Die Rede von Positionierung und Positionalität hat Konjunktur, das zeigt sich auf vielen Ebenen. So werden nicht nur der Religionsunterricht und mit ihm die Religionslehrkräfte durch neue Dynamiken herausgefordert, die insbesondere durch gesellschaftliche Pluralisierungsprozesse und eine zunehmende Heterogenität von Lerngruppen auf dem Sektor des Religiösen ausgelöst werden. Auch für Schülerinnen und Schüler ist der Umgang mit religiös-weltanschaulicher Pluralität, das heißt eine Pluralitätsfähigkeit längst zum relevanten Bildungsziel erhoben worden. Weil aus bildungstheoretischer Sicht Differenzen auf dem Feld religiöser Praxis und Überzeugungen nicht belanglos oder unbeachtet bleiben können und sollen, zeigt sich Pluralitätsfähigkeit nicht zuletzt auch darin, reflektiert und begründet Stellung nehmen zu können, mithin also in einer individuellen Positionierungs- oder Standpunktfähigkeit.

Die folgenden Ausführungen zeichnen in kleineren Momentaufnahmen aktuelle Entwicklungen bzw. relevant erscheinende Phänomene aus dem Bereich religionspädagogischer Positionalität und religiöser Positionierungsprozesse nach: auf Ebene der normativen Steuerung von Religionsunterricht (2), im Bewusstsein aktueller religionsdidaktischer Ansätze (3) sowie auf empirischer Ebene im Blick auf Lehrkräfte und Unterrichtsprozesse (4). Zuvor jedoch sei ein kurzer Prolog gestattet:

1 Prolog: Erzwungene und erwünschte Positionalität

Wer in diesen Zeiten als Mitglied der Katholischen Kirche adressiert wird, kommt um eine persönliche Positionierung nicht herum: etwa zum Verlauf und den diversen Nebengeräuschen des Synodalen Weges in Deutschland, zu den schier uferlosen Nachrichten zum Komplex sexueller Gewalt in den Reihen der Kirche sowie zu den sukzessive veröffentlichten Missbrauchsstudien aus den Bistümern, zum letztjährigen römischen Responsum zur Homosexualität etc. Das und noch mehr steht auf der einen Seite kirchlichen Bindungserlebens, das sich – befeuert durch Kontaktverbote und Distanzgebote während der Corona-Pandemie – für viele bislang Engverbundene mittlerweile massiv zu lockern scheint und abzureißen droht. Positionalität von katholischen Christinnen und Christen zeigt sich hierzulande gegenwärtig eher gut protestantisch: im notwendig gewordenen Aufbegehren gegen Missstände auf verschiedenen Ebenen. Auf der anderen Seite scheint eine persönliche Positionierung katholischer Christinnen und Christen aktuell mehr denn je notwendig und erwünscht, zumindest derjenigen, die sich selbst noch in der aktiven Rolle von innen heraus, also in der Teilnehmerperspektive am kirchlichen Geschehen sehen. Aber auch weit darüber hinaus ist Positionierung gefragt, dann vielleicht eher christlich als konfessionell, weil man gemeinsam aus dem großen und kritischen Potenzial biblischer Tradition sowie religiöser Bildung herausschöpfen kann: gegenüber dem politischen und gesellschaