1 Das Projekt: READY – Religious Education and Diversity

READY ist ein dreijähriges, von der Europäischen Union gefördertes Projekt (Laufzeit 9/2015- 8/2018)[1] und trägt den vollständigen Titel „READY – Religious Education and Diversity. Sharing experiences of, and approaches to, teacher education in the context of ‚Education and Training 2020‘“.

Das Akronym READY spielt dabei mit der Frage, ob angehende Religionslehrerinnen und Religionslehrer eigentlich ausreichend für die europäische Zukunft und speziell auch auf Fragen der Diversität und Heterogenität vorbereitet sind. „Are we ready?“ könnte man also sozusagen fragen. Die Frage gilt in gleicher Weise übrigens auch für angehende Ethiklehrerinnen und Ethiklehrer, weil sich bei den konfessionsunabhängigen, inhaltlich nicht von den Religionsgemeinschaften verantworteten Formen eines „Religions“-Unterrichts in anderen europäischen Ländern rasch das Problem stellt, wie das Fach zugeschnitten sein soll: Als „multi faith“-Fach (wie in England), als ein Fach mit starken philosophischen und ethischen Anteilen oder eher als ein Fach, das den Akzent stärker auf Lebensgestaltung legt (wie etwa beim brandenburgischen Modell LER oder in den meisten skandinavischen Ländern).

Die Leitung des READY-Projekts liegt beim Staatlichen Seminar für Didaktik und Lehrerbildung (Gymnasien) in Tübingen und dabei insbesondere bei dem sich als Fächergruppe verstehenden Fachbereich „Religion – Ethik – Philosophie & Musik“. Partner sind

  • die School of Education des London University College (UCL) / England

  • die School of Education der Universität Aberdeen / Schottland

  • Karlstad University / Schweden

  • die Kirchliche Pädagogische Hochschule (KPH) Wien/Krems / Österreich

  • und das Comenius-Institut in Münster, das insbesondere auch für Fragen der Qualitätssicherung, der wissenschaftlichen Begleitung und der Multiplikation der Projektergebnisse verantwortlich ist.

READY-Consortium bei einem Projekttreffen in Wien; von links nach rechts: Dr. Jo Pearce, UCL London / Heinz Ivcovits, KPH Wien-Krems / Janika Olschewski, Comenius-Institut Münster / Dr. Graeme Nixon,  University of Aberdeen / Dr. Peter Schreiner, Comenius-Institut Münster / Dr. Peter Kliemann, Staatliches Seminar für Didaktik und Lehrerbildung (Gymnasien) Tübingen / Dr. Kerstin von Brömssen, Karlstad University / Dr. Martin Fischer, KPH Wien/Krems 

Die beteiligten Institutionen beschäftigen sich mit dem Thema „Religion und Diversität“ in doppelter Weise: zum einen durch einen wechselseitigen Austausch zu möglichen Formen des Religions- und Ethikunterrichts und der Ausbildung von Religions- bzw. Ethiklehrkräften, dann aber auch auf der Ebene der Unterrichtsgestaltung, wobei der Frage der wachsenden religiösen und weltanschaulichen Heterogenität der Schülerinnen und Schüler besondere Aufmerksamkeit gewidmet wird.

Das Projekt begann mit einem strukturierten Online-Austausch zwischen Referendarsgruppen aus Tübingen und Aberdeen bzw. Wien, London und Karlstad.  Dabei wurde in einem Pilotversuch auf die von der Europäischen Kommission geförderte Online-Plattform eTwinning zurückgegriffen.[2] eTwinning kann auf eine über 10-jährige erfolgreiche Arbeit im Schulbereich zurückblicken. Im Bereich der Lehrerbildung werden erst seit kurzem Erfahrungen gesammelt, die 2016 und 2017, inzwischen aber auch schon auf internationalen Konferenzen, in Brüssel ausgetauscht wurden. Im Rahmen des READY-Projekts entstanden guidelines for online communication, die bei der Planung von Folgeprojekten nützlich sein werden.[3]

Ein interessantes Beispiel für das, was mit Hilfe von Online-Kommunikation möglich werden kann, ist ein Dialog zwischen Studentinnen und Studenten aus Karlstad und Tübingen zur Frage “Can an RE teacher be neutral?“.

Dieser eTwinning-Prozess mündete u.a. in die Entwicklung gemeinsamer Unterrichtssequenzen zum Thema „Religion and Diversity“. Parallel dazu entstanden case studies zur Situation der Religionslehrerausbildung in den beteiligten Ländern und es wurde ein Leitfaden für einwöchige Studienaufenthalte (guidelines for study visits) entwickelt.

Im zweiten Projektjahr hospitierten dann learning communities von Dozentinnen und Dozenten der Lehrerausbildung gemeinsam mit Referendarinnen und Referendaren eine Woche im Religionsunterricht eines europäischen Partnerlandes. Sie führten Gespräche mit Referendarinnen und Referendaren, Schülerinnen und Schülern und unterschiedlichen Personen, die für den Religionsunterricht Verantwortung tragen. Diese Erfahrungen wurden anhand eines Leitfadens analysiert, aufbereitet und dokumentiert. Sie vertieften die bereits in der digitalen Kommunikation gewonnenen Erkenntnisse.

Parallel zu diesen Austauschmaßnahmen finden in allen beteiligten Partnerländern Unterrichtsversuche zum Thema „Religion and Diversity“ statt, die ausgewertet und zum Teil auch videografiert wurden. Aus dem READY-Projekt heraus entwickelten sich dabei auch weitere eTwinning-Aktivitäten, die sich zum Teil auch in Prüfungsarbeiten niederschlugen, z.B. eine eTwinning-Kommunikation zwischen einer deutschen und einer polnischen Schulklasse zum Thema Teenworld.

Das Projekt ist von Anfang an auf eine breit angelegte Dissemination und längerfristige Wirkung ausgerichtet, was durch die vom Comenius-Institut Münster eingebrachten Erfahrungen, Kontakte und Strukturen in besonderer Weise erleichtert wird. Zu erwähnen sind vor allem ein vierteljährlich erscheinender READY-Newsletter, zwei nationale Studientage in London und Tübingen sowie die zweitägige Abschlusskonferenz in Wien. Hinzu kommen zahlreiche READY-Workshops auf regionalen, nationalen und internationalen Tagungen. In allen Partnerländern erscheinen Artikel in Fachzeitschriften und eine Dokumentation der wichtigsten Projektergebnisse in Form einer Buchpublikation ist in Vorbereitung.

Im Mittelpunkt aller READY-Disseminationsaktivitäten steht eine mit Facebook, Twitter und YouTube verlinkte Webseite, auf der im Laufe der Zeit alle Informationen und Dokumente zusammengeführt werden und die auch mindestens drei Jahre nach Beendigung des Projekts von der Universität Aberdeen weiter betrieben werden soll: www.readyproject.eu.[4]

2 La Cour de Babel

READY widmet sich in erster Linie dem Austausch über Formen des Religionsunterrichts und der Religionslehrerausbildung in Deutschland, England, Österreich, Schottland und Schweden. Interessant und wichtig ist aber auch der Blick auf andere europäische Länder. In diesem Zusammenhang wurde am Staatlichen Seminar für Didaktik und Lehrerbildung (Gymnasien) in Tübingen in Zusammenarbeit mit dem Fach Französisch[5] umfangreiches Arbeitsmaterial zu einem französischen Dokumentarfilm entwickelt, das sich sowohl für den Unterricht als auch für die Lehrerbildung eignet und auf www.readyproject.eu abgerufen werden kann.

Den Titel von Julie Bertuccellis Dokumentarfilm „La Cour de Babel“ (Frankreich 2013, 94 Minuten) könnte man mit „Auf dem Schulhof von Babel“ übersetzen; auf Französisch erinnert der Titel an die biblische Erzählung vom Turm von Babel / La Tour de Babel (vgl. Gen 11,1–9), dessen Bau die sog. babylonische Sprachverwirrung auslöste. Dieser Film ist als DVD erhältlich und hat im Internet eine große und sehr positive Resonanz gefunden; ein Trailer, auch mit englischen Untertiteln, ermöglicht einen problemlosen ersten Zugang.[6]

Gezeigt wird die Arbeit der Lehrerin Brigitte Cervoni, die in einer sog. „classe d’accueil“, einer Integrationsklasse, Jugendliche aus 24 Ländern auf den späteren Unterricht in „normalen“ Schulklassen vorbereitet. Die Schülerinnen und Schüler sind selbst erst dabei Französisch zu lernen, und so vielfältig wie ihr sprachlicher Hintergrund sind auch die Gründe für ihren Aufenthalt in Frankreich: politische und religiöse Verfolgung, Armut, die Hoffnung auf eine bessere Ausbildung, ein besseres Leben.

