und der religiöse Faktor verstärken sich, wenn sie kongruent sind. Grom betont:

„Eine autoritäre und strafbestimme Gottesvorstellung geht tendenziell mit einem autoritären und strengen Erziehungsstil der Eltern einher, der seinerseits positiv mit einem etwas geringeren Selbstwertgefühl der Kinder korreliert. Wie ein Bibelcamp-Experiment gezeigt hat, kann das blosse Reden vom Richter-Gott (…) zwar die Gottesvorstellung von Jugendlichen wirksam, das Selbstbild aber kaum verändern.“ (Grom, 2004, S. 192)

Verunsichernde soziale Erfahrungen in der Familie und in anderen zentralen Beziehungen sind, neben einer individuell ausgeprägten starken Vulnerabilität, der wichtigste Faktor bei der Entwicklung von Zwangsstörungen (Grom, 2004, S. 190–191, 192). Umgekehrt kann eine bereits vorhandene Disposition zu übertriebener Impulskontrolle auch die Empfänglichkeit für eine angstbesetzte Gottesvorstellung steigern (Grom, 2004, S. 192–193). Für den einzelnen zentral ist das Ausmaß, in dem religiöse Rhetorik für existenzielle Erfahrungen der Liebe bzw. des Verlassenseins, von Sicherheitsgefühl bzw. Schutzlosigkeit benutzt wird und inwieweit diese Erfahrungen religiös erklärt oder legitimiert werden.

Zum anderen scheint der Blick auf das Gottesbild allein zu eng zu sein. In den Beispielen zeigte sich deutlich das mit den religiösen Vorstellungen verbundene Menschenbild, welches das Selbstbild der religiös Sozialisierten stark prägt. Ebenso zu berücksichtigen sind die Forderungen im Hinblick auf die religiöse Praxis, die mehr oder weniger streng gehandhabt werden bzw. mehr oder weniger eng mit dem Gottesbild verbunden sind.

Religiöse Vorstellungen entfalten ihre Wirksamkeit innerhalb eines gegebenen psychosozialen Kontextes. Die schädlichen respektive positiven Auswirkungen religiöser Sozialisation lassen sich nicht allein auf ein bestimmtes Gottesbild zurückführen, sondern sind nur in Verbindung mit anderen religiösen Vorstellungen und einem Defizit in der Qualität der primären Beziehungen, verbunden mit einem lieblosen Erziehungsstil zu erklären.

3 Lebensbewältigung, Kohärenz, Resilienz

Krankheit und Gesundheit stehen nach alltagssprachlichem Verständnis, etwa in der Redewendung „Hauptsache gesund“, in sich ausschließendem Verhältnis. Krankheit wird gleichgesetzt mit Unwohlsein und Defizit, Gesundheit mit Beschwerdefreiheit und Normalität. Die heutige Gesundheitswissenschaft sieht Gesundheit und Krankheit jedoch nicht mehr als sich gegenseitig ausschließende Zustände an, sondern als Endpunkte eines Kontinuums, in welchem es unterschiedliche Anteile von Krankheit und Gesundheit gibt (Franzkowiak, 2015a). Ein tragfähiges Gesundheitskonzept muss die Bedingtheit und potenzielle Einschränkung von Gesundheit integrieren, da jeder Mensch zu jedem Zeitpunkt mit den je gegebenen Möglichkeiten und Begrenzungen seines Körpers und seiner Umwelt umgehen muss. Hundertprozentige Gesundheit gibt es nicht. Nach diesem Verständnis auch Menschen mit körperlichen und seelischen Beeinträchtigungen nicht ausschließlich krank, sondern im Sinne der Bewältigung auch gesund (Hurrelmann & Franzkowiak, 2015, S. 5). Gesundheit bezeichnet demnach keine ideale Norm, sondern einen Zustand, in dem eine

„Person sich psychisch und sozial in Einklang mit den Möglichkeiten und Zielvorstellungen und den jeweils gegebenen äußeren Lebensbedingungen befindet. Gesundheit ist das Stadium des Gleichgewichts von Risikofaktoren und Schutzfaktoren, das eintritt, wenn einem Menschen eine Bewältigung sowohl der inneren (körperlichen und psychischen) als auch äußeren (sozialen und materiellen) Anforderungen gelingt. Gesundheit ist ein Stadium, das einem Menschen Wohlbefinden und Lebensfreude vermittelt.“ (Hurrelmann & Franzkowiak, 2015, S. 4.)

