Der Religionsunterricht hat derzeit viele anspruchsvolle Baustellen, darunter

  • die Frage nach der Architektur seiner Inhalte oder gar nach der „Architektur des Religiösen“ (Englert, 2020, 13 u.ö.): Trotz Kompetenzorientierung und Heterogenitätsorientierung spiegeln Lehrpläne noch immer i.W. Struktur und Themen einer evangelischen Dogmatik, obwohl didaktisch längst Subjektorientierung und Pluralitätsfähigkeit großgeschrieben werden.

  • die Frage nach einer angemessenen organisatorischen und konzeptionellen Gestalt: Gesucht wird eine Form, die sich möglichst auf Art. 7.3 GG berufen kann und zugleich der religiös-weltanschaulichen Pluralität und Fluidität der Schüler:innen Rechnung trägt und zudem der schulischen Öffentlichkeit einleuchtet – als Beispiel sei das Experiment eines „Christlichen Religionsunterrichts“ in Niedersachsen aufgerufen (dazu Heinig u.a., 2023).

  • die Frage nach seiner Qualität (vgl. Schweitzer, 2020, und Schweitzer / Rutkowski, 2022): Diese Qualität ist auf der einen Seite gefährdet durch Passungsschwierigkeiten zwischen vorgesehenen Inhalten und Interessen der Schüler:innen, auf der anderen Seite durch eine ebenso überkomplexe wie unzureichend zielgenaue Bildung für den Religionslehrer:innen-Beruf (um von fachfremd oder von Studierenden oder sog. Quereinsteiger:innen erteiltem Unterricht ganz zu schweigen – vgl. dazu Hailer u.a, 2023),

  • und nicht zuletzt die Frage nach dem Verhältnis zum Nachbarfach „Ethik“ (dazu etwa Schröder/Emmelmann, 2018, und Kropač/Schambeck, 2022) und, so möchte ich hinzufügen, nach der Einbettung des Religionsunterrichts in das Fächerportfolio und das Selbstverständnis der Schule (und zwar sowohl der Schule als „System“ als auch jeder einzelnen Schule).

Im Rahmen dieser Tagung soll es nicht um all diese Fragen gehen, sondern „nur“ um das Verhältnis zwischen Religions- und Ethikunterricht:Dieses bewegt sich – heute noch mehr als vor einigen Jahren – zwischen „Konkurrenz und Kooperation“ (Schröder/Emmelmann, 2018, Titel). Die Konstellation lässt sich vorläufig mit Hilfe von drei Stichworten charakterisieren: wachsende Konkurrenz, gelegentliche Kooperation und problematische Gemengelage.

Die wachsende Konkurrenz bildet sich etwa darin ab,

  • dass die Zahl der Schüler:innen, die am Ethikunterricht teilnehmen, in vielen Bundesländern steigt (und analog zu den allgemeinen religionsdemografischen Verschiebungen aller Voraussicht nach weiter steigen wird) und die Teilnahmelogik der Schüler:innen längst nicht mehr linear ihrer konfessionell-weltanschaulichen Herkunft folgt, sondern veränderlichen Präferenzentscheidungen, die für die Lehrenden Konkurrenzdruck erzeugen,

  • dass dem einen Ethikunterricht mittlerweile vielerorts eine Mehrzahl von Religionsunterrichten gegenübersteht und deshalb weder in der Schule noch in der didaktischen Theorie eine schlichte Zwei-Fach-Konstellation zu bearbeiten ist, sondern eine Mehr-Fächer-Konstellation, die das Verhältnis von Religion(en) und Moral bzw. Theologie, Religionswissenschaft und Ethik ebenso aufruft wie das Verhältnis der Religionen und Konfessionen untereinander,

  • dass sich das Verhältnis von Ethik- und Religionsunterricht regional extrem unterschiedlich darstellt: Während in ostdeutschen Bundesländern wie Sachsen-Anhalt fraglos Konfessionslosigkeit den gesellschaftlichen Grundton vorgibt und der Ethikunterricht das Leitfach ist, verhält es sich in vielen westdeutschen Flächenländern (noch) anders (vgl. zur Kartografie Rothgangel/Schröder, 2020) – allgemeine Aussagen laufen deshalb große Gefahr missverstanden zu werden. (Im Zweifelsfall beziehe ich mich auf die niedersächsischen Verhältnisse, in denen „Werte und Normen“ zwischen einem Viertel und einem Drittel der Schüler:innen einer Schulform erreicht – Tendenz steigend – vgl. dazu Rothgangel/Schröder 2020, 239-268, und Comenius-Institut, 2019, passim.)

  • und dass es in einem zunehmend religionskritischen gesellschaftlichen Umfeld zusehends nicht nur um das Verhältnis zweier Fächer geht, sondern um Akzeptanz und „Deutungsmacht“ von Religionen und säkularer Ethik. In der Konstellierung von Religions- und Ethikunterricht bildet sich auch die Auseinandersetzung zwischen religiöser und areligiöser bzw. konfessionsloser Lebensdeutung und -führung ab (vgl. dazu EKD, 2020, und die Auseinandersetzung damit in Schröder, 2021). Wurde religiöse Bildung traditionsgemäß – gesellschaftlich und schulisch – lange als Teil von allgemeiner Bildung wertgeschätzt, scheint mir in der schulischen Öffentlichkeit, sprich: unter Lehrer:innen, mittlerweile vielerorts fraglich geworden zu sein, ob im Rahmen schulischer Bildung die theologisch gebildete Vernunft überhaupt zur Geltung und Religion in ihrem Selbstverständnis zur Sprache kommen soll.

Während sich also dergestalt die Konkurrenz auflädt, entstehen zugleich mancherorts Initiativen der Kooperation: gemeinsame Fachkonferenzen, gemeinsame Werbung für die ‚Fächergruppe‘, temporäre unterrichtliche Zusammenarbeit und Projekte, gemeinsame schulische Veranstaltungen wie etwa die „Gedankensprünge“ am Göttinger Hainberg-Gymnasium und, insbesondere an Gesamtschulen und Berufsbildender Schulen, die (rechtlich nicht vorgesehene) Zusammenlegung des Unterrichts zum Themenkreis Religion und Ethik (vgl. dazu etwa Fuchs u.a., 2023).

Neben Konkurrenz und Kooperation möchte ich als dritten Faktor eine problematische Gemengelage benennen. Während – insbesondere auf Seiten von Religionslehrenden – nicht selten ein mangelndes Differenzbewusstsein begegnet, dass sich etwa darin niederschlägt, dass ‚gelernte‘ Religionslehrer:innen von ihrer Schulleitung aufgefordert werden auch den Ethikunterricht zu erteilen und dem auch entsprechen, verschwimmt die wesentliche Asymmetrie der Fächer bzw. ihrer Gegenstände: Religion ist dem eigenen Selbstverständnis nach etwas Anderes und ‚mehr‘ als Moral. Ethik ist deshalb zwar ein Thema im Religionsunterricht unter mehreren, doch will und soll RU nicht in ethischer Orientierung oder gar Wertevermittlung aufgehen (exemplarisch dazu Dressler, 2020); Religionen kommen deshalb im Ethikunterricht zwar als ein möglicher Referenz- und Begründungsrahmen von Ethik zur Sprache, nicht aber in ihrem Selbstverständnis und in der ihnen eigenen Struktur als von Gott eröffnete Relation.

Diese Lage nehme ich als Folie, vor der ich meine Überlegungen anstelle. Mein Votum geht dahin, dass die Religionsdidaktik den Ethikunterricht und das Gespräch mit der Ethik- und Philosophiedidaktik als Herausforderung ernster nehmen muss als sie es bislang tat – vorderhand um eine konstruktive und für Schüler:innen möglichst bildsame Gestaltung des Verhältnisses von Religions- und Ethikunterricht in der Schule zu modellieren, hintergründig um der (von ihr unterstellten) existentiellen Schlüsselfrage auf der Spur zu bleiben, ob und worin ein „Mehrwert“ einer Inanspruchnahme von (christlicher) Religion für die Lebensdeutung und -führung besteht.

Ressourcen für ein solches Gespräch sind auf Seiten der Religionsdidaktik(en) vorhanden – sie müssen allerdings auch mobilisiert und genutzt werden. Angesichts der jüngeren Geschichte beider Fächer und gewachsener Ressentiments (vgl. dazu die Beiträge von Karlo Meyer, Alexander-Kenneth Nagel und Fahimah Ulfat in dieser Tagungsdokumentation), angesichts der tatsächlichen religiös-weltanschaulichen Differenzen, die in den Fächern mitschwingen, und angesichts des realen Ringens um Beliebtheit, Stundenanteile und Deutungsmacht ist kein schiedlich-friedliches Gespräch zu erwarten.

1 Fachgeschichtliche Momentaufnahme

Auch wenn ich Gefahr laufe dabei allzu holzschnittartig vorzugehen, will ich mit einem Blick in die fachliche Zeitgeschichte einsetzen: Vor vierzig Jahren, in den 1980er Jahren, befanden sich beide Disziplinen, die Religionsdidaktik wie die Philosophie-/Ethik-Didaktik, an einem deutlich anderen Punkt ihrer Entwicklung als heute. An zwei Indikatoren, an sog. Lehrbüchern und an Professuren beider Fächer, will ich das kurz in Erinnerung rufen:

  • Lehrbücher der Ethikdidaktik waren seinerzeit noch Mangelware: Sofern es welche gab, wurden sie von Theologen verfasst – ein prominentes Beispiel ist die zweibändige „Ethikdidaktik“ des seinerzeitigen Münsteraner Religionspädagogen Heinz Schmidt (Schmidt, Ethikdidaktik, 1982/84), der zeitgleich und strukturanalog auch eine „Religionsdidaktik“ verfasste (Schmidt, Religionsdidaktik, 1982/84).
     
    Eines der maßgeblichen Referenzwerke für den Ethikunterricht wurde kurz darauf das „Handbuch religionswissenschaftlicher Grundbegriffe“ (Cancik u.a., 1988-2001), das 2021 von der WBG neu aufgelegt wurde – darin fand bzw. findet sich ein Beitrag zur „Didaktik der Religionswissenschaft“ von Sigurd Körber, der das anfangshafte Stadium entsprechender Überlegungen und die Notwendigkeit eines Neuansatzes herausarbeitete (Körber, 1988).

    Der religionspädagogische Diskurs wiederum war seinerzeit deutlich auf Religions-didaktik fokussiert – am deutlichsten daran erkennbar, dass „Religionspädagogik“ und „Religionsdidaktik“ weithin synonym gebraucht wurden. Maßgebliche Orientierungskraft gewann das 1984 erstmals veröffentlichte „Religionspädagogische Kompendium“ von Gottfried Adam und Rainer Lachmann (Adam & Lachmann, 1984); weitere Lehrbücher galt es mit der Lupe zu suchen – die einschlägigen Arbeiten von Heinz Schmidt, Christian Grethlein, Norbert Mette, Karl Ernst Nipkow und Günter R. Schmidt, die je auf ihre Art die Religionspädagogik als eine Disziplin kartografierten, die über Religionsdidaktik hinausgeht, erschienen erst in den 1990er Jahren.
    Heute hingegen gibt es eine beachtliche Zahl an Lehrbücher sowohl der Ethik- und Philosophiedidaktik (vgl. deren Besprechung in Schröder, 2019) als auch der Religionspädagogik und -didaktik. Es kommt insofern nicht mehr in Betracht für das jeweils andere Fach zu sprechen.

  • Professuren für Philosophie- und Ethikdidaktik (und grundständige Studiengänge für Ethik-Lehrer:innen) gab es, wenn ich nicht fehlgehe, seinerzeit nicht.
    Auch die Religionspädagogik war an Instituten wie Fakultäten noch keineswegs so sichtbar wie heute; erst 1997 erschienen die Empfehlungen der Gemischten Kommission zur Reform des Lehramtsstudiums Evangelische Religion, die unter dem Titel „Im Dialog über Glauben und Leben“ forderten, dass ein Institut für ev. Theologie über nicht weniger als drei Professuren verfügen und davon eine der „Religionspädagogik“ gewidmet sein soll (und das an jeder Theologischen Fakultät „ein Lehrstuhl für Religionspädagogik erforderlich“ sei – Lenhard u.a., 2019, 156f.).
    Demgegenüber gibt es inzwischen in der Bundesrepublik schätzungsweise zwei Dutzend Professuren (mit zumindest anteiliger Zuständigkeit) für Philosophie-, Ethik- und Religionswissenschaftsdidaktik, zudem mit der – 2020 gegründeten – „Gesellschaft für Philosophie- und Ethikdidaktik“ einen eigenen Fachverband. An Instituten und Fakultäten für evangelische Theologie haben wir 53 Professuren mit Schwerpunkt Religionspädagogik (vgl. Schröder, 2019, 147 und 155), zudem eine ähnliche hohe Zahl an Instituten und Fakultäten für katholische Theologie – um von den knapp zehn Professuren für islamische Religionspädagogik und der einen Professur für jüdische Religionspädagogik sowie vereinzelten Dozenturen für orthodoxe und alevitische Religionspädagogik ganz zu schweigen. Religionsdidaktik also gibt es diesem Sinne nur noch „im Plural“.

    Diese Pluralisierung der Religionsunterrichte und Religionspädagogiken verändert – wie eingangs angedeutet – auch die Gesprächslage mit der Ethik- und Philosophiedidaktik in grundlegender Weise. Denn Ethik-.und Philosophiedidaktik begegnen nicht mehr allein der individuellen Pluralität religionspädagogischer Positionen, sondern zudem einer infrastrukturellen und denominationalen Pluralität. Dank ihrer können und müssen Ethik- und Philosophiedidaktik wählen, mit welcher Religionspädagogik sie ins Gespräch treten – und die jeweilige Religionspädagogik muss aus Respekt vor der gegebenen Religionspluralität und aus forschungsethischen Gründen lediglich für sich selbst sprechen, nicht aber für „die“ Religionspädagogik bzw. -didaktik.

Mit anderen Worten: Beide Disziplinen, Religionspädagogik bzw. -didaktik wie Philosophie-/Ethik-Didaktik, stehen im Jahr 2023 vergleichsweise gut da. Sie verfügen über Infrastruktur bzw. Professuren, Foren und Medien, scientific communities mit einigermaßen hinreichend großer kritischer Masse und eigenen Rekrutierungswegen, kurzum: mit disziplinärem Status (vgl. zu den Kriterien Schröder, Göttinger Religionspädagogik, Einleitung). Insofern sind sie heute besser denn je zuvor überhaupt in der Lage, miteinander ins Gespräch zu treten.

2 Bemerkungen zum Stand der Religionsdidaktik

Im Blick auf die Lage der Dinge in der Religionsdidaktik konzentriere ich mich exemplarisch auf deren publizistischen Output.

Dieser ist im deutschsprachigen Raum beträchtlich und sogar wachsend – ein Umstand, der keineswegs selbstverständlich ist: Religionspädagogik / Religious Education ist in etlichen anderen europäischen Ländern – insbesondere in England und in den Niederlanden – institutionell und publizistisch im Niedergang begriffen.

Einen Überblick über die publizistische Entwicklung seit den 1980er Jahren geben etwa die Literaturberichte in der Theologischen Rundschau, vgl. Schmidt, G., 1982, 1990 und 1999 sowie Schröder, 2017/18.

Im deutschsprachigen Raum stehen allein fünf Periodika mit dezidiert theoriebildendem und das gesamte Fach betreffendem Anspruch zu Buche (Jahrbuch der Religionspädagogik = JRP, Österreichisches Religionspädagogisches Forum = ÖRF, Religionspädagogische Beiträge = RpB, Theoweb. Zeitschrift für Religionspädagogik, und: Zeitschrift für Pädagogik und Theologie = ZPT), etliche ganz oder ausschließlich der Religionspädagogik gewidmete Buchreihen (Arbeiten zur Religionspädagogik, Göttingen, Glaube – Wertebildung – Interreligiosität, Münster, Praktische Theologie heute, Stuttgart, Praktische Theologie in Geschichte und Gegenwart, Tübingen, Religionspädagogik in pluraler Gesellschaft, Paderborn, Religionspädagogik innovativ, Stuttgart, Religious Diversity and Education in Europe, Münster, Studien zur religiösen Bildung, Leipzig) und schätzungsweise 600 Buchpublikationen pro Dekade; vgl. Schröder, 2023).Die Zahl wie die Volumina der Bücher sind steigend (ein Trend, der durch die voranschreitende e-Publishing noch beschleunigt wird), allerdings ist die Zahl der Leser:innen (meinem Eindruck nach) sinkend.

Vor diesem Hintergrund ist es einigermaßen vermessen, den Stand des religionspädagogi-schen Diskurses skizzieren oder gar beurteilen zu wollen. In einiger Beherztheit will ich es thesenhaft versuchen – man möge es nicht als Urteil über einzelne Kolleg:innen bzw. deren Leistungen verstehen, sondern als Versuch einer Kartografie, die zur Erschließung und zum Gespräch über den zukünftigen Weg einlädt (vgl. Schröder, 2023, S. 61–64).

1. Relgionsdidaktik ist nach wie vor die Schlüsseldisziplin innerhalb der Religionspädagogik. Geschätzt zwei Drittel der genannten Publikationen (Bücher, theoriebildende Zeitschriften) widmen sich ihr – und ihr Anteil am Portfolio religionspädagogischer Veröffentlichungen liegt noch weitaus höher, wenn man multiplikativ-praxisorientierte Zeitschriften, Praxismaterialien und Unterrichtshilfen einrechnet.

Trotz aller Monita, denen zufolge die Religionspädagogik ihre Konzentration auf Schule und Unterricht überwinden müsse, hat sich an diesem Sachverhalt kaum etwas geändert – weder die Formierung der Gemeindepädagogik noch der Ruf nach einer Theorie des religiösen Schullebens, weder das Desiderat eine Religionspädagogik digitaler Medien noch all die vor allem historischen und empirischen Projekte im Zeichen der Drittmittelorientierung konnten an der Dominanz der schulbezogenen Religionsdidaktik etwas ändern.

Diese Beharrungskraft der Religionsdidaktik ist also bemerkenswert – und sachlich keineswegs selbstverständlich, auch wenn sich Gründe dafür anführen lassen, u.a. die folgenden zwei:

  • Die Dominanz der Religionsdidaktik erklärt sich i.W. daraus, dass der Sitz im Leben der Religionspädagogik nach wie vor die akademische Qualifikation von Religionslehrer:innen für einen Religionsunterricht auf der Basis von Art. 7.3 GG ist. Andere religionspädagogisch konnotierte Berufsqualifikationen – diejenige von Erzieher:innen, Diakon:innen / Katechet:innen und auch von Pfarrer:innen – stehen dahinter quantitativ und qualitativ deutlich zurück und sind in der religionspädagogischen Theoriebildung weitgehend unsichtbar.

  • Zudem ist es die Religionsdidaktik, die Religionspädagogik mit anderen Fachdidak-tiken verbindet – die Entstehung einer „Gesellschaft für Fachdidaktik“ (gegr. 2001) mit derzeit 31 Mitgliedsverbänden verleiht dem ebenso Ausdruck wie die Kartografie der „Formate fachdidaktischer Forschung“ (Rothgangel/Riegel, 2020). Als umfassende Theorie religiöser Bildung, Erziehung und Sozialisation, die eine Mehrzahl an Lernorten thematisiert (so etwa Schröder, 2012/2021), steht sie hingegen in der Wissenschaftslandschaft analogielos – oder anders gesagt: ohne Verbündete und weithin auch ohne Resonanzraum– da.

Die Konzentration der Religionspädagogik auf Religionsdidaktik ist also einerseits angemessen, schön und gut. Andererseits wirft sie Fragen auf. Zumindest zwei miteinander zusammenhängende Fragen seien benannt:

  • Wenn es in einem pluralen, religiös-weltanschaulich fragmentarisierten Kontext darum geht, „religiöse Bildungsbiografien“ zu „erschließen“ (vgl. EKD, 2021): Kann es sich die Religionspädagogik dann erlauben zu Gunsten der Schule und der Bildung 6-18-Jähriger andere Lernorte, Altersgruppen und Lerntypen, namentlich informelles und non-formales Lernen, weitestgehend unbedacht zu lassen? Die Frage stellen, heißt sie mit „Nein“ zu beantworten. Es wäre an der Zeit, die religiös relevanten Lern-Landschaften auszuloten, in denen sich nicht zuletzt auch Kinder und Jugendliche außerschulisch bewegen.

  • Wäre es angesichts der Krise des Religionsunterrichts nach Art 7.3 GG, die über kurz oder lang zu einer De-Konfessionalisierung des Unterrichts und einer Ent-Theologi­sierung der Religionslehrer:innen-Bildung führen wird, nicht an der Zeit, in der deutschsprachigen Religionspädagogik eine religionspädagogische Doppelstrategie zu entwickeln, also Theorien zu bilden einerseits für einen religionsbezogenen Unterricht, der in der Schule – etwa im Rahmen von Ethikunterricht, etwa im berufsbildenden Kontext – keine religionsgemeinschaftsbezogene Funktion mehr erfüllt, sondern eine allgemein bildende bzw. propädeutisch-informative Rolle spielt, und andererseits für eine stärker deiktische, erfahrungsorientierte Gemeinde-, Familien- und Lernortpädagogik, die sich der Frage widmet, wie die Inanspruchnahme des Christlichen für Deutung und Führung des Lebens erschlossen und plausibilisiert werden kann.

2. Unter den weiteren „Subdisziplinen“ der Religionspädagogik erfährt in jüngster Zeit insbesondere die empirische Religionspädagogik und -didaktik einen Aufschwung – ablesbar an einer Fülle einschlägiger Studien, am Erscheinen von methodologischer Literatur und vor allem an der argumentativen Betonung der Unverzichtbarkeit empiriebasierter Einsichten (vgl. dazu Schröder, 2019).

Allerdings ist die Reichweite empirischer Einsichten alles in allem noch immer begrenzt: Zwar haben sie einen hohen heuristischen Wert, zwar entfalten sie ein beeindruckend kritisches Potential (etwa indem sie den hohen Ansprüchen des Religionsunterrichts nüchtern dessen Wahrnehmung durch Schüler:innen, Religionslehrer:innen und Öffentlichkeit gegenüberstellen), zwar weisen sie eindrücklich die tatsächliche Komplexität religiöser Lehr-Lern-Prozesse nach – doch erlauben sie schwerlich Schlüsse etwa im Blick auf das schüler- und situationsgemäße Handeln von Religionslehrenden, auf das „Outcome“ von schulischen Religionsunterricht nach 10 oder 13 Jahren, auf die bestmögliche Organisationsform des RU, auf material-inhaltliche Essentials des RU z.B. im Gegenüber zum EU.

Fraglos ist es gut, dass Religionspädagogik weitaus stärker als noch vor 20 Jahren als empirisch arbeitende Disziplin sichtbar wird. Allerdings bin ich skeptisch – und der Blick auf die Erträge empirischer Bildungsforschung insgesamt nährt diese Skepsis – , ob empirische Religionspädagogik mehr sein kann als ein Faktor religionspädagogischer Urteilsbildung unter anderen – ein Faktor zudem, der prinzipiell rückblickend angelegt ist und womöglich prophetische, aber keine präskriptive Kraft entfalten kann und soll (vgl. auch die prinzipiell-skeptischen Bedenken des jüngst verstorbenen Kollegen Bernhard Dressler – Dressler, 2020, S. 8 u.ö.).

3. Die weiteren Subdisziplinen der Religionspädagogik sind – ich spitze zu – bis heute im Wesentlichen eine Angelegenheit für Liebhaber:innen geblieben: im Grundsatz von fast allen als notwendig oder zumindest hilfreich bejaht, aber nur von Wenigen betrieben – und insbesondere nur äußerst selten für die Klärung didaktischer Fragen in Anschlag gebracht!

Historische Religionspädagogik“ etwa wird z.B. im ökumenischen „Arbeitskreis für historische Religionspädagogik“ engagiert betrieben – doch schaut man auf verschiedenste religionspädagogische Buchpublikationen jüngeren Datums einschließlich Dissertationen und Habilitationen, so ist deren historische Tiefenschärfe in der Regel gering. In der Lehre an Universitäten, Pädagogischen Hochschulen und erst recht an Studienseminaren sieht es schwerlich anders aus.

Vergleichende oder transnationale Religionspädagogik hat durchaus schöne Früchte getragen, doch ist ‚unsere‘ Kenntnis religiöser Sozialisation, Erziehung und Bildung in anderen nationalen Kontexten, in anderen religiösen Kulturen und auch der Umgang mit religionsbezogener Bildung in säkularen Schulwesen und Mehrheitskonstellationen (dazu zuletzt etwa Weidlich, Transnationale Forschung) alles in allem gering. Sie wird vor allem nicht systematisch aus- und aufgebaut, und sie findet in Öffentlichkeit; Bildungspolitik und Kirche kaum Resonanz.

Auch für die Systematische Religionspädagogik würde ich Ähnliches geltend machen: Gewiss liegen etliche herausragend scharfsinnige, umfangreiche und gehaltvolle Studien vor, doch schlagen sich deren Erträge kaum einmal in der Weise nieder, dass Begriffs- oder Konzeptklärungen (etwa zu „Religion“, „Bildung“; Subjektorientierung“ u.ä.m.) als solche vorausgesetzt werden – sei es, weil die Erträge zu facettenreich bleiben, um etwa in empirischen Studien oder in einer Unterrichtspraxis operationalisiert werden zu können, sei es, weil der religionspädagogische Diskurs insgesamt zu wenig lösungsorientiert vorgeht.

4. Was nun die Religionsdidaktik im Einzelnen angeht, so wird ein weites Spektrum an Themen beackert. Innerhalb dieses Spektrums gibt es unverkennbar Kristallisationspunkte des Diskurses, aber eben auch die Kehrseite unbeleuchteter Flecken.

In diesem Sinne kommt seit etwa 15 Jahren dem Religionsunterricht an berufsbildenden Schulen ein ungewöhnliches Maß an Aufmerksamkeit zu – forciert nicht zuletzt durch die Existenz und Effizienz von drei bzw. vier einschlägigen „Instituten“ zu seiner Erforschung. Weithin im Schatten des Diskurses stehen demgegenüber Grundschulen, die nicht gymnasiale Schulformen der Sekundarstufe I und im Grunde sogar die explizite Gymnasialdidaktik. So ergibt sich die einigermaßen seltsame Konstellation, dass die in ihrem Bestand wohl am stärksten gefährdete Variante des Religionsunterrichts, der BRU, am vergleichsweise besten untersucht und bildungstheoretisch erfasst wird.

