Sehr geehrter Herr Präsident,

sehr geehrte, liebe Vorstände des AKGP und der GwR,

sehr geehrte, liebe Kolleginnen und Kollegen,

die Taschen und Koffer sind gepackt und die Blicke wenden sich sorgenvoll zur App der Deutschen Bundesbahn – wird denn der Zug pünktlich kommen? Bevor wir auseinandergehen und uns von der Küste bis zum Züricher See, von Mitteldeutschland bis zum Ruhrpott wieder vor Ort unseren Tätigkeiten zuwenden, ist nun die Zeit gekommen, um noch einmal rückblickend auf unsere Tagung zu schauen. Vielen Dank, dass ich diese ehrenvolle Aufgabe übernehmen und abschließend zu Ihnen sprechen darf.[1]

Das Stichwort „Dank“ möchte ich gleich aufgreifen. Ich bin mir sicher, dass ich für alle Teilnehmenden spreche, wenn ich unsere Tagung als bestens organisiert und sehr anregend bezeichne. Ausdrücklich schließe ich dabei den vorlaufenden GwR-Nachwuchsworkshop mit ein, von dem verschiedentlich in den höchsten Tönen berichtet wurde. Wir haben auf unserer Tagung engagierte Vorträge, Workshops und Grußworte erleben dürfen; am Abend der Begegnung haben Christine Reents und Anna-Katharina Szagun in gut gelaunter Runde unser Tagungsthema an ihrer eigenen Biografie entfaltet und uns ad personam wertvolle und seltene Einblicke in unsere Disziplingeschichte geschenkt. Last but not least gehören auch die unterhaltsame und lehrreiche literarische Stadtführung durch die Weltkulturerbestadt Bamberg, das einheimische Rauchbier, die herrschaftlichen Räumlichkeiten unseres Tagungsortes und das angenehme spätsommerliche Wetter mit zu unserer Tagung, ebenso wie die stimmungsvollen Morgenandachten und der auch in den Kaffeepausen und am Abend munter fortgeführte Austausch zwischen Gemeinde- und Religionspädagoginnen und -pädagogen. In summa: Herzlichen Dank an die Vorstände des AKGP und der GwR, insbesondere Henrik Simojoki als religionspädagogischem ‚Hausherren‘, alle Referentinnen und Referenten, die drittmittelgebenden Institutionen und alle weiteren Beteiligten.

Inhaltlich blicken wir auf zwei Einführungen, sieben Vorträge, teils mit Response, und vier Workshops zurück. Ich möchte hier nicht jeden Beitrag nochmals einzeln nachzeichnen und diskutieren, sondern versuchen, übergreifende Aspekte in den Blick zu nehmen. Hier haben mich auf unserer Tagung verschiedene Punkte beschäftigt. So hat es mich überrascht, dass wir – bei diesem Tagungsthema ja naheliegend – nur wenig auf die ‚klassischen‘ entwicklungspsychologischen Stufenmodelle von Erikson bis Fowler zu sprechen gekommen sind. Keine Rolle gespielt haben zudem das Lernen an fremden Biografien (u.a. Kuhn, 2010), an Personen der Kirchengeschichte (insbesondere Lindner, 2007), an kritisch-gebrochenen Vorbildern (Rickers, 2008) oder an „Local Heroes“ (insbesondere Mendl, 2015, S. 93–126). Auch empfand ich es als spannende ‚Leerstelle‘, dass wir der Kooperationstagung zum Trotz – die Einführung von Hildrun Kessler und die auf der GwR-Jahresversammlung getroffenen Verabredungen zur zukünftigen Zusammenarbeit unserer beiden Fachverbände ausgenommen – kaum über das Verhältnis von Religions- und Gemeindepädagogik gesprochen haben. U.a. auf der sich dem Thema „Schulische und außerschulische Religionspädagogik“ widmenden, ebenfalls Religions- und Gemeindepädagogik zusammenführenden Tagung des Arbeitskreises für Religionspädagogik (AfR; als Vorgänger der GwR) im Jahr 2010 war dies anders; dort hat beispielsweise Peter Bubmann ein Plädoyer für eine „neue“ Partnerschaft zwischen schulischer Religions- und Gemeindepädagogik gehalten (Bubmann, 2010). Vielleicht hat dieses Plädoyer ja nun in dieser Tagung und in unserer zukünftigen Zusammenarbeit Gestalt gewonnen, so dass eine neuerliche grundlegende, wissenschaftstheoretische Auseinandersetzung unnötig wurde. Begrifflich hat mich einerseits umgetrieben, dass wir auf unserer Tagung die Termini „Biografie“, „Lebenslauf“ und „Lebensgeschichte“ (einleitend Klappenecker, 2017) weithin synonym verwendet – Bernd Schröders Vortrag stellt hier eine Ausnahme dar – und hier offensichtlich keine Notwendigkeit für eine genauere semantische Differenzierung gesehen haben (dies ist in diesem Rückblick übrigens keinesfalls anders). Andererseits hat es mich zum Nachdenken gebracht, dass wir häufig von religiöser Bildung sprachen, auch von religiösem Lernen, weniger von religiöser Sozialisation, soweit ich sehen kann fast gar nicht von religiöser Erziehung und auch gar nicht von Mission, oder gar innerer Mission. Aber wir haben doch auch Phänomene in den Blick genommen, deren zumindest vorrangige Zielstellung vielleicht angemessener mit religiöser Sozialisation, religiöser Erziehung, Mission und innerer Mission zu beschreiben wäre, auch wenn sie natürlich ebenfalls einen religiösen Bildungs- und Lernauftrag verfolgen. Ich habe hier u.a. die gestern angesprochene Pfadfindergruppe „St. Georg“ vor Augen. Etwas scharf formuliert: Warum ist es eigentlich ein Problem für die Religionspädagogik, wenn die Teilnahmezahlen an christlichen Pfadfindergruppen sinken? Es ist natürlich dann ein Problem, und zwar ein gewichtiges, in der Tat genuin religionspädagogisches Problem, wenn sie die Rahmenbedingungen religiöser Sozialisation und wenn sie religiöse Erziehung so gestalten möchte, dass mittelfristig Teilnahme und langfristig ehrenamtliches Engagement stattfindet. Es sollte jedoch zumindest nicht automatisch dann ein Problem sein, wenn sie auf religiöse Bildung fokussiert, denn Bildung – darauf hat Bernd Schröder verwiesen – ist darauf angelegt, sich überflüssig zu machen, den einzelnen Menschen zur Mündigkeit zu bringen und dessen Verbleib in formalen Bildungskontexten zu erübrigen. Dieses Argument meine ich insbesondere bei Bernhard Dressler erkennen zu können. Er hat betont, dass religiöse Bildung im Religionsunterricht darauf zielt, „[k]ompetent das Grundrecht auf Religionsfreiheit wahrnehmen zu können“ (Dressler, 2012, S. 68), und dazu gehört dann natürlich auch, sich ggf. gut begründet beispielsweise von institutionalisierter, expliziter Religion fernhalten zu können. Insofern fand ich die Response von Elisabeth Naurath hier sehr hilfreich, weil sie deutlich gemacht hat, dass eben nicht seit zwei Jahrtausenden im christlichen Kontext von intergenerationellem Lernen gesprochen werden kann, sondern dass die bis in die 1960er Jahren hinein verlaufenden entsprechenden interfamiliären Prozesse wohl eher mit religiöser Sozialisation, ggf. auch religiöser Erziehung, zu beschreiben wären; sie hat hier m.E. angeregt, nochmals semantisch genauer hinzuschauen und unser ja durchaus bereits vorhandenes Vokabular noch genauer in Anschlag zu bringen. Auf diese verschiedenen Punkte möchte ich allerdings zeitbedingt jeweils nicht ausführlicher eingehen, sondern im Folgenden auf nochmals vier Aspekte fokussieren:

