Das Thema der diesjährigen GwR-Jahrestagung, die vom 1.-3. September 2023 in Halle (Saale) stattfand, zielte auf einen Dialog. Genauer: auf den Dialog zwischen Pädagogiken/Didaktiken zweier Fächer, die rechtlich wie organisatorisch eng aneinander gebunden und im „Normalfall“ innerhalb einer Fächergruppe lokalisiert sind. Mit diesem Ziel reihte sich die Tagung ein in das Wording der 1994 wesentlich unter der Federführung von Karl Ernst Nipkow entstandenen EKD-Denkschrift „Identität und Verständigung“, in der es heißt, dass sich beide Fächer nach der Klärung von Sachfragen als „Dialogpartner verstehen“ sollten (S. 78, zit. n. Nipkow, 2003, S. 85), denn – so heißt es bei Nipkow weiter – die „Überschneidungen (beider Fächer, die Autor:innen) sind alles andere als marginal“ (Nipkow, 2003, S. 85). An diesen Überschneidungen hat sich bis heute wenig verändert: Beide Fächer zielen auf daseins- und wertorientierende Fragen und werden auch deshalb in Jürgen Baumerts Modell der Allgemeinbildung gemeinsam einer der vier Welterschließungsperspektiven zugeordnet, die freilich je zu differenzieren ist (Baumert, 2002).

Dennoch stehen der Dialog und die Reflexion des Verhältnisses beider Fächer sowie der Fachdidaktiken bislang nicht im Zentrum fachübergreifender Überlegungen. Einen Meilenstein stellt eine Veröffentlichung zum Wahlpflichtbereich Ethik- und Religionsunterricht in Sachsen-Anhalt aus dem Jahr 2003 dar (Domsgen et al., 2003). 2016 findet sich ein Eintrag von Friedrich Schweitzer zu Kooperationsmöglichkeiten zwischen beiden Fächern in einem Lehrbuch zur Philosophiedidaktik (Schweitzer in Brüning, 2016). Insgesamt ist seit 2003 aber, so konstatiert Schröder 2018, nicht nur die Idee der Fächergruppe (wenngleich jedoch in einigen schulrechtlichen Bestimmungen) in Vergessenheit geraten (S. 365; neu aufgegriffen und für das interreligiöse Begegnungslernen weiterentwickelt bei Böhme, 2023); auch eine wechselseitige Dialogpartnerschaft hat nicht wirklich Fahrt aufgenommen (Schröder/Emmelmann, 2018, S. 9).

Gleichwohl gibt es heute viele Anlässe und viel Potential für einen Dialog: Das Potential kann zunächst in den inhaltlichen Überschneidungen beider Fächer gesehen werden. Darüber hinaus tangieren religionssoziologische Verschiebungen, digitale Transformationen und glokale Entwicklungen – wie zuletzt der Angriff auf die Ukraine und in Israel der Terrorangriff der Hamas, Hate-Speech und Fake News im Internet, religiöse Pluralisierung, Klimafragen – daseins- und wertbezogene Orientierungen, die religions-/ethikdidaktisch je – wenngleich unter unterschiedlichem Vorzeichen – zu bedenken und zu bearbeiten sind. Im Kern geht es um eine wechselseitige Erschließung von religiösen und nichtreligiösen Weltzugängen zu gemeinsamen Themen und Herausforderungen.

Gleichzeitig drücken sich äußere Veränderungsprozesse ganz unmittelbar im Gefüge der Fächer aus, d.h. in der Anzahl und in der Zusammensetzung der Teilnehmenden auch auf der organisatorischen Ebene, was rechtliches, schulpraktisches sowie fachdidaktisches Nachdenken herausfordert.

Seit der mehrperspektivischen Annäherung an die Verhältnisfrage in dem bereits erwähnten Band von Bernd Schröder und Moritz Emmelmann hat das Thema eine neue Dynamik auf Tagungsebene bekommen, etwa wenn in einer 2021 von René Torkler verantworteten Veranstaltung des Forums für die Didaktik der Philosophie und Ethik an der KU Eichstätt-Ingolstadt die (erweiterte) Gretchenfrage für den Ethik- und Philosophieunterricht gestellt wird[1] oder über die Special Interest Group an der Universität Tübingen 2022 in einem Workshop die Quellen des Sinns und damit Fragen von Religiosität, Spiritualität und Ethik in Bildung und Unterricht im Zentrum stehen.[2] Der Band zur Eichstätter Tagung ist mittlerweile im Jahrbuch für Didaktik der Philosophie und Ethik 23/2023 erschienen (Torkler, 2023).

Auch im Fachdidaktikdiskurs werden zunehmend die Perspektiven aus beiden Fächern eingeholt, beispielsweise beim Thema Konfessionslosigkeit (Kropač & Schambeck, 2022) oder im Blick auf die Wahrnehmung des Religionsunterrichts (Domsgen & Witten, 2022). Erkennbar ist auch in empirischen Erhebungen, dass die Perspektiven der Akteure im Ethik- /Philosophieunterricht zaghaft vergleichend in den Blick genommen werden (Schüler:innen: Schweitzer, Wissner & Bohner et al., 2018a; Lehrkräfte: Fuchs et al., ersch. 2024).

Im Oktober 2020 ist außerdem die Gesellschaft für Philosophie- und Ethikdidaktik e.V. (GPED) gegründet worden und wie die GwR ein Mitglied in der Gesellschaft der Fachdidaktik (GFD). Das ist auch Indikator für die weitere Institutionalisierung der Philosophie- und Ethikdidaktik als eigenständige Disziplin.

Im Blick auf die von Nipkow prälongierte Dialogpartnerschaft soll jedoch auch auf (keine Vollständigkeit beanspruchende) crucial points[3] verwiesen werden.

Da wäre zunächst das in historischer Hinsicht spannungsvolle Verhältnis zu nennen (Schweitzer, 2018b, S. 308) und historisch bedingte wechselseitige Unter- wie Überordnungen, die noch nachwirken können (ebd.). Verbunden sind diese vermutlich auch mit der unklaren verfassungsrechtlichen Zuordnung (Schröder, 2018, S. 360) auf der einen Seite und der oben bereits angesprochenen tektonischen Verschiebung der Fächer (so Schröder, 2018, S. 357) auf der anderen Seite. So führt die auch rechtlich bedingte Genese des Faches Ethik ex negativo (so Richter, 2016, S. 17) z.B. zu uneinheitlichen Anforderungen an die Ausbildung der Lehrkräfte für dieses Fach, damit auch zu einem Ringen um Konzept, Anerkennung und Qualitätssicherung (Richter, 2016, S. 18f.) oder eben auch zu Rückfragen an das Hamburger Modell und die Rolle des Ethikunterrichts darin (vgl. Alberts, 2023, S. 7). Im Blick auf den Religionsunterricht sind auch Ängste mit der Wahrnehmung als Konkurrenzverhältnis verbunden, weil mit beiden Fächern konkurrierende Alternativen gegeben sind (so Schröder, 2018, S. 355. 365) und Befürchtungen durch die mittlerweile auch öffentliche positive Wahrnehmung des Ethikunterrichts, z.B. in Meinungsumfragen, wie die Verschiebung der Teilnehmer:innenzahlen verschärft werden können (so z.B. Naurath, 2020, S. 145). Ein weiterer crucial point kann in der Rezeption des Gegenstandes Religion wie in der Frage nach dem angemessenen didaktischen Zugriff zwischen Innen- und Außenperspektive wie zwischen Positionierung und Neutralität gesehen werden. Der Zugriff auf den Gegenstand Religion wird auch innerhalb der Ethikdidaktik im Blick auf die infrage kommenden Bezugsdisziplinen diskutiert (vgl. Alberts, 2023).

Sowohl die zuerst genannten Potenziale wie auch die crucial points zeigen jedoch gleichermaßen an, dass und inwiefern ein Dialog zwischen beiden Fachdidaktiken fruchtbar sein kann. Mit Nipkow soll jedoch auch heute einem etwaigen Verdacht begegnet werden, wonach das Interesse an Dialog und Kooperation auf Seiten der Religionspädagogik taktisch mit dem Rückgang der Kirchenmitglieder verbunden sein könnte (Nipkow, 2003). Demgegenüber macht Nipkow stark, dass es um der gemeinsamen Aufgaben angesichts der Herausforderungen in der uns umgebenden Welt „intensive gemeinsame Qualitätssteigerungen beider Fächer“ braucht (Nipkow, 2003, S. 90). Angewiesen sei ein Dialog nach Nipkow auf eine „methodologische Flurbereinigung“ (Nipkow, 2002, S. 91), um schließlich die Verbundenheit von Moral/Ethik und Religion wie auch das jeweilige Proprium in den Blick nehmen zu können (Nipkow, 2002, S. 91) und „über die Erfahrungen der Menschen (…) um der Sache von Moral wie von Religion willen nachzudenken.“ (Nipkow, 2002, S. 94): Entschärfung, Verstehen wie Anerkennung und gemeinsame Verantwortung für menschenwürdige Lebensverhältnisse, das seien die Dialogvoraussetzungen, so der Autor 2003 weiter (S. 94). Vermutlich sprechen wir heute weniger von Flurbereinigung, merken aber, dass in den Begegnungen der unterschiedlichen Fächer und Fachdidaktiken Vorstellungen und Erwartungen eine Rolle spielen, die sich von der fachlichen Selbstwahrnehmung unterscheiden können. Mit Nipkow könnte der Verweis auf die menschenfreundliche Verantwortungsübernahme bezogen werden auf die Bedeutung wie Chance, die Perspektivwechseln in der Religionspädagogik zugeschrieben wird, nämlich eine zentrale Dimension religiöser Bildungsprozesse mit dem Ziel zunehmender Unterscheidungskraft zu sein. In den Blick kommt dabei auch das zu erlernende Vermögen, Fachzugänge in ihrer Eigenlogik zu erkennen, auf die eigene Fachlogik mit einer Außenperspektive zu schauen und beide zueinander ins (vielleicht kooperative) Verhältnis setzen zu können (im groben Anschluss an Dressler, 2007). Nicht zuletzt die Schüler:innen, die im Religionsunterricht ohne die sogenannte religionsbezogene Binnenperspektive teilnehmen, wie auch die Schüler:innen, die mit religiöser Binnenperspektive im Ethikunterricht sind, könnten davon profitieren.