Folglich ist Krankheit 

„ein Stadium des Ungleichgewichtes von Risiko- und Schutzfaktoren, das eintritt, wenn einem Menschen eine Bewältigung von inneren (körperlichen und psychischen) und äußeren (sozialen und materiellen) Anforderungen nicht gelingt. Krankheit vermittelt einem Menschen eine (akute oder dauerhafte) Beeinträchtigung seines Wohlbefindens und seiner Lebensfreude.“ (Franzkowiak, 2015b)

Einen entscheidenden Einfluss auf die veränderte Auffassung von Gesundheit und Krankheit hatte der Medizinsoziologe und Stressforscher Aaron Antonovsky (1923-1994) mit seinem Konzept der Salutogenese (Antonovsky, 1997; orig. 1987). Ursprünglich untersuchte er die Lebensqualität von Holocaust-Überlebenden und ging der Frage nach, warum es 30% von ihnen trotz schwerwiegender Belastungserfahrungen möglich war, ein gelingendes Leben zu führen. Damit nimmt er eine neue Perspektive in der Medizin ein:  nicht Krankheit wird erforscht, sondern die Faktoren von Gesundheit und Lebensqualität angesichts der Endlichkeit und Brüchigkeit des Lebens. Er kommt zu dem Ergebnis, dass alle Menschen sich auf einem Kontinuum von Krankheit und Gesundheit befinden: „Alle sind wir sterblich und solange noch ein Hauch von Leben in uns ist, in einem gewissen Mass gesund“ (Antonovsky, 1997, S. 23).

Antonovsky definiert drei Faktoren von Verhaltensweisen und Lebenshaltungen, die er mit dem Begriff „Kohärenzgefühl“ bzw. SOC (sense of coherence) zusammenfasst:

-       Verstehbarkeit

-       Handhabbarkeit

-       Bedeutsamkeit (Antonovsky, 1997, S. 33–46). 

Von Verstehbarkeit spricht man dann, wenn die eigene Lebenssituation und -umstände als sinnhaft und verständlich wahrgenommen werden. Diesen Personen erscheint ihr Leben nicht als chaotisch und sie haben eine recht realistische Vorstellung von dem, was auf sie zukommen könnte. Eine derartige Haltung ist die Voraussetzung dafür, dass man die eignen körperlichen und psychischen Ressourcen überhaupt nutzen kann. Ein zweiter Faktor des SOC ist das Vertrauen in die Handhabbarkeit zukünftiger Herausforderungen. Es ist die Überzeugung, dass man auch in Zukunft Schwierigkeiten wird bewältigen können, sei es allein, mit anderen, oder mit göttlicher Hilfe. Sie bewirkt, dass der Mensch sich nicht leicht in eine Opferrolle drängen lässt, in welcher er sich machtlos fühlt. Bedeutsamkeit schließlich bezieht sich auf die motivationale Ebene; sie bezeichnet das Ausmaß, in dem man das eigene Leben insgesamt als sinnvoll empfindet; es ist das Gefühl, dass die Anforderungen des Lebens die Energie wert sind, die man in sie investiert. Menschen mit einem hohen Level an der so verstandenen Bedeutsamkeit können oft ganz spezifische Bereiche benennen, die ihnen wichtig sind.  (Antonovsky, 1997, S. 34–36). Alle drei Komponenten sind für das SOC notwendig, aber sie können unterschiedlich ausgeprägt sein (Antonovsky, 1997, S. 38).

Das Kohärenzgefühl gibt es nicht zu hundert Prozent, denn jeder Mensch hat Zweifel und Fragen und erfährt Frustrationen – ist ein starkes Kohärenzgefühl vorhanden, können diese besser in das eigene Leben integriert werden. Sehr hohe SOC-Skalenwerte können aber sogar auf eine negative Befindlichkeit verweisen: rigides bzw. nicht-authentisches SOC. Als Beispiel dafür nennt er religiöse Menschen, die „auf hysterische Weise rigide“ sind und deren Regelsystem keinen Raum für flexible Strategien zeigt.  In diesem Fall kann eine Selbsttäuschung und zu geringes Realitätsbewusstsein vorliegen, denn für niemanden ist alles Denkbare auch verstehbar, handhabbar und bedeutsam (Antonovsky, 1997, 42).