a) So scheint mir zunächst ein weitreichender Konsens dahingehend zu bestehen, dass religiöse Bildung an unterschiedlichen Lernorten lebenslang stattfindet, bzw. zumindest: stattfinden soll. Unser Tagungsthema „Religiöse Bildung – ein Leben lang!“ ist so zu Recht mit einem Ausrufezeichen versehen. Insbesondere Henrik Simojoki sowie Bernd Schröder haben darauf hingewiesen und Bernd Schröder hat treffend formuliert, dass hier nicht das „Ob“, sondern das „Wie“ strittig ist. Anders war dies ja beispielsweise bei der im Vorfeld des Reformationsjubiläums stattfindenden GwR-Tagung 2016, die mit dem Titel „Wie evangelisch können Praktische Theologie und Religionspädagogik sein?“ von einer Frage ausging und, das zeigen die in der entsprechenden Theo-Web-Ausgabe versammelten Tagungsbeiträge, von einem vergleichbaren Konsens weit entfernt war (resümierend Conrad & Schwarz, 2016). Nur stellt sich dann andererseits auch die Frage, wer denn eigentlich das Gegenteil vertritt, wer also der Meinung ist, dass religiöse Bildung beispielsweise nur im Kindes- und Jugendalter, nur im schulischen Religionsunterricht oder nur in Christenlehre und Konfirmandenarbeit stattfindet. Die entsprechenden Personen werden wohl maßgeblich in der Vergangenheit, in der Disziplingeschichte der Religions-, und, an dieser Stelle bin ich bedeutend vorsichtiger, der Gemeindepädagogik zu suchen sein; und auch hier wird wohl eher e contrario argumentiert werden müssen, insofern die jahrzehntelange Fokussierung der Religionspädagogik auf den Religionsunterricht und der erst in den letzten Jahren verstärkte Blick auf die Seniorenarbeit in der Gemeindepädagogik ja nicht mit einer expliziten Verneinung der Bedeutung anderer Lernorte und Lebensphasen einherging. Dennoch, also trotz des fehlenden Gegenübers, ist es m.E. gut, sich, so deutlich wie es auf dieser Tagung geschehen ist, zu religiöser Bildung als Prozess zu bekennen, der lebenslang und an unterschiedlichen Lernorten stattfindet. Das disziplingeschichtlich Erreichte, hier möchte ich nochmals Friedrich Schweitzer und Christian Grethlein mit ihren jeweiligen Arbeiten zu einer lebenslangen (u.a. Schweitzer, 1987) und lernortdifferenzierten (u.a. Grethlein, 1998) Religionspädagogik erwähnen, wird so nochmals festgehalten und bekräftigt und es wird Raum eröffnet für die Diskussion von aus der Praxis heraus erwachsenen Problemen – beispielsweise das gewichtige Problem der Nicht-Partizipation, dem sich Carsten Gennerich und im Response Thomas Schlag gewidmet haben –, ebenso wie für Reflexionen, die sich dem Aufbau und der Festigung lernort- und lebensphasenbezogener Expertisen widmen. Hier verweise ich auf den Vortrag von Beate Hofmann von heute Vormittag, die sich der Frage gewidmet hat, wie das Ehrenamt als Ort lebenslangen Lernens wirkt und gestaltet werden kann. Andererseits habe ich an dieser Stelle u.a. den Workshop von Anke Edelbrock vor Augen, in dem wir diskutiert haben, wie religiöse Bildung bereits in der Kindertagesstätte angelegt sein muss, um Kinder ‚fit zu machen‘ für die religiöse und weltanschauliche Pluralität ihrer Lebenswelt.

b) Trotz des eben genannten Konsenses verbleiben freilich, und hier komme ich zum zweiten Punkt, auch grundlegendere Herausforderungen. So hat ja bereits das Einladungsschreiben zu dieser Tagung darauf hingewiesen, dass das in der Religions- und Gemeindepädagogik im Blick stehende „historisch gewachsen[e] Set an religiösen Bildungsbereichen“ insofern problematisch ist, als dass schnell eine einseitige „sektorale Fokussierung“ erfolgt bzw. als dass beim „bestehende[n] Ensemble religiöser Bildungsorte“ auch das „wechselseitig[e] Zusammenspiel“ bedacht werden muss. Hier scheint mir das Einladungsschreiben und mit ihm unsere Tagung einen wichtigen Punkt fokussiert zu haben – zumindest insofern vom lernenden Subjekt her gedacht wird, welches in seiner Bildungsbiografie sowohl in syn- als auch in diachroner Perspektive doch fast immer an mehreren Lernorten Anteil hat –, der bislang in der Tat immer noch wenig Beachtung gefunden hat. Denn werden beispielsweise die vorliegenden, in den letzten zehn Jahren veröffentlichten religions- und gemeindepädagogischen Kompendien eingesehen, zeigt sich, dass in entsprechenden Kapiteln Lernorte von der maßgeblich konfessionell gebundenen Kindertagesstätte über Medien, den Religionsunterricht und die Konfirmandenarbeit bis hin u.a. zu den evangelischen Akademien zwar nebeneinander erörtert (u.a. Kunstmann, 2010, S. 85–162; Adam & Lachmann, 2008, S. 151–462), nur bedingt aber auch in ihrem zeitgleichen wie aufeinander folgenden Zusammenspiel bedacht werden. Dabei ist dies beispielsweise unter dem Stichwort „Systemische“ bzw. „Systemisch-konstruktivistische Religionspädagogik“, die insbesondere von Michael Domsgen vorgeschlagen wurde und die auf unserer Tagung auch mehrfach mit im Blick war, ja keine neue Forderung mehr. Am Beispiel des Religionsunterrichts gesprochen: Dass bei diesem „nicht nur die Kinder und Jugendlichen im Klassenzimmer [sitzen], sondern mit ihnen auch ihr prägendes Nahumfeld, allen vor­an ihre Eltern, Großeltern und Geschwister“ (Domsgen, 2018, S. 415) – und vice versa der Religionsunterricht so auch Bedeutung für die Eltern, Großeltern und Geschwister hat –, wird bei der Planung, Durchführung und Reflexion eines gelingenden Religionsunterrichts mit zu beachten sein; Wolfgang Ilg sprach hier mit Blick auf die Konfirmandenarbeit davon, dass allzu leicht „Inseln gepflegt“ werden. Zu verweisen ist in diesem Zusammenhang insbesondere auf Domsgens grundlegenden Sammelband „Systemische Religionspädagogik“ von 2009 (Domsgen, 2009); und auch auf der schon vorhin benannten AfR-Jahrestagung 2010 wurde systemisches Denkens ja vorgestellt (Domsgen, 2010) und als konsensfähig festgehalten (Käbisch, 2010, S. 234). Und dabei dürfte es eben – nochmals zumindest insofern vom lernenden Subjekt her gedacht wird – wichtig sein, lernortbezogen nicht nur synchron, also mit Blick auf das zeitgleiche Zusammenspiel beispielsweise von Familie und Religionsunterricht und die in diesem Kontext vom Individuum erbrachten Konstruktionsleistungen, sondern auch diachron, von den, wie das Einladungsschreiben formuliert, „Rändern“ der Lernorte sowie von den vorlaufenden und nachfolgenden Lernorten her zu denken. Entsprechend sollte dann beispielsweise in der Konfirmandenarbeit im Blick sein, wie und in welchen Lernorten nach der Konfirmation mit den konfirmierten Jugendlichen weiter gearbeitet werden kann, und es sollte danach gefragt werden, welche im Vor- und Grundschulschulalter in der Familie und in den Medien mit Religion gemachten Erfahrungen der Religionsunterricht der Sekundarstufen zu beachten hat. Ich bringe hier ein Beispiel anknüpfend an meine eigene familiäre Erfahrungswelt: Die Trickfilmserie „Lauras Stern“ dürfte im Alter zwischen ca. vier und sieben Jahren von so ziemlich jedem Mädchen (und sicher auch vielen Jungen) ausführlich konsumiert werden, häufig dabei ritualisiert am Abend vor dem Zu-Bett-Gehen. Namensgeber der Serie ist dabei eben ein Stern, der omnipotente und omnipräsente Charakteristika aufweist und das Mädchen Laura bei den großen und kleinen Problemen des Alltags und Größerwerdens begleitet. Die Parallelen zur christlichen Gottesvorstellung liegen auf der Hand, freilich ebenfalls die Unterschiede – das sollte auch im Religionsunterricht der Oberstufe nicht egal sein (einleitend zur engen Verknüpfung von religiöser Sozialisation und Mediensozialisation Pirner, 2012, S. 159–163). Auch u.a. die Frage, inwiefern religiöse Bildung im Seniorenbereich, aber genauso auch in der Konfirmandenarbeit oder im Religionsunterricht „als Arbeit am Erzähl­rahmen individueller narrativer Identität“ gestaltet werden kann und sollte, bei „der die Möglichkeiten des Sich-Erzählens bzw. des Vom-Leben-Erzählens im kulturellen Umfeld des Christentums zu erweitern versucht“ (Kumlehn, 2018, S. 304, mit spezifischem Blick auf den Religionsunterricht) werden, gehört dann in diesen Kontext einer lebensgeschichtlichen, lebenslauforientierten, biografischen bzw. diachron denkenden systemischen Religionspädagogik, wird doch auch in dieser religiösen Bildungsarbeit die im Einladungsschreiben problematisierte „sektorale Fokussierung“ schnell überschritten, insofern hier vom Individuum in allen seinen Lebensvollzügen ausgegangen wird. Ein solches Denken ist dabei durchaus schon lange vorhanden; hier möchte ich nur erstens nochmals auf das Konzept des sog. Gesamtkatechumenats verweisen, das u.a. der in Erlangen tätige Praktische Theologe Gerhard von Zezschwitz in den 1860er Jahren geprägt hat, und das dann noch bei Kurt Frör vertreten wird (einleitend Bubmann, 2010, S. 35f.) – und welches auf unserer Tagung aufgrund seines stark normierenden, die vorhandenen Brüche ignorierenden Anspruches freilich eher kritisch in den Blick genommen wurde. Zweitens wäre beispielsweise der damals heftig angefeindete sog. Therapeutische Religionsunterricht zu erwähnen, den Dieter Stoodt ab Ende der 1960er Jahre auf den Weg gebracht hat (einleitend Möller, 2016). Aber dieses diachrone systemische Denken dürfte eben, wie u.a. der Blick auf aktuelle religions- und gemeindepädagogische Kompendien zeigt, noch weiter zu stärken sein, wozu unsere Tagung m.E. einen wahrnehmbaren Beitrag geleistet hat. So haben uns Wolfgang Ilg und Karlo Meyer das häufig ‚monolitisch‘ diskutierte Arbeitsfeld „Konfirmandenarbeit“ in die „Perspektive einer lebensbegleitenden Gemeindepädagogik“ gerückt und auf der Basis alarmierender absoluter Teilnahmezahlen u.a. dargelegt, wie wichtig gelingende Freizeiten, sog. Konfi-Praktika, Kompetenzerleben und soziale Eingebundenheit sind, um nach der Konfirmation der sog. Kirchenaustrittsneigung entgegenzuwirken und den Übergang in ehrenamtliche Aktivitäten zu stärken. Wie herausfordernd solche diachronen Perspektiven dabei freilich bleiben, wurde mir im Beitrag von Cordula Artelt, Annette Scheunpflug und Jana Costa bewusst: Auf Basis der Daten des „Nationalen Bildungspanels“ haben sie uns für unsere Arbeit wichtige empirische Befunde vorgelegt, so dass bei Schulen in kirchlicher Trägerschaft die oft kritisierte soziale Selektivität nicht festgehalten werden kann und dass – gemessen am Bücherbesitz – positive Zusammenhänge zwischen Bildung und Religion existieren, insofern evangelische Familien die meisten Bücher im Regal stehen haben. Doch wie werden sich diese Momentaufnahmen nun in diachroner Perspektive darstellen und wie werden sie dann zu bewerten sein? Werden die Kinder dieser bibliophilen evangelischen Eltern in 20–30 Jahren sowohl das Bücherregal wie auch die Kirchenmitgliedschaft ihrer Eltern fortführen? Das wäre dann ja beispielsweise die Position von Michael Domsgen, wenn er ausführt, dass von einer Kontinuität der in der Adoleszenz aufgebauten Orientierungen auszugehen ist und dass gegenwärtig „die generationale Habitustransformation nicht in Ablösung, sondern in Absprache“ (so die schöne Alliteration von Domsgen) mit den Eltern stattfindet. Oder werden hier dann doch nicht eher die säkularisierungsfördernden Effekte von Bildung, die beispielsweise Gert Pickel in seinem jüngst erschienenen Beitrag „Bildungsbürger oder Traditionalisten?“ herausgearbeitet hat (Pickel, 2018), die ‚Oberhand gewinnen‘, so dass der zunächst erfreulich klingende Befund nochmals neu zu durchdenken wäre? Diese Frage wird sich nur mit weiterer empirischer Forschung klären lassen und es ist gut – wir haben es im Vortrag gehört – dass sich beim „Nationalen Bildungspanel“ gerade der Längsschnitt aufbaut und wir in den nächsten Jahren auf viel empirischen Input von dieser Seite her hoffen können. Wir werden das mit hohem Interesse rezipieren.

c) Zugleich, und nun bin ich beim dritten Punkt angekommen, ermöglicht unser vorhin genannter Konsens es auch, kurz über andere, in Analogie zur religiösen Bildung im Kindes- und Jugendalter an der Schule, aber eben zugleich nicht nur an der Schule stattfindende und lebenslange Bildungsprozesse nachzudenken. Ich denke, wir dürfen uns an dieser Stelle vergegenwärtigen, dass wir mit der Einsicht, dass religiöse Bildung als lebenslanger, an unterschiedlichen Lernorten stattfindender Prozess zu sehen ist, im Kanon der Fachdidaktiken – und zumindest die Religionspädagogik ist mit ihrer spezifisch auf den Religionsunterricht bezogenen Teildisziplin der Religionsdidaktik ja durchaus auch Fachdidaktik – doch eine besondere Rolle einnehmen und dies noch verstärkt in den interdisziplinären Diskurs einbringen sollten. So gibt es in der aktuellen sechsten Auflage des Kompendiums „Geschichtsdidaktik“ im einleitenden Grundsatzartikel, ausgehend von Karl Ernst Jeismanns bekannter Definition von Geschichtsdidaktik, der zufolge diese es „zu tun [hat] mit dem Geschichtsbewusstsein in der Gesellschaft“ (zitiert nach Schönemann, 2014, S. 11), zwar durchaus das Statement, dass Geschichtsdidaktik zwar „immer noch auch, aber nicht mehr ausschließlich Unterrichtsfachdidaktik“ (Schönemann, 2014, S. 11f., im Original teils kursiv) ist. Wie jedoch dieses historische Bewusstsein bei familiären Besuchen im Dinosaurierpark, in Comics und Computerspielen, in Kirchgemeinden oder auch in so spannenden Institutionen wie Kirchbauvereinen angebahnt, gefestigt oder hinterfragt wird, sucht man im Kompendium vergebens; und auch die weitere geschichtsdidaktische Literatur hält sich hier bedeckt, so fehlen im „Wörterbuch Geschichtsdidaktik“ von 2014 beispielsweise Lemmata wie „Familie“ oder „Lebenslanges Lernen“ (Mayer u.a., 2014). Ausnahmen sind dabei freilich immer festzuhalten, so der von Michael Sauer et al. herausgegebene Sammelband „Geschichtslernen in biographischer Perspektive“ von 2014 (Sauer u.a., 2014), der mit Beiträgen wie „Geschichtsunterricht – was bleibt? Die Sicht der Schulabgängerinnen und Schulabgänger“ (Daumüller & Seidenfuß, 2014) auch für uns weiterführende Anstöße bereitstellt, insofern diese Frage ja auch an den Religionsunterricht gestellt werden kann und der im Beitrag vorgestellte empirische Zugriff ohne weiteres übertragbar ist. Kurzum: Wir sollten guten Mutes das in Religions- und Gemeindepädagogik ausgeprägte multisektorale, systemisch-konstruktivistisch noch weiter auszuschärfende, in dieser Tagung verstärkt auch diachron profilierte Denken noch stärker in der Diskurs mit anderen Fachdidaktiken einbringen; vice versa dürfte es sich lohnen, auch die entsprechenden Entwicklungen in der Geschichts-, Deutsch- oder Politikdidaktik noch genauer wahrzunehmen. In diesem Zusammenhang scheint mir auch erwähnenswert, dass spezifisch hinsichtlich der GwR in den letzten Jahren eine deutliche Tendenz erkennbar ist, Kooperationstagungen zu veranstalten, so mit der Arbeitsgemeinschaft Katholische Religionspädagogik/Katechetik im Jahr 2014, mit der Fachgruppe Praktische Theologie der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie im Jahr 2016 und dieses Jahr eben mit dem AKGP, ergänzt durch das enge Gespräch mit der Systematischen Theologie auf der GwR-Jahrestagung 2013 und mit der islamischen Religionspädagogik im Jahr 2012. Stets handelt es sich dabei allerdings um theologische Verbände und Disziplinen; dies scheint mir im Umkehrschluss aufzuzeigen, dass unser Gespräch mit nicht-theologischen Diskursen und Verbänden – so der „Konferenz für Geschichtsdidaktik“, um bei der Geschichtsdidaktik zu bleiben – noch ausbaufähig ist und beispielsweise eine Kooperationstagung mit einem nicht-theologischen Fachverband nun sicher ein spannendes Unterfangen wäre.

d) Last but not least, und damit haben wir schließlich den vierten Punkt erreicht, möchte ich – anknüpfend daran, dass wir auf unserer Tagung zumindest kurz auf das neue bayerische Erwachsenenbildungsförderungsgesetz mit seinem parteienübergreifend begrüßten Bildungsbereich „Religiöse Bildung“ sowie die Bildungskonzepte einzelner Landeskirchen zu sprechen gekommen sind – noch kurz auf die in den meisten Bundesländern existierenden sog. Bildungspläne zu sprechen kommen. Auch wenn sie auf unserer Tagung m.E. bislang nicht zur Sprache kamen, scheinen sie mir für unser Thema „Religiöse Bildung – ein Leben lang!“ von hoher Bedeutung zu sein, verfolgen diese Pläne doch das Ziel, „ein durchgängiges Bildungskonzept [zu bieten], das die Bildungsorte und Bildungsansprüche aller Kinder und Jugendlichen bis zum Erreichen der Volljährigkeit miteinander verbindet“ (Thüringer Ministerium für Bildung, Jugend und Sport, o. J.) – so mit Blick auf den „Thüringer Bildungsplan bis 18 Jahre“ aus dem Jahr 2015. Eben dieser Bildungsplan weist dabei auch ein Kapitel „Religiöse Bildung“ auf (Wermke, 2015), welches sich ausgehend von den sog. letzten Fragen der herausfordernden Aufgabe widmet, religiöse Bildung für alle Kinder und Jugendlichen, konfessionell gebundene wie nicht gebundene Kinder und Jugendliche, an allen Lernorten, also beispielsweise auch konfessionell nicht gebundene Kindertagesstätten, zu begründen, und kommt daher unserem Tagungsthema „Religiöse Bildung – ein Leben lang!“ in besonderem Maße nach, zumal diese Bildungspläne zumindest im Bereich der Kindertagesstätten oft nicht ‚nur‘ als pädagogische Ratgeberliteratur fungieren, sondern auch als rechtlich relevante Texte von hoher Relevanz sind. Damit verknüpft ist nebenbei auch die spannende Frage, wie konfessionslose Erzieherinnen und Erzieher zur religiösen Bildungsarbeit mit mehrheitlich konfessionslosen Kindern in einem mehrheitlich konfessionslosen Kontext befähigt werden können; hier möchte ich aus Zeitgründen nur kurz auf die Arbeit der beiden Arbeitsstellen für kultur- und religionssensible Bildung sowie für den Thüringer Bildungsplan des Jenaer Zentrums für Religionspädagogische Bildungsforschung und die entsprechenden Homepages verweisen (einführend Zentrum für Religionspädagogische Bildungsforschung, 2018).