Kurz: Mit der diesjährigen Jahrestagung war das Ziel verbunden, die Fachlogiken und aktuelle Aufgaben beider Fächer im wechselseitigen Austausch kennenzulernen, anhand gemeinsam angehender Fachfragen miteinander ins Gespräch zu kommen und Kooperationsoptionen zu bedenken. Diesem Anliegen entsprach das Tagungskonzept, da fast alle Themen sowohl aus einer religionspädagogischen wie aus einer ethik- /philosophiedidaktischen Perspektive verhandelt wurden.

Zu den Beiträgen:

Die Tagung begann u.a. mit einer Eröffnung des fachdidaktischen Feldes aus einer religionspädagogischen und einer ethik-/philosophiedidaktischen Perspektive.

Dazu hatte Bernd Schröder (Göttingen) die Aufgabe übernommen, einen Überblick über die religionsdidaktische Diskussion unter der Fragestellung zu geben, inwieweit diese im Blick auf die Ethikdidaktik gesprächsfähig ist. Indem er Einblicke in die inhaltliche und methodische Entwicklung der verschiedenen religionspädagogischen Subdisziplinen, Qualifikationsschriften und Studien gibt, stellt er fest, dass die Religionsdidaktik durch ihre in den letzten vierzig Jahren erarbeitete methodologische Vielfalt, Offenheit für empirische Studien und theoretische Versiertheit gesprächsfähiger denn je ist. Die gesellschaftlichen Entwicklungen und Herausforderungen lassen nachhaltig geführte Gespräche zwischen den beiden Fächern, auch für eine dadurch jeweils angestoßene Selbstreflexion und Positionierung, notwendig erscheinen. Bei allem Gewinn ist es jedoch wichtig, kein friedliches, harmonisches Gespräch zu erwarten, denn besonders mit der schulischen Situation im Blick, geht es auch um Deutungsmacht.

Arne Moritz (Halle) untersucht drei Beispiele aus dem Diskurs über die Kooperation von Ethik- und Religionsunterricht unter dem Gesichtspunkt, wie die Sprechposition der Lernenden formiert wird. Dabei nimmt er das Lernen in der sogenannten Fächergruppe, ein lerngruppenbezogenes „Othering“ sowie eine den Ethikunterricht umfassende, interreligiöse Begegnungspädagogik in den Blick. Moritz arbeitet heraus, welche problematischen Beschränkungen in der Zuwendung der Lernenden zur Sache des Lernens und zu anderen Lernenden durch die genannten „Äußerungsmodalitäten“ im Sinne Foucaults gegeben sind. Damit weist er darauf hin, dass die didaktische Formierung der Sprechposition einen relevanten Gesichtspunkt in der Konzeption und Reflexion von Formaten der Fächerkooperation darstellt.

Aus einem Podiumsgespräch zwischen Karlo Meyer (Saarbrücken), Fahimah Ulfat (Tübingen) und Alexander Nagel (Göttingen) sind drei eigenständige Artikel hervorgegangen, die in dieser Theo-Web-Ausgabe dokumentiert sind. Thema des Podiumsgesprächs waren die Möglichkeiten und Grenzen der Zusammenarbeit im Horizont der Pluralisierung aus der Sicht der drei Fachdidaktiken, für die die Autor:innen stehen: die evangelische Religionsdidaktik (Meyer), die islamische Religionsdidaktik (Ulfat) und die (Didaktik der) Religionswissenschaft bzw. Religionskunde im niedersächsischen Fach „Werte und Normen“ (Nagel).