Unter den Konzeptionen findet seit einigen Jahren schon die Kinder- und Jugendtheo-logie die meiste Aufmerksamkeit – abgebildet und gefördert u.a. durch das „Jahrbuch der Kinder- und Jugendtheologie“ und dessen Unterstützer:innen-Kreis. Weitere ähnlich starke fokussierte didaktisch-methodische Modellierungen muss man mühsam suchen: Interreligiöses Lernen, und erfahrungsorientiertes, ästhetisches oder performatives Lernen reichen vielleicht am ehesten heran.

Unter den thematischen Didaktiken dürfte alles in allem die Bibeldidaktik am konstan-testen Interesse finden, gepaart mit dem schon erwähnten Interreligiösen Lernen und der Ethikdidaktik. Doch selbst Digitalisierung / Mediendidaktik, systematische Themen und ihre Didaktik, u.ä. haben es schwer. Alles in allem summiert sich mein Eindruck dahin, dass die themenbezogene Didaktik, die der unterrichtlichen Praxis am ehesten entspricht und ihr förderlich sein kann, in der Theoriebildung nur noch im Ausnahmefall Interesse findet.

Erstaunlich selten hingegen bildet sich in religionsdidaktischen Publikationen der Bezug zu anderen Schulfächern und deren Referenzwissenschaften ab, das verbindend Didaktische oder auch das, was die Bildungswissenschaft umtreibt. Auffallend selten wird auch Bezug genommen auf andere praktisch-theologische Disziplinen (etwa auf die Kirchentheorie, um zeitgenössische Formen und Reformen eines nicht nur individuellen Christseins zu erschließen). Und auch der Beitrag der Religionspädagogik zu einer kirchlich oder gesellschaftlich brisanten Fragestellung wird selten markant sichtbar und entsprechend rezipiert.

5. Nimmt man die Ethikdidaktik ein wenig näher unter die Lupe, so sticht etwa ins Auge, dass in diesem Feld durchaus polare Positionen vertreten werden – etwa zwischen der dezidiert theologisch begründeten Ablehnung einer ethischen Funktionionalisierung religiöser Bildung und dem Plädoyer für Wertebildung als Legitimationsmotiv religiöser Bildung und Brücke zwischen ihr und Ethikdidaktik. Mehrheitlich dürfte hier die Vorstellung vertreten werden, dass „Ethik“ ein legitimer Themenbereich religiöser Bildung unter vielen ist und dieser mit einer Mehrzahl didaktisch-methodischer Modelle zu bearbeiten sei (vgl. etwa Englert u.a., 2015, sowie Lindner/Zimmermann, 2022).

6. Abgesehen von den Schwerpunkten (und ihrer Kehrseite) sticht die kurze Halbwertzeit der Aufmerksamkeit ins Auge – einige Beispiele: „Inklusion“ war nach Ratifizierung der sog. UN-Behindertenrechtskonvention (2009) für einige Jahre Thema – doch trotz eindrücklicher Studien von Wolfhard Schweiker, Ulrike Witten u.v.a. sowie der InReV-Initiative bestimmt das Stichwort keineswegs den religionspädagogischen Diskurs. „Migrationssensibilität religiöser Bildung“ wurde nach der sog. Flüchtlingskrise (2015) dringendes Thema, spielt gegenwärtig jedoch kaum mehr eine Rolle. Digitale Lehr-Lern-Formate erscheinen angesichts von Digitalisierungsprogrammen in Schulen, angesichts der sozialen Wirkung der sog. Social Media und angesichts von KI unumgänglich, doch trotz etlicher Veröffentlichungen entwickelt sich kein Digitalisierungs-bezogener religionspädagogischer Diskurs.

Alle drei Beispiele bedürften breiter und v.a. nachhaltiger Bearbeitung, doch der religionspädagogische Diskurs setzt inzwischen andere Schwerpunkte.

7. Und schließlich will ich eine scheinbar banale Spannung benennen: Religionsdidaktische und religionspädagogische Studien, insbesondere Qualifikationsschriften, werden stetig komplexer – methodologisch reflektiert, theoretisch belesen, analytisch stark, aber der einfachen Lösung abhold. Auch das ist einerseits angemessen, gut und schön – doch es trägt andererseits dazu bei, dass das Praxis-transformierende Potential der Arbeiten ebenso schrumpft wie der Kreis der potentiellen und erst recht der tatsächlichen Leser:innen.

  • Anders gewendet: Die handlungsorientierende Dimension der Religionspädagogik und -didaktik, die fachgeschichtlich gesehen Auslöser ihrer Disziplinwerdung war, scheint auszuwandern in die Praxistheorie oder vielleicht auch nur in das Trial-and-Error-Verfah-ren der Lehrenden, denen die Theoriebildung verzichtbar zu sein scheint. Lösungen können auch ohne sie gefunden werden (vgl. die ReBiNiS-Studie von Fuchs u.a., 2023).

  • Zugespitzt formuliert: Diese Kluft zwischen Theorie und Praxis gefährdet die Professionalisierung und delegitimiert die Religionspädagogik als berufsbezogene Wissenschaft.