Dabei beschäftigt sich Bertuccellis Film auf eine sehr anregende und herausfordernde Art und Weise mit dem Phänomen der kulturellen und religiösen Vielfalt und führt schnell zu der kontroversen Frage, wie das Thema Religion in angemessener Weise in öffentlichen Schulen behandelt werden sollte. Für viele der im Film zu Wort kommenden Schülerinnen und Schüler scheinen religiöse Fragen von großer, geradezu existentieller Bedeutung zu sein, was angesichts der kulturellen und religiösen Vielfalt jedoch auch schnell hitzige Kontroversen hervorruft. Julie Bertuccelli selbst plädiert auf diesem Hintergrund in einem dem Film beigegebenen Interview für das französische Modell der „laicité“, der strikten Trennung von Staat und Religion. Diese hat dazu geführt, dass an öffentlichen Schulen in Frankreich gar kein Religionsunterricht erteilt wird, was in der französischen Öffentlichkeit inzwischen oft auch als Problem wahrgenommen wird.

Brigitte Cervoni, die Lehrerin, sagt in einer Szene des Films: „Dieu n’est pas dans la classe. On va laisser Dieu à l’extérieur!“ („Gott gehört nicht in die Schule. Lassen wir Gott lieber außen vor!“) Da einigen Schülerinnen und Schülern der Integrationsklasse ihre jeweilige religiöse Prägung aber ganz offensichtlich äußerst wichtig ist, könnte man aus pädagogischen und religionsdidaktischen Gründen durchaus zu ganz anderen Schlussfolgerungen kommen. Dies macht Julie Bertuccellis Dokumentarfilm zu einem idealen Medium, um mit Studierenden, Referendarinnen und Referendaren, aber auch Schülerinnen und Schülern höherer Klassen, anhand eines sehr anschaulichen Filmmaterials über verschiedene Modelle des Religionsunterrichts zu diskutieren.

Das vorliegende Ausbildungs- und Unterrichtsmodell stellt eine 6-minütige Filmszene („Holy books“ / „L’objet qui m’identifie“) in den Mittelpunkt, in der die Schülerinnen und Schüler sich besonders intensiv mit dem Thema Religion auseinandersetzen. Methodische Anregungen, ein französisches Transkript sowie englische und deutsche Übersetzungen erleichtern die Erschließung. Darüber hinaus finden sich im Anhang zusätzliche Materialien für den Französischunterricht, die gerade auch im Hinblick auf fächerverbindende Projekte hilfreich sein können.

 

Prof. Dr. Peter Kliemann, Leiter des Fachbereichs Religion – Ethik – Philosophie & Musik, Staatliches Seminar für Didaktik und Lehrerbildung (Gymnasien) in Tübingen.


  1. Das Förderprogramm trägt die Bezeichnung Erasmus+. Für nähere Informationen vgl. www.erasmusplus.de. Die Verantwortung für den Inhalt des vorliegenden Artikels trägt allein der Verfasser; die Kommission haftet nicht für die weitere Verwendung der darin enthaltenen Angaben.

  2. eTwinning ist eine im Jahr 2005 entwickelte Initiative der Europäischen Kommission, die Schulen aus Europa über das Internet miteinander vernetzt. Registrierte Lehrkräfte und deren Schulklassen können mit Hilfe des in allen 23 Amtssprachen der EU zugänglichen eTwinning-Programms Partnerschaften mit Schulen im europäischen Ausland aufbauen, gemeinsame Unterrichts- und Schulprojekte entwickeln und deren Ergebnisse online austauschen. Die eTwinning-Plattform ermöglicht es Teilnehmern auch, Projektpartner zu finden. Zurzeit sind etwa 300.000 Lehrkräfte bei eTwinning registriert und fast 150.000 Schulen mit mehr als 40.000 Projekten beteiligt. Für nähere Informationen vgl. www.etwinning.de.

  3. Dieses und weitere im Folgenden erwähnte (und kursiv gesetzte) READY-Dokumente finden sich auf www.readyproject.eu.

  4. Ansonsten vgl. auch die aktuellen Informationen auf der Homepage des Tübinger Studienseminars: seminar-tuebingen.de/,Lde/Startseite/Projekte/READY+neu.

  5. Großer Dank gilt meiner Kollegin Ricarda Lusar-Schrader!

  6. Vgl. z.B. vimeo.com/ondemand/schoolofbabel.