Karlo Meyer (Saarbrücken) beschreibt in seinem Artikel typische Ressentiments, Störungen und hermeneutische Differenzen bei der Zusammenarbeit von Lehrkräften im Religions-, Ethik- und Philosophieunterricht. Ausgehend vom Begriff der ‚Störung‘ in der Themenzentrierten Interaktion (TZI) entfaltet er die These, dass die TZI einen Beitrag dazu leisten könne, die nicht störungsfreie Zusammenarbeit der drei Fächer zu analysieren und zu optimieren. Einseitige, teilweise stereotype Darstellungen von Religion in Ethiklehrbüchern können beispielsweise als ‚Störungen‘ verstanden werden, ebenso einseitige Wahrnehmungen von christlicher Religion in der islamischen Religionspädagogik und vice versa. Die vorgängige Klärung dieser und anderer ‚Störungen‘ hat damit nicht nur „eine konstruktiv-fokussierende Wirkung im Blick auf die anschließende thematische Arbeit“, sondern macht sie „zum Teil überhaupt erst ermöglicht“.[4] Deutlich wird in diesem Zusammenhang, dass ‚Störungen‘ in allen drei Fächerkulturen zu finden sind und sich wechselseitig bedingen.

Wechselseitige Ressentiments zwischen Ethik-, christlichem und islamischem (Religions)Unterricht sind auch der thematische Fokus des Beitrags von Fahimah Ulfat (Tübingen), darunter das Ressentiment einer starken Positionalität des islamischen Religionsunterrichts auf Kosten der Mündigkeit der daran teilnehmenden Schüler:innen. Als Konsequenz plädiert die Tübinger Religionspädagogin dafür, Mündigkeit als Zielhorizont des islamischen Religionsunterrichts auszuweisen und eine sachangemessene Balance zwischen Positionalität und Zurückhaltung der Lehrerinnen und Lehrer anzustreben. Ziel müsse es ihrer Einschätzung nach sein, dass Lehrkräfte dazu qualifiziert werden, ihre Positionalität im Unterricht transparent zu vertreten, ohne dabei den Eindruck zu erwecken, indoktrinieren zu wollen.

Die Möglichkeiten und Grenzen der Zusammenarbeit von konfessionellem Religions- und Ethikdidaktik werden in dem Beitrag von Alexander-Kenneth Nagel (Göttingen) differenziert beschrieben. Auch wenn gemeinsame Fragestellungen und die allgemeine religiöse und weltanschauliche Pluralisierung eine Kooperation zwischen Religions- und Ethikdidaktik nahelegen, findet diese seiner Wahrnehmung kaum statt. Häufig wird der religionskundliche Unterricht ex negativo in Abgrenzung zum „religiösen Unterricht“ bestimmt; gelegentlich wird der Religionsunterricht bei Vertreter:innen der Ethikdidaktik zur Projektionsfläche für alles, was aus wissenschaftlichen oder ethischen Gründen abzulehnen ist. Die damit einhergehenden, dichotomen Unterscheidungen zwischen einer vermeintlich neutralen, wissenschaftlichen Außenperspektive auf Religion und einer vermeintlich indoktrinären, unwissenschaftlichen Binnenperspektive sind kaum dazu geeignet, das Zusammenspiel von Partizipation und Reflexion bzw. Teilnahme und Beobachtung in schulischen Bildungsprozessen zu erfassen. Als Konsequenz plädiert der Religionswissenschaftler dafür, dass die Religionskunde der akademischen Religionspädagogik zugestehen solle, Bildungsprozesse nach schulischen Standards zu reflektieren und zu gestalten, wie umgekehrt die Religionspädagogik „den spezifischen Bildungsbeitrag der Religionswissenschaft im Kontext der pluralen postsäkularen Konstellation anerkennen“ sollte.[5]

Da die eingangs erwähnten, aber auch viele weitere Herausforderungen (Corona-Krise, Klimafragen, Krieg in der Ukraine, Terrorangriff der Hamas etc.) eine transnationale und internationale Dimension haben, ist es heute immer weniger plausibel, Fragen ethisch-religiöser Bildung allein auf einer nationalen Ebene zu thematisieren. Mit dem Vortrag von Christina Osbeck (Göteborg/Schweden) konnte die nationale Fachperspektive zumindest ansatzweise erweitert werden. In ihrem Artikel kartographiert die Autorin zunächst die vielen unterschiedlichen Modelle ethischer Bildung in Europa mit ihren jeweiligen Fokussierungen. Anschließend geht sie näher auf das schwedische Modell ein, wo ethische Bildung innerhalb des religionskundlichen Faches stattfindet. Dazu analysiert sie anhand von Lehrplänen, dass und wie sich das Verhältnis von ethischer und religiöser Bildung in Schweden entwickelt hat. In dem Zusammenhang problematisiert sie fehlende Verbindungen zwischen beiden Dimensionen. Schließlich stellt Osbeck die Ergebnisse aus zwei empirischen Studien zum ethischen Lernen im schwedischen Religionsunterrichtsmodell vor. In einer spielt der didaktische Zugang über Narrationen eine zentrale Rolle. Aus Osbecks Sicht kommt diesem Zugang zentrale Bedeutung für beide Dimensionen des Faches und ihre Verbindung zu.