Da die Bildungspläne wie eben skizziert in ihrer Bedeutung kaum unterschätzt werden können, bin ich abschließend so frei und schließe munter und frohgemut mit einer kleinen Hausaufgabe: Prüfen Sie doch daheim einmal – nachdem die Deutsche Bundesbahn Sie pünktlich nach Hause gebracht hat und insofern Sie es nicht ohnehin schon parat haben –, welche Ausführungen Ihr heimischer Bildungsplan zu den Themen „Religion“, „Ethik“, „Philosophie“, „Werteorientierung“, „letzte Fragen“ etc. trifft, und bringen Sie sich, falls demnächst eine Novellierung ansteht, aktiv mit ein, um ein explizit so benanntes Kapitel „Religiöse Bildung“ auch im Bildungsplan Ihres Bundeslandes mit unterzubringen. Für die ganz praktische Umsetzung der in unserem Tagungsthema „Religiöse Bildung – ein Leben lang!“ formulierten Aufforderung dürfte dies von nicht geringer Bedeutung sein.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

Literaturverzeichnis

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Dr. Thomas Heller, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Religionspädagogik und am Zentrum für Religionspädagogische Bildungsforschung der Friedrich-Schiller-Universität Jena.

  1. Für die Veröffentlichung wurde der Vortragsduktus beibehalten. Ergänzt wurden die jeweiligen Literaturverweise. Für Gespräche zur Tagung danke ich herzlich insbesondere Dr. Sara Haen (Tübingen) und Dr. Christian Mulia (Langen/Mainz).