In der Pädagogik hat sich heute der Begriff Resilienz durchgesetzt. Damit ist die Fähigkeit zur konstruktiven Bewältigung des Lebens trotz herausfordernder Erlebnisse und schlechter Rahmenbedingungen gemeint. Resilienz ist multidimensional: sie zeigt sich, wenn positive Entwicklung trotz Beschränkungen möglich ist, an der Aufrechterhaltung der Handlungsfähigkeit trotz Belastungssituationen und in der Fähigkeit, sich in kurzer Zeit von belastenden Traumata zu erholen. Die Resilienzforschung, begründet von Emmy Werner und Ruth Smith, ist kongruent mit dem Ansatz Antonovskys (Antonovsky, 1997, S. 55). In der ursprünglichen Forschung von Werner und Smith an Kindern auf der Insel Maui ging es darum, wie es manchen Kindern gelingt, ungünstige Umstände wie Armut, Mangel an Bildung, konfliktreiche Umgebung und schwere Schicksale wie Verluste und Krankheiten gut zu bewältigen (Werner & Smith, 1982). Resiliente Menschen zeichnen sich durch eine Reihe von charakteristischen Persönlichkeitseigenschaften aus: sie haben Vertrauen in sich selbst und glauben daran, dass sie das Leben bewältigen können; sie können Durststrecken aushalten und Unerfreuliches eine Zeit lang ertragen und sie beharren nicht auf unrealistischen Vorstellungen. Vom Charakter her sind sie eher extrovertiert, kommunikativ und sozial verträglich.

Gegenüber dem eher statischen Resilienzkonzept Werners und Smiths, die die Bedeutung bestimmter Persönlichkeitsmerkmale hervorhoben, betont man heute, besonders in der Pädagogik, wo die Resilienz zu einem Schlüsselbegriff geworden ist, die Prozesshaftigkeit der Resilienz. Die Fähigkeit, Belastungen zu bewältigen, kann nämlich im Laufe des Lebens variieren oder die erfolgreiche Bewältigung einer Krise kann die Resilienz erheblich stärken. (Fröhlich-Gildhoff & Rönnau-Böse, 2014, S. 9–11). Die Hinwendung zur Resilienz in der Pädagogik  ist ein Paradigmenwechsel,  bei dem danach gefragt wird, wie jedes Kind seine je eigenen Ressourcen erkennen kann und nutzen lernt und welche äußeren Faktoren dazu beitragen, dieses Prozess zu begünstigen. Solche Faktoren sind z.B. das Vorhandensein stabiler Vertrauenspersonen, ein zugleich herausforderndes wie Sicherheit gewährendes Umfeld, gewisse räumliche Faktoren wie etwa ein Rückzugsraum.

Die Gesundheitsforschung hat sich den Resilienz-Ansatz zu eigen gemacht, indem sie nach den Ressourcen für einen gesundheitsförderlichen Lebensstil fragt. Entscheidend ist die Fähigkeit zur produktiven Realitätsverarbeitung, die positive Einstellung zu den alltäglichen Herausforderungen, die  Annahme des eigenen Körpers und der psychischen Grundausstattung, optimistische Erwartungen an die soziale Umwelt und insgesamt die Vorstellung von der Beeinflussbarkeit der eigenen Lebensführung. (Hurrelmann & Franzkowiak, 2015, S. 5.).

In der Theologie ist das Thema „Resilienz“ neuerdings in zwei Themenheften der MThZ und der Zeitschrift Praktische Theologie aufgegriffen worden (Richter & Blank, 2016; Vogt & Schneider, 2016). Obwohl die Herausgeber in der christlichen Tradition eine Reihe von Anknüpfungspunkten an resilienzfördernde Einstellungen sehen, stehen sie dem Begriff skeptisch gegenüber. Befürchtet wird eine Instrumentalisierung des „Zauberwortes“ Resilienz im Hinblick auf die unkritische Akzeptanz höherer Belastbarkeit im beruflichen Umfeld, eine „systemaffirmative Selbstoptimierung“ (Sautermeister, 2016, S. 216). Gleichzeitig wird am Beispiel der christlichen Tugenden Glaube, Hoffnung und Liebe dargelegt, dass das Christentum ein hohes Resilienzpotenzial hat. Der Glaube relativiere das eigene Selbst und könne so angstbesetzte Reaktionsmuster unterbrechen (Schneider & Vogt, 2016, S. 198–199). Christliche Hoffnung wirke sinnstiftend und ermögliche es, Leiden zu durchleben, ohne es zu verklären (Schneider & Vogt, 2016, S. 199–202). Auch eine Haltung der Liebe, der Zugewandtheit zum anderen, könne zur Befreiung von Angst beitragen, indem sie von der eigenen Person absieht (Schneider & Vogt, 2016, S. 202–203). Die christlichen Tugenden, so die Autoren, integrieren den ethischen Aspekt und vermögen damit den individualistischen Ansatz des Resilienzbegriffes zu überwinden.  Stangls  postuliert in seiner empirischen Studie die positive Korrelation zwischen christlichem Glauben und Resilienz; allerdings wurde nur eine kleine Gruppe untersucht, die aus dem gleichen katholischen Milieu stammt (Stangl, 2016). 

Bei der theologischen Rezeption des Resilienzdiskurses man kann den Eindruck gewinnen, dass die christliche Glaubenstradition den besseren Weg zu dem bietet, was Resilienz verspricht, da die möglichen negativen Effekte der Resilienzorientierung wie fehlender Gemeinschaftsbezug und Selbstoptimierungsideologie vermieden würden.  Auf das Phänomen von problematischen religiösen Haltungen wird in dieser Rezeption bedauerlicherweise nicht eingegangen.

5 Positive Effekte von Religiosität und Spiritualität auf Heilung und Wohlbefinden

Seit den 1980er Jahren sind in den USA eine Reihe von Studien zum Zusammenhang von Religiosität und psychischer Gesundheit bzw. subjektivem Wohlbefinden erschienen. Die bis dahin vorwiegend kritische Haltung der Psychologie gegenüber Religion wurde insofern aufgebrochen, als Religion als potentieller Schutzfaktor für den Menschen in Betracht gezogen wurde (Klein & Albani, 2011, S. 215). Dass dieses Thema ausgerechnet in den USA bearbeitet wird, ist angesichts der hohen Bedeutung der Religionsgemeinschaften keine Überraschung. Der Anteil derjenigen, die einer religiösen Gruppierung angehören, liegt bei 66%; sie sind religiöser als Kirchenmitglieder in Europa, insofern der wöchentliche Gottesdienstbesuch bei 44% liegt und 55% Religion als sehr wichtig in ihrem Leben betrachten. Der Anteil der Hochreligiösen ist viel höher als in den deutschsprachigen Ländern (Klein & Albani, 2011, S. 220).

Problematisch sind an der Vielzahl Forschungen ihre teils geringen Stichproben, die mangelnde Vergleichbarkeit und die schwierige Quantifizierbarkeit psychischer Erkrankungen (Klein & Albani, 2011, S. 216; Grom, 2004, S. 187). Trotzdem können aus der Metaanalyse dieser Studien eine Reihe von Schlussfolgerungen gezogen werden.

Insbesondere der Zusammenhang zwischen Religiosität und Ängsten ist gut untersucht. Intrinsisch motivierte Religiosität in Kombination mit einem liebevollen Gottesbild stehen in negativer Relation zu Angstsymptomen. Wenn diese Überzeugung immer wieder gestärkt wird, etwa in einem Gottesdienstbesuch, und zusätzlich mit einer positiv empfundenen Gruppenzugehörigkeit verbunden ist, wird diese Wirkung verstärkt. Insbesondere trifft dies für die Angst vor dem Tod zu (Klein & Albani, 2011, S. 222).

Ein weiteres gut untersuchtes Thema ist der Zusammenhang zwischen Religiosität und Drogenmissbrauch. Viele Autoren schreiben der Religiosität eine schwach präventive Wirkung im Hinblick auf möglichen Drogenmissbrauch zu. In den Glaubensgemeinschaften werden Drogen meist explizit abgelehnt. Die soziale Kontrolle in den Glaubensgemeinschaften wirkt jedoch nur dann positiv, wenn der Glaube akzeptierend und unterstützend ist (Grom, 2004, S. 194–195). Bei der Behandlung von Sucht hat ein höherer Grad an Religiosität und Spiritualität eine positive Wirkung; allerdings zeigt sich bei Anonymen Alkoholikern, die explizit von einer höheren Macht sprechen, dass die Dauer der Teilnahme an den AA-Treffen wesentlich relevanter als der Grad der Religiosität. (Grom, 2004, S. 195).

Für den positiven Zusammenhang zwischen Religiosität und psychischer Gesundheit bzw. subjektivem Wohlbefinden gibt es eine Reihe von theoretischen Erklärungsansätzen:

-       Soziale Unterstützung

-       Förderung des Selbstwertgefühls

-       Kohärenzgefühl

-       Verhandensein alternativer Werte

-       Positive Verhaltensregulierung

-       Ermöglichung des religiösen Coping

Alle diese Erklärungsansätze zeigen auch, dass die religiösen Faktoren ambivalent sind.