Uta Pohl-Patalong (Kiel) und René Torkler (Kiel) reflektieren, dasssichdas Verhältnis zwischen Religions- und Philosophieunterricht komplex und nicht zuletzt durch die ‚Ersatzfachkonstruktion‘ keineswegs spannungsfrei darstellt. Ihre Grundthese ist, dass sich über das Verständnis und die Bedeutung von Positionalität und Neutralität der Lehrkräfte in den beiden Fächern Gemeinsamkeiten und Unterschiede konturierter wahrnehmen lassen. Dabei zeigen sie auf, dass sich ‚Positionalität‘ und Neutralität‘ keineswegs auf das Gegenüber der Fächer aufteilen lassen, sondern Lehrkräfte beider Fächer auf unterschiedlichen Ebenen, wenn auch teils in unterschiedlicher Weise, zur Positionierung herausgefordert werden. Der Beitrag diskutiert diese Varianten von Positionalität für beide Fächer und kommt dabei zu gegenseitigen Lernpotenzialen.

Mit den fachdidaktischen „Geschwister“-Konzepten Kindertheologie und Kinderphilosophie befasste sich u.a. Hanna Roose (Bochum). Roose setzt sich in ihrem Beitrag mit der Frage auseinander, wie Subjektorientierung in den jeweiligen „Geschwister“-Konzepten konzeptionalisiert wird. Für ihre Analyse entwirft sie eine Matrix (stark – schwach und statisch – dynamisch), die ihr als heuristisches Instrument dient. Im Ergebnis attestiert sie beiden Konzepten einen starken Subjektbegriff, entdeckt aber in dem kindertheologischen eine ausgeprägtere Statik, während im kinderphilosophischen die Kontextbedingtheit von Subjekten expliziter bedacht wird. Aufbauend auf diesen Entdeckungen beschreibt Roose die damit verbundenen religionsdidaktischen Ambivalenzen und erklärt sie konkurrenztheoretisch.

Im Abschluss der Tagung stellte Michael Domsgen (Halle) Thesen zum zukünftigen Verhältnis zwischen Ethik-/Philosophie- und Religionspädagogik im Gespräch vor. Dabei geht es Domsgen darum, die Zuordnung beider Fächer abschließend zu reflektieren. Er plädiert vor einer Zuordnung für die Offenlegung sowohl der jeweiligen Sprechposition wie Normalitätsvorstellungen, bevor mit den Gemeinsamkeiten wie Unterschiede, die er vor allem bei den Inhalten und Adressat:innen sieht, gearbeitet werden kann. Diese Arbeit sieht Domsgen nicht in einem unverbundenen Nebeneinander, sondern in einem noch genauer zu bestimmenden Komplementärverhältnis.

Zu den Workshops

In thematisch vielfältigen Workshops wurden bestehende Kooperationsmöglichkeiten sowie das Verhältnis des Ethik- und Religionsunterrichts in internationaler, interreligiöser, empirischer sowie gegenstandsbezogener Perspektivierung reflektiert.

Eva-Maria Kenngott (Bremen) nimmt ihren Ausgangspunkt in der Beliebtheit ethischer Problemstellungen im Ethik- und Religions(kunde-)unterricht. Dabei vertritt sie die These, dass eine jeweils eigene Herangehensweise an ethisches Argumentieren im Zentrum der jeweiligen Unterrichtsformate steht. Sie legt zunächst in Grundzügen dar, wodurch sich ethisches Argumentieren auszeichnet. Vom „Anwendungsbeispiel“ des Schwangerschaftsabbruchs durchleuchtet sie Begründungsressourcen unterschiedlicher Argumentationsstrategien, darunter auch einer religiös begründeten Stellungnahme. Sie kommt zu dem Schluss, dass die verschiedenen Unterrichtsfächer ethische Themen nicht nur unterschiedlich bearbeiten, sondern dass sie auch unterschiedliche Herausforderungen bewältigen müssen, um Schüler:innen für den Umgang mit ethischer und religiöser Pluralität „fit“ zu machen.

Ein gemeinsames Bildungsziel des Ethik- und Religionsunterrichts besteht u.a. darin, Schülerinnen und Schüler zu befähigen, tatsächliche oder potentielle Konflikte auf der Mikro-Ebene der sozialen Interaktion wahrzunehmen, zum Ausdruck zu bringen sowie in einer lebensdienlichen Art und Weise zu reflektieren und zu bearbeiten. Unter dieser Voraussetzung fragen Johanna Hock (Frankfurt am Main)und David Käbisch (Frankfurt am Main) nach typischen Wertorientierungen und (alltags-)ethischen Einstellungen von Evangelischen, Katholischen und Konfessionslosen. In den Blick kommen dabei auch konkreten Praxis- und Lebenszusammenhänge im Umfeld von Familienfesten (Taufe und Konfirmation/Firmung, kirchliche Trauung und Bestattung, Ostern und Weihnachten) sowie szientistische, religionskritische und ethische Einstellungen. Im Spiegel der sechsten Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung (KMU) der EKD kann auf diese Weise die „religiös-säkulare Konkurrenz“ auf der Mikro-Ebene der sozialen Interaktion differenziert beschrieben, in ihrer Konflikthaftigkeit jedoch auch relativiert werden. Die didaktischen Konsequenzen, die sich aus der Analyse der Daten für die Aufgaben ethischer und religiöser Bildung im Religionsunterricht ergeben, werden abschließend in Thesenform zusammengefasst.

Im Zentrum des Workshopbeitrages von Peter Bubmann (Erlangen) steht das Konzept der Lebenskunstbildung auf freiheitstheoretischer Grundlage. Ausführlich führt Bubmann in das Konzept selbst und in die breite disziplinübergreifende Diskussion in Theologie wie auch Philosophie um Lebenskunst ein. Der Autor folgt der Frage, ob und wie sich dieses Konzept möglicherweise als eine Art Brücke zwischen dem Religions- und Ethikunterricht hinsichtlich ethischer Themen, aber auch theoretischer Konzeptionalisierungen in fachdidaktischer Absicht eignen könnte. Dazu denkt der Autor bildungstheoretisch begründet über Wechselbesuche zwischen beiden Fächern nach, um die jeweilige Logik kennenzulernen.

Christian Hild (Saarbrücken) diskutiert in seinem Beitrag ein auf zwölf Schulstunden angelegtes Kooperationsprojekt auf seine (religions)pädagogische und -didaktische Leistungsfähigkeit, dessen pädagogisches Gerüst sich an den Konzepten der „Transdifferenz“ (Ephraim Meir) und der „relationalen Vernunft“ (Pierpaolo Donati) orientiert – beide versuchen, differenten Polen gerade aufgrund ihres Abstands Chancen für ein gemeinsames hermeneutisches Potenzial abzugewinnen. Dabei vertritt Hild die These, dass deren didaktischer Katalysator relevanzorientierte Lernbewegungen bilden, bei denen Schüler:innen selbstbestimmt und selbstwirksam Themen einholen und erschließen. Auf die Darstellung der theoretischen Grundlagen werden vom Autor erprobte praxisorientierte Konkretionen vorgestellt und kritisch reflektiert.

Anhand von häufig geklickten Weihnachtswerbespots von bekannten Einzelhandelsketten arbeitet Thomas Heller (Jena) das Potential für beide Unterrichte heraus, indem er die Sinnangebote dieser Filme eruiert wie reflektiert und sie in einen säkularisierungstheoretischen Rahmen einordnet. Heller zeigt, dass und wie sich das darin medial präsentierte Weihnachtskonzept von dem christlich-biblischen unterscheidet. Ideologiekritisch analysiert der Autor vor allem das präsentierte Idealbild von Familie als möglichen didaktischen Zugangsweg für Ethik- und Religionsunterricht.

Christian Cebulji (Chur) und Eric Petrini (Chur) beschreiben die Situation religiöser Bildung in der Schweiz. Dort wurde vor fünf Jahren im Rahmen des Lehrplans 21 das obligatorische Fach „Ethik-Religionen-Gemeinschaft“ (ERG) eingeführt. Das Fach ist bekenntnisunabhängig und existiert parallel zu fakultativer konfessionell-religiöser Bildung in Schulen und Kirchen. Dieses parallele Miteinander kann besonders mit dem Konzept der Sprachsensibilität fruchtbar gemacht werden, da es – didaktisch versiert angeleitet – zum Perspektivenwechsel anregt. Religiöses Sprechen wird dann im ERG zum Sprechen über Religion und fördert damit die Urteils- und Dialogkompetenz.

Janine Hoffmann (Eisleben-Sömmerda) analysiert Religions- und Ethikschulbücher unter der Fragestellung, wie der problematische, kommerzialisierte Umgang mit sog. Nutztieren (und die damit einhergehende, kulturell konstruierte Unterscheidung zwischen Haus- und Nutztier) thematisiert wird. Besondere Aufmerksamkeit schenkt sie dabei den Illustrationen und Bildern, die Tiere sehr unterschiedlich repräsentieren, zum Beispiel als Individuum, als Herde, als Objekt oder als Subjekt. Nahezu alle Bücher verzichten auf die Schockwirkung der industriellen Massentierhaltung und Massentötung in Schlachthöfen. Es stellt sich daher für beide Fächer, aber auch für den Biologieunterricht u.a. die Frage, wie ein sinnvoller Spagat zwischen möglichst realistischen Abbildungen mit Schockwirkung und einer gefühlsbetonten Hinwendung zu allen (!) Tiere aussehen kann. Die Autorin plädiert in diesem Zusammenhang für einen differenzierten Umgang mit dem Thema im Religions- und Ethikunterricht und formuliert am Ende Fragen zur Diskussion in fachdidaktischen Veranstaltungen und Fortbildungen für den Ethik- und Religionsunterricht.

Die im Workshop von Charlotte Koscielny und Monika Fuchs (Hannover) diskutierten Ergebnisse der Bildungsplananalyse zum Thema Organspende sind dokumentiert unter Koscielny, Ch.; Fuchs, M. (2023): Kommunikation über Organspende als schulischer Bildungsauftrag?! Grundlagen, Bestandsaufnahme und Perspektiven. In: Fuchs, M.; Inthorn, J.; Koscielny, Ch., Link, E.; Logemann, F. (Hg.). Organspende als Herausforderung gelingender Kommunikation. Wiesbaden: Springer VS, 129-153. https://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-658-39233-8_8

Zu den Andachten

Georg Bucher (Halle) und Matthias Stracke-Bartholmai (Akademie des VRK) reflektieren wie meditieren in ihren Andachten für den Samstag- und Sonntagmorgen zum einen die Erstbegegnung mit Kirchenräumen aus der Sicht von nichtchristlichen Schüler:innen und das Potential von Gottesdiensten für ethische Lern- und Bildungsprozesse. Musikalisch hat Gotthard Fermor die Andachten gestaltet.

Zu den Postern

Einige der vom Graduiertennetzwerk vorgestellten Poster mit aktuellen Forschungsprojekten sind auf unserer Homepage digital unter folgendem Link einzusehen: https://gwr.education/nachwuchsarbeit/

Am Schluss noch ein Wort zum Tagungsort: Mit Halle an der Saale wurde im Blick auf das Verhältnis beider Fächer/Fachdidaktiken ein Ort in einem Bundesland gewählt, in dem rechtlich ein Wahlpflichtverhältnis zwischen beiden Fächern besteht, wie es bereits 1994 auch von der EKD präferiert wurde. Ein Ort in einem Bundesland, in dem vor 31 Jahren Ethik- und Religionsunterricht 1992 gemeinsam als ordentliche Lehrfächer (neu) eingeführt worden sind und sich das Verhältnis der Teilnehmer:innenzahlen in einem fast diametralen Verhältnis zu dem in vielen der sogenannten alten Bundesländer befand und befindet. Über die Rolle des historischen Kontextes und die soziokulturellen Voraussetzungen für das Verhältnis der jeweiligen Fachdidaktiken und Fächer wurde im Laufe der Tagung mehrfach gesprochen.

Die Tagung fand innerhalb der Franckeschen Stiftungen in Haus 30, dem ehemaligen Papierlager von A. H. Francke und der heutigen Theologischen Fakultät statt – ein Ort, der europaweit als einzigartiger Bildungskosmos beschrieben wird, welcher mit seinen vielen Quellen zur Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit das Weltwissen von 1700 beinhaltet, der mehr ist als ein Museum und ursprünglich mit dem theologisch motivierten Ziel gegründet wurde, die Not der Waisen zu lindern, ihnen durch Bildung eine von Almosen unabhängige Lebensperspektive zu eröffnen und damit die Gesellschaft zu verbessern. Die Stiftungen sind bis heute ein Ort, in dem es in pädagogischen wie sozialen Projekten darum geht, in interdisziplinärer und internationaler Weise die Beteiligung an demokratischer Bildung zu ermöglichen, gesellschaftliche Partizipation zu fördern und zu nachhaltigem Handeln zu inspirieren. Kurzum: Die GwR hätte für die Fragestellung der Jahrestagung 2023 und den damit einhergehenden Bildungs- und Gestaltungsanspruch keinen besseren Ort finden können.

 

Für den GwR-Vorstand

Susanne Schwarz, Ulrike Witten, David Käbisch, Laura Weidlich

 

Verwendete Literatur

Alberts, W. (Hg.) (2023). Handbuch Religionskunde in Deutschland. De Gruyter: Berlin/Boston.

Baumert, J. (2002). Deutschland im internationalen Bildungsvergleich. In: N. Killius/J. Kluge/L. Reisch (Hg.), Die Zukunft der Bildung. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 100-150.

Domsgen, M., Hahn, M., & Raupach-Strey, G. (Hg.) (2003). Religions- und Ethikunterricht in der Schule mit Zukunft. Bad Heilbrunn/Obb.: Klinkhardt.

Domsgen, M. & Witten, U. (Hg.) (2022). Religionsunterricht im Plausibilisierungsstress. Interdisziplinäre Perspektiven auf aktuelle Entwicklungen und Herausforderungen. Bielefeld: transcript.

Domsgen, M. (2023). Religionspädagogik und Ethik-/Philosophiedidaktik - Critical points und grundlegende Fragen im Blick auf ihre Zuordnung und mögliche Kooperationen auf Fächerebene. Tagungsthesen. In: Theo-Web 2(2023).

Dressler, B. (2007), Performanz und Kompetenz. Thesen zu einer Didaktik des Perspektivenwechsels. In Theo-Web. Zeitschrift für Religionspädagogik 6 (2007), H. 2, S. 27-31.

EKD (Hg.) (1994). Identität und Verständigung. Standort und Perspektiven des Religionsunterrichts in der Pluralität. Eine Denkschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland, online: https://www.ekd.de/ekd_de/ds_doc/identitaet_und_verstaendigung_neu.pdf (Zugriff: 28.11.2023).

Fuchs, M./Hohensee, E./Schröder, B./Stephan, J.: Religionsbezogene Bildung in Niedersächsischen Schulen (ReBiNiS). Eine repräsentative empirische Untersuchung. Stuttgart ersch. 2024.

Kropač, U./Schambeck, M. (Hg.) (2022). Konfessionslosigkeit als Normalfall. Religions- und Ethikunterricht in säkularen Kontexten. Freiburg u.a.: Herder.

Naurath, E. (2020). Ethische Bildung im Religionsunterricht. In F. Schweitzer, F./G. Wissner/A. Bohner, A. (Hg.), Jugend – Glaube – Religion. Eine Repräsentativstudie zu Jugendlichen im Religions- und Ethikunterricht. Münster/New York 2018, S. 145-153.

Nipkow, K.E. (2003). Religionsunterricht und Ethikunterricht - „Dialogpartnerschaft“ in einer zerstrittenen Welt. In M. Domsgen, M. Hahn & G. Raupach-Strey (Hg.), Religions- und Ethikunterricht in der Schule mit Zukunft. Bad Heilbrunn/Obb.: Klinkhardt, S. 85-105.

Richter, P. (Hg.) (2016). Professionell Ethik und Philosophie unterrichten. Ein Arbeitsbuch. Kohlhammer: Stuttgart.

Schröder, B. & Emmelmann, M. (Hg.) (2018). Religions- und Ethikunterricht zwischen Konkurrenz und Kooperation. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

Schröder, B. (2018). Religions- und Ethikunterricht - eine Fächergruppe? Ein Plädoyer. In B. Schröder & M. Emmelmann (Hg.), Religions- und Ethikunterricht zwischen Konkurrenz und Kooperation. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, S. 355 - 376.

Schweitzer, F. (2016): Kooperation zwischen Ethik/Philosophie und Religion. In B. Brüning (Hg), Ethik/Philosophie Didaktik. Praxishandbuch für die Sekundarstufe I und II. Berlin: Cornelsen, S. 49-59; 2023 in 4. Auflage erschienen.

Schweitzer, F./Wissner, G./Bohner, A. et al. (2018a). Jugend – Glaube – Religion. Eine Repräsentativstudie zu Jugendlichen im Religions- und Ethikunterricht. Münster/New York.

Schweitzer, F. (2018b): Religions- und Ethikunterricht. Gegen-, Neben- oder Miteinander? In B. Schröder & M. Emmelmann (Hg.), Religions- und Ethikunterricht zwischen Konkurrenz und Kooperation, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

Torkler, R. (Hg.) (2023). "Wie hast Du's mit den Religionen?" Religion und Bildung im Ethik- und Philosophieunterricht. (= Jahrbuch für Didaktik der Philosophie und Ethik 23/2023, zusammen mit Markus Tiedemann) Dresden: Thelem.

 

  1. www.ku.de/zrkg/nachrichten/wie-hast-dus-mit-den-religionen (Zugriff: 28.11.2023).

  2. uni-tuebingen.de/einrichtungen/zentrale-einrichtungen/internationales-zentrum-fuer-ethik-in-den- wissenschaften/forschung/ethik-und-bildung/workshop-quellen-des-sinns/ (Zugriff: 28.11.2023).

  3. In der Bezeichnung ähnlich Michael Domsgen in den Abschlussthesen zur Tagung in dieser Tagungsdokumentation, 2023.

  4. So Karlo Meyer in seinem Beitrag in der vorliegenden Tagungsdokumentation.

  5. So Alexander-Kenneth Nagel in der vorliegenden Theo-Web-Ausgabe.