8. Wenn diese eklektischen Beobachtungen nicht ganz fehlgehen, dann geben sie Manches zu lernen über die eigene Zunft:

Aufmerksamkeit findet weniger (zu wenig?) das Brot-und Butter-Geschäft der Religionslehrer: innen oder das Gelingen des Standard- Religionsunterrichts als vielmehr eine jeweils als neu identifizierte – gesellschaftlich, schulisch oder gelegentlich auch theoretisch induzierte – Herausforderung religiöser Bildung, die Bruchstelle des Religionsunterrichts, und auch die Perspektive von Minderheiten. Das jeweils Aktuelle speist sich aus verschiedenen Quellen: aus dem gesellschaftlichen Diskurs (z.B. Vorurteilsprävention), aus der bildungspolitischen Agenda (z.B. Inklusion), aus der ‚allgemeinen‘ Theoriedebatte (z.B. Postkolonialismus und Gender). Doch die Halbwertzeit der meisten dieser Anleihen ist kurz – zu kurz, um der Religionspädagogik dauerhaft eine Signatur geben zu können.

Aufmerksamkeit findet zugleich vor allem der Binnendiskurs: die auf Religionsdidaktik und -pädagogik als Theoriediskurs referenzierende Fragestellung, nicht deren Plausibilisierung nach außen -hin zu r religionsdistanzierten und -kritischen Öffentlichkeit. Zugespitzt formuliert: So weltoffen, „öffentlich“ und aktuell die Religionspädagogik sich versteht, so eigentümlich selbstbezogen wirkt ihr Diskurs.

Und schließlich: Recht wenig Aufmerksamkeit findet in der Religionsdidaktik so etwas wie die Ergebnisorientierung, geschweige denn -sicherung. Nur selten wird in unserer Disziplin, so scheint mir, um etwas gerungen; nur selten gibt es so etwas wie ein – wenigstens vorläufig als „gesichert“ akzeptiertes – Ergebnis, das dann als Ausgangsbasis für die weitere Arbeit genommen und als Auskunft etwa an die (kirchliche) Schulpolitik weitergegeben werden könnte.

Diesen Eindruck spiegelte mir kürzlich am Rande einer Tagung ein fachfremder Kollege. Auf meine Frage, ob die Tagung für ihn aufschlussreich sei, antwortete er etwa mit folgenden Worten: „Ja, das ist sie – es ist nämlich für mich interessant zu beobachten, wie Vorträge u.a. aufgebaut werden. In meinem Fach sind alle Vorträge im Prinzip gleich aufgebaut: Blick auf den Forschungsstand, Benennung einer offenen Frage bzw. eines Problems, Entwicklung des eigenen Beitrags als Versuch einer Antwort, Ertragssicherung. Bei Ihnen [d.h. in der Religionspädagogik] ist das nicht so.“

Was nun alles in allem durchaus eine Kritik an der eigenen Disziplin (und an meinem eigenen Beitrag dazu) zu sein scheint, lässt sich auch positiv beschreiben: Das Forschen und Lehren der Religionspädagog:innen spiegelt die Individualität und die Freiheit zur Individualität, die unserem Beruf und uns als Personen eigen ist. Religionspädagogik vollzieht sich 2023 eben in einer „Gesellschaft der Singularitäten“ (Reckwitz). Wenn sie eine beeindruckende Fülle an methodischen Präferenzen, thematischen Interessen und inhaltlichen Positionen erschließt, trägt sie damit eben den Regeln der Aufmerksamkeitsökonomie Rechnung.

3 Kommentare zum Diskurs zwischen Religions- und Ethikdidaktik

Das bisher Gesagte betrifft vielerlei Themen und Gesprächszusammenhänge – darunter auch das Verhältnis zwischen Religions- und Ethikdidaktik.

1. Auch dieses Verhältnis ist bislang ein Spartenthema. Das ist keine selbstverständliche Feststellung: Obwohl die Konstellation aus Religions- und Ethikunterricht in nahezu allen Bundesländern (mit Ausnahme von Bremen und Brandenburg) in der schulischen Praxis von enormer Bedeutung ist und gewichtige Grundsatz- und Gestaltungsfragen aufwirft, obwohl an vielen Standorten Religionspädagogik bzw. -didaktik und Ethik- oder Philosophiedidaktik gelehrt werden, hat sich bislang noch kein Diskurs entwickelt – explizit und ausführlich Thema ist das Verhältnis nur in einer Hand voll Publikationen und bei gelegentlichen Tagungen (zuletzt etwa Kropač/Schambeck, 2022).

2. Insbesondere historische, vergleichende oder auch systematische Studien zum Thema sind Mangelware.

3. Empirische Studien liegen am ehesten vor. Sie beleuchten in erster Linie die Wahrnehmung beider Fächer durch die Schüler:innen – und zwar in verschiedenen Bundesländern (Baden-Württemberg, Sachsen-Anhalt), weniger die didaktischen Ansätze, die Stärken und Schwächen der Kerncurricula, die faktische Gestaltung des Verhältnisses der Fächer zueinander oder die inhaltlichen Herausforderungen oder Inkommensurabilitäten ihres Miteinanders.

4. „Lösungsorientierte“ Konzepte, die Beobachtung von „best practice“ des Miteinanders oder der geordneten Konkurrenz beider Fächer, sucht man weithin vergeblich. De facto ließe sich hier durchaus etwas finden, etwa Experimente mit Projekttagen, Schulfeiern u.a.m. (dazu Schröder & Emmelmann, 2018, S. 269–354)

5. Was nun womöglich wie eine Selbstbezichtigung der Religionspädagogik klingt, wird dadurch relativiert, dass die ‚andere‘ Disziplin – also die Ethik-, Philosophie- und Religionswissenschafts-Didaktik – noch weniger Notiz von der Religionspädagogik zu nehmen scheint als die Religionspädagogik von ihr.

  • Das kürzlich erschienene „Handbuch Religionskunde in Deutschland“ (Alberts u.a., 2023) schafft es, auf ca. 500 Seiten von schulische Religionskunde und ihrer Didaktik zu handeln, ohne religionspädagogische Literatur in Gebrauch zu nehmen oder auch nur zu nennen. Lediglich das an Polemik kaum zu überbietende Vorwort nennt Religionsunterricht und Religionspädagogik beim Namen.

  • Lehrbücher der Ethikdidaktik schweigen sich über den Religionsunterricht in der Regel aus (Schröder, 2019). Die Mehrheit der Lehrbücher thematisiert „Religion“ nicht oder nur am äußersten Rande. Implizit werden überkreuz liegende Perspektiven erkennbar. „Während Ethikdidaktiker(innen) Religion(sunterricht) im günstigsten Fall als Repräsentanten […] partikularen gedanklichen Referenzrahmens anerkennen (während sie selbst mit ihrem Fach universaler Vernunft Raum geben), sehen Religionsdidaktiker(innen) im Ethikunterricht im günstigsten Fall ein Alter-nativfach, das allerdings keine transparente Positionalität in den Lehr-Lern-Prozess einzubringen vermag und insofern als weniger bildsam gilt“ (Schröder, 2019, S. 293).

Nur in wenigen Lehrbüchern findet sich eine konstruktive Verhältnisbestimmung (vgl. namentlich Brüning, 2016, und Schilling, 2018) bis hin zu einer „Didaktik des Religiösen im Ethikunterricht“ (- die von einem katholischen Religionspädagogen entworfen wurde – Reuter, 2014).

Auch in den Zeitschriften der Ethik- und Philosophiedidaktik – genannt seien insbesondere „ethik & unterricht“ (seit 1990) und die „Zeitschrift für Didaktik der Philosophie und Ethik“ (unter diesem Titel seit 1993, zuvor seit 1979 u.d.T. „Zeitschrift für Didaktik der Philosophie“) sowie das „Jahrbuch für Didaktik der Philosophie und Ethik“ (ab 2024 soll in Verantwortung der „Gesellschaft für Philosophie- und Ethik-Didaktik“ [GPED] zudem ein „Jahrbuch für philosophiedidaktische Forschung“ erscheinen) – finden sich kaum einmal Beiträge zum Verhältnis zwischen Ethik- und Religionsunterricht oder auch ‚nur‘ zum Thema Religion/Religionen (in „E & U“ zuletzt 2018, H. 3 „Islam“, in der ZDPE zuletzt 40 (2018), H. 1 „Religion im 21. Jahrhundert“, im „Jahrbuch“ gerade im jüngsten Band – Torkler/Tiedemann, 2023).

6. Was die Religionspädagogik angeht, so meine ich, dass sie im Gespräch mit Ethikdidaktik und Philosophie Manches lernen könnte, etwa dies:

  • streng zu argumentieren,

  • den spezifischen, religiös voraussetzungslosen Orientierungsbedarf konfessionsloser Schüler:innen ernst zu nehmen,

  • und Subjektorientierung nicht nur als Zuspruch, sondern auch als Anspruch an die Schüler:innen geltend zu machen,

  • die eigene Tradition in dem Bewusstsein einzubringen, dass sie Wesentliches zur Klärung von Bildungsfragen und zur Deutung des Lebens beizutragen hat, und zugleich bereit zu sein, sie kritisch zu prüfen (Schröder, 2022, S. 227–236).

4 Schluss

Religionsdidaktik als Disziplin ist recht gut ausgestattet, produktiv und mit ihren Interessen à jour. Verglichen mit ihrem Zustand vor 40 Jahren gibt es signifikante Fortschritte zu verzeichnen – insbesondere was die Methodologien, die Qualität und Quantität der Studien, die theoretische Versiertheit der Publikationen und Projekte angeht (vgl. Schröder, 2012/2021, § 55, und Schröder, 2023). In einem Wort: Sie ist gesprächsfähiger denn je.

Das Gespräch zwischen Religionspädagogik und Ethik-/Philosophiedidaktik gehört nicht zu den stärksten Feldern der Religionspädagogik bzw. -didaktik. Es müsste intensiviert werden, denn in der Schule und im gesellschaftlichen Diskurs ist die Frage, ob und was Ethik und Religion(en) zur Deutung und Führung des Lebens in einer modernen Gesellschaft beitragen können, von hoher Bedeutung. (Auch wenn die Corona-Krise und vielleicht auch die Ukraine-Krise zeigen, dass im Ernstfall weder Religion noch Ethik entscheidende Relevanz zugebilligt werden.) Und auch für die Religionsdidaktik bzw. -pädagogik ist die Selbstklärung essentiell, was sie zu ethischer Orientierung beiträgt oder beitragen will und worin sie darüber hinausgeht.

Doch das Gespräch zwischen Religionspädagogik und Ethik- oder Philosophiedidaktik würde, auf breiterer Front geführt, kein schiedliches-friedliches. Denn es geht darin zwar auch um Fachliches, um Didaktisches, um wissenschaftliche Inter-Disziplinarität – aber eben auch um die Aushandlung grundlegender weltanschaulicher Differenzen und ihrer bildenden Kraft, ja, es geht um Marktanteile in der Schule und an der Universität, es geht um (Deutungs-)Macht.

Insofern gilt, was neuerdings zu Beginn etlicher Polit-Talks im Fernsehen mitgeteilt wird: „Wir müssen reden“.

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