Religiöse Gruppen können, wenn sie als soziale Netze funktionieren, positive Auswirkungen haben, insbesondere, wenn gemeinsame Überzeugungen geteilt werden und die Gemeinschaft sich auch in Ritual und Feier ausdrückt. Dieses Gemeinschaftsgefühl kann sehr stark sein, besonders, wenn man den Eindruck, dass man gegenüber anderen Gruppe im Recht oder sogar auserwählt ist.  Es kann ins Negative kippen, wenn die Gemeinschaft sich zu sehr abschottet, wenn soziale Unterstützung mit sozialem Druck einhergeht und es starke Mechanismen von Inklusion und Exklusion gibt. (Klein & Albani, 2011, S. 226–227)

Wie bereits dargestellt, kann ein angsterzeugendes, rigides Gottesbild im Zusammenspiel mit problematischen Beziehungskonstellationen den Menschen klein machen und die Entwicklung des Selbstwertgefühls behindern. Ein liebevolles Gottesbild, das von liebevollen menschlichen Erfahrungen begleitet ist, kann hingegen das Gefühl des unbedingten Angenommenseins und Bejahtseins vermitteln, welches nicht unablässig Bestätigung von außen benötigt. Eine sichere Bindung zu Gott kann auch ein positives Selbstwertgefühl vermitteln und emotionale Instabilität reduzieren. (Klein & Albani, 2011, S. 227–228).

Religiöse Gemeinschaften vermitteln Erzählungen und Deutungsmuster, die geschichtlich verwurzelt und legitimiert sind. Dadurch ermöglichen sie das im Sinne der Salutogenese wesentliche Gefühl der Kohärenz, indem sie eine das Individuum übersteigende Sinnstiftung anbieten. Negativ sind diese Deutungsmuster, wenn sie als voraussetzungslos, intolerant und unhinterfragbar präsentiert werden, oder wenn durch Vertröstung zu einer Negierung der Realität führen (Klein & Albani, 2011, S. 228–229).

Viele Religionen pflegen gesellschaftskritische Werte wie z.B. Demut, soziales Engagement, Relativierung von Äußerlichkeiten. Damit können sie konventionelle Erfolgs- und Konformitätserwartungen abschwächen. Religion zeigt den Menschen alternative Möglichkeiten auf, wie man sich von gesellschaftlichen Idealen und Anforderungen distanzieren kann. Der Gedanke der Geschöpflichkeit des Menschen etwa legt nahe, dass jeder Mensch, unabhängig von seinen Fähigkeiten und Leistungen, gottgewollt ist. Jedoch können diese alternativen Werte sich negativ auswirken, wenn sie absolut gesetzt werden (Klein & Albani, 2011, S. 230–231).

Religion reguliert das Verhalten des Menschen durch ethische Vorschriften und andere Gebote, z.B. Ruhezeiten und Abstinenzvorschriften und bietet damit ein Ordnungssystem, das den Menschen entlasten kann. Eine übermäßig strikte Einhaltung solcher Vorschriften und Gebote kann jedoch neurotisches Verhalten begünstigen (Klein & Albani, 2011, S. 231–232).

Von Pargament stammt die Theorie des religiösen Coping (Pargament, 2002; Klein & Lehr, 2011). Sie bietet das umfassendste Erklärungsmodell für den Zusammenhang von Religion und Gesundheit. Im Zentrum des religiösen Coping steht die Frage, wie sich Glaube und religiöse Überzeugungen in Krisensituationen bewähren (Pargament 2002, 84). Religion ist jedoch kein stabiler Prozess in der Biografie, sondern kann bei derselben Person zur gleichen Zeit positive und negative Effekte haben.  Für marginalisierte Gruppen kann Religion hilfreicher sein als für Menschen in der Mitte der Gesellschaft, die nicht um ihre Anerkennung ringen müssen.

Pargament identifiziert drei Religionsstile, die sich als wirksame Copingstrategien erwiesen haben. Am wirksamsten ist der kollaborative Stil, bei dem der Mensch darauf baut, dass Gott ihn bei seinem eigenen Bemühen unterstützt.  Der selbst-direktive Stil, der durch die Haltung, dass man sich nur selbst helfen kann, ist ebenfalls hilfreich, funktioniert jedoch weniger gut in Situationen, in denen der Mensch seine eigenen Grenzen erfährt. Der delegierende Stil, der die Rolle des Menschen als ganz passiv ansieht, und der auf Gottes Hilfe traut, ist insgesamt weniger positiv als die anderen beiden einzuschätzen, weil er in der Regel stärker mit Angst verbunden ist, entfaltet aber gerade in aussichtslosen Situationen des Kontrollverlustes eine positive Wirkung.  Grom hält in seiner Übersicht fest, dass religiöses Coping als Prävention gegen Angst und nicht-klinische Depression wirksam ist, dass es die Behandlung milder und schwerer Angstsymptome unterstützen kann (Grom, 2004, S. 205).

Alle Autoren sind sich darin einig, dass die positive Wirksamkeit von Religiosität von ihrer Zentralität abhängig ist, also von der Wichtigkeit, die sie im Leben des Individuums hat. Hilfreich ist die Religiosität, „wenn sie ein wichtiger Teil der eigenen Persönlichkeit und des eigenen Lebens ist und mit einer Partizipation an Gemeinschaft und sozialer Integration verbunden ist.“ (Klein & Albani, 2011, S. 223) Insgesamt kann man sagen, dass Religiosität, sofern einige günstige Faktoren zusammenkommen, sich positiv auf das subjektive Wohlbefinden auswirkt, ebenso auf die Lebenszufriedenheit. Ein eindeutiger Zusammenhang zwischen Religiosität und psychischer Gesundheit ist jedoch nicht nachgewiesen  (Grom, 1994, S. 114–115; Grom, 2004, S. 200).

6 Die Anerkennung der Ambivalenz des Religiösen als religionspädagogische Aufgabe

Die empirischen Forschungen zum Zusammenhang von Religion und Gesundheit zeigen kein einheitliches Bild. Dieselben religiösen Faktoren können sich im Zusammenspiel mit anderen Faktoren positiv oder negativ auf das subjektive Wohlbefinden und auf die psychische Gesundheit auswirken. Es ist anzuerkennen, dass Religion ambivalent ist. Apologetische Argumentationen, welche die heilenden Wirkungen des Glaubens propagiert, entbehren einer realen Grundlage. 

Die Ambivalenz des Religiösen ergibt sich aus der Natur der religiösen Tradition und den Menschen, welche Religion praktizieren. Je älter eine Religion ist, je vielfältiger ihre kulturellen Bezüge und die religiöse Praxis, je reicher ihre Auslegungstradition, desto mehr innerreligiöse Widersprüche ergeben sich, desto mehr Ambivalenz wird erzeugt. Hieraus ergibt sich eine Herausforderung an jede Theologie, der weder durch eine vermeintlich widerspruchsfreie Rekonstruktion der Tradition noch durch Eklektizismus begegnet werden kann, sondern nur durch hermeneutische Reflexion und intellektueller Redlichkeit. Die Forderung, die Glaubenslehre von wirklichen oder vermeintlichen schädigenden Elementen zu reinigen, um damit der Weg für eine befreiende, heilende Religiosität zu ebnen, ist der Versuch, aus Ambivalenz des Religiösen die scheinbare Eindeutigkeit einer wahren Religion zu extrahieren, die nur um den Preis der Negation des eigenen Erkenntnisinteresses zu gewinnen ist. Lorenz Kellner, einer der Kritiker des autoritär verstandenen christlichen Gottesbildes, bietet diese an, indem der Weg zur „Gottestherapie“, also zur Heilung der menschlichen Seele klar vorgezeichnet ist: „Der eindeutige und ethisch einwandfreie Gott ist dafür eine schon längst vorhandene ausgezeichnete Vorgabe.“ (Kellner, 1995, 69) Nebenbei bemerkt, tragen diese Reinigungsbemühungen oft antijudaistische Züge.

Der Zürcher Pfarrer Oskar Pfister, der Freud davon überzeugen wollte, dass die wahre Religion nicht die neurotische sei (Pfister, 1977, orig. 1928) wie Jahrzehnte später der Jesuit Frielingsdorf (Frielingsdorf, 1997; Frielingsdorf, 2004) machen die psychologische Perspektive stark, um Fehlentwicklungen in ihrer eigenen Kirche, Theologie und im Glaubensleben zu kritisieren und auf den wahren Kerngehalt des Glaubens hinzuweisen. Das ist legitim und auf den ersten Blick plausibel. Psychologisch-therapeutische Argumente eignen sich jedoch nicht dazu, religiöse Wahrheitsansprüche zu klären. Hier ist vielmehr der theologische Diskurs um das Verhältnis von Gottes- und Menschenliebe, von Weltlichem und Transzendentem entscheidend. Damit soll nicht bestritten werden, dass religiöse Strukturen, religiöse Praxis, Theologie und religiöse Erziehung von einem Außenstandpunkt kritisch betrachtet werden müssen. Entscheidender Maßstab sind dabei allerdings die ureigenen religiösen Ansprüche an Humanität.

Die Ambivalenz des Glaubens ist auch im individuellen Kontext gelebter Religiosität unausweichlich. Sie wird sowohl von einer strikten, kasuistischen Religion hervorgebracht, die den Ansprüchen und Widersprüchen gelebten Lebens nicht gerecht wird, als auch von liberalen Glaubensauffassungen, die auf die Deutungskompetenz aller Gläubigen in eben diesen Situationen angewiesen, damit für Uneindeutigkeiten und Widersprüchlichkeit anfällig sind und überdies manche Gläubige überfordern.

Die religiöse Tradierung und religiöse Praxis sind an Menschen und ihre historisch-kulturellen Kontexte gebunden und bilden damit immer auch die Ambivalenz des Menschlichen ab. In einer Artikelserie fragte die NZZ 2006 verschiedene Autorinnen und Autoren nach ihrem Verständnis von einer guten Religion. Der Orientalist und Schriftsteller Navid Kermani schrieb dazu:

„Religionen sind nicht gut. Sie auch nicht schlecht. Sie sind einfach da, so wie das Leben selbst. (…) Religionen sind so gut und so böse wie die Menschen selbst. Sie sind weniger Ursache als Medium, Katalysator und Verstärker menschlicher Verhaltensweisen, Sehnsüchte und Rechtfertigungen, im Guten wie im Bösen.“
(Kermani, 2007, S. 57–58)

Er spricht damit die politische Dimension des Religiösen an. Kermani sieht einen Zusammenhang zwischen der Humanität einer Religion und ihrer Chance der Machtausübung.  

„Die am wenigsten schlechten Religionen sind die, die am seltensten politisch geherrscht haben (…) Dass andere Religionen historisch besser dastehen, hat vermutlich weniger mit ihrem Wesen zu tun, als damit, dass sie sich als Mehrheitsreligion nie durchgesetzt haben. Innerhalb des Islams tun sich die Ismailiten oder die Alawiten durch Toleranz, Säkularität und Dienst am Nächsten hervor.“
(Kermani, 2007, S. 56)

Was wäre, wenn man die positiven Wirkungen des Glaubens eindeutig feststellen könnte? Glaube eignet sich nicht als weltliches Allheilmittel. Der Glaube wird theologisch verstanden als menschliche Antwort auf die göttliche Offenbarung. Er zeichnet sich aus durch den Geschenkcharakter und ist notwendig auf menschliche Zustimmung und Annahme in Freiheit angewiesen. Der Glaube ist ein zutiefst personaler Akt, der sich jeglicher Instrumentalisierung entzieht, oder anders ausgedrückt: „Spirituelle Übungen sind keine Ergotherapie.“ (Hauschildt, 2016, S. 101). Darüber hinaus ist eine utilitaristische Glaubenshaltung wenig tragfähig und anfällig für den von Grom so genannten Enttäuschungsatheismus (Grom, 1992, S. 147). Utilitaristische Argumente können weder für die Propagierung des Glaubens noch für seine Ablehnung in Anschlag gebracht werden.

Auf diesem Hintergrund wird auch die Kategorie „subjektives Wohlbefinden“, die vor allem von Grom verwendet wird, fraglich. Im Sinne der Gesundheitsforschung ist sie eine sinnvolle Größe, jedoch ist sie kein theologischer Begriff.  Religion ist auch immer ein Stachel, ein Anspruch, eine Zu-Mutung. Biblische Texte bürsten den Mainstream gegen den Strich: In den Wundern wird behauptet, dass durch Teilen mehr entsteht als durch Behalten, die Gleichnisse konfrontieren mit der paradoxen Aussage, dass das Große in Wirklichkeit klein und das Kleine groß ist; die Bergpredigt enthält nicht plausible ethische Anweisungen; das erste Testament propagiert einen Gott, der „da“ ist und doch bildlos bleiben muss.

Diese Glaubensherausforderung hat Henning Luther durchbuchstabiert. Nicht im Kokon des Wohlfühlens, sondern in den Brüchen des Selbstverständlichen scheint Religion auf.

„Jeder Augenblick des Alltags kann eine Erfahrung der ‚Grenze‘ oder der ‚Schwelle‘ werden. Wo eine bisher eingespielte Selbstverständlichkeit an ein Anderes stösst:  die Begegnung mit einem anderen Menschen, das Erlebnis eines ungewohnten und unerwarteten Ereignisses, die Erinnerung an Vergangenes, das Wachwerden eines Wunsches, die Erfahrung eines Traumes (…)“ (Luther, 1992, S.  217).

Die Mehrdeutigkeit des Alltags erweist sich als kritisch und produktiv, denn „sie mobilisiert den Überschuss der Fraglichkeit in der Religion, die sich den Pazifizierungsversuchen ‚letzter Antworten‘ entwindet und in eine heilsame Unruhe entlässt.“ (Luther, 1992, S. 223) Deshalb ist die Funktion und Wirkung der Religion eine doppelte, ja wiederum Widersprüchliche. Sie kann trösten, stabilisieren und über Brüche hinweghelfen; sie kann aber auch gerade die Diskontinuität stärken, indem sie ihr Ausdruck verleiht. Religiöse Rituale dienen in diesem Sinne nicht nur der Stabilität, sondern provozieren offene Fragen und Nachdenklichkeit.

„Gegen religiös-metaphysisches Sicherheitsstreben, das das Alltagsleben beruhigen und von den verunsichernden Schwellen und befremdend einbrechenden Augenblicken fernhalten will, gilt es gerade, diese Unterbrechungen und Übergänge als die entscheidenden und fruchtbaren Anknüpfungspunkte religiöser Erfahrung wahrzunehmen.“ (Luther, 1992, S. 247)

Das bedeutet nicht, dass Wohlbefinden aus religiöser Sicht negativ bewertet werden muss. Die Anerkennung der biografischen Brüche als religiös produktiv bedeutet keine Wiederkehr von Leidensmystik und Leibfeindlichkeit. Ganz im Gegenteil: die menschlich spürbare Dimension der religiösen Heilserwartung muss immer wieder erfahrbar werden. Dies zu ermöglichen, ist zentrale diakonische Aufgabe der Glaubensgemeinschaften und ihrer Mitglieder.

Aus glaubender, und damit aus theologischer und religionspädagogischer Sicht ist die Konfrontation mit der Ambivalenz des Religiösen zwingend und unvermeidlich: im kritischen Nachdenken der Theologie, an der religiösen Basis, in der Selbstreflexion der religiösen Hierarchie. Es ist Susanne Heine zuzustimmen, wenn sie die «Qualität» einer Religion daran bemisst, inwieweit sie diese Reflexion nicht nur zulässt, sondern fördert. Sie verweist bei der Frage nach der guten Religion darauf, dass ihre

„Anhänger und Anhängerinnen die Versuchung erkennen [müssen], die in jeder, daher auch in ihrer eigenen Religion latent lauert; eine gute Religion gibt so grosse Gewissheit, dass sie den Menschen unentwegt in Frage stellen kann. Wo Religion nichts weitergibt als Gewissheit, wird sie zur Gefahr.“ (Heine, 2007, S. 65)

Und der Theologe Friedrich Wilhelm Graf betont: „Gut ist eine Religion, wenn sie in ihren Symbolsprachen selbst die Ambivalenzen des Religiösen präsent hält [und] bearbeitet.“ (Graf, 2006, S. 43)

Henning Luther bemängelt, dass der Religionsunterricht die Erfahrung der Fragmentarität zu wenig thematisiert und interpretiert (Luther, 1992, S. 179) Man kann hinzufügen:  Die Religionspädagogik hat sich im Bemühen, den christlichen Glauben an Lebensoption überzeugend anzubieten, kaum mit den möglichen negativen Effekten religiöser Sozialisation und der Ambivalenz des Religiösen auseinandergesetzt.  Im Interesse einer tragfähigen Glaubenshaltung ist dies jedoch unabdingbar. Didaktisch stellt sich die Frage, wann und in welcher Form man Kinder mit der Ambivalenz des Religiösen konfrontieren soll und wie hieraus produktive Erkenntnisprozesse entstehen können. Sowohl für den schulischen Religionsunterricht wie für den kirchlichen Unterricht und die Katechese gilt aber, dass diese Ambivalenz nicht verschwiegen werden darf.

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Prof. Dr. Monika Jakobs ist Professorin für Religionspädagogik an der Theologischen Fakultät der Universität Luzern/Schweiz und Leiterin des Religionspädagogischen Instituts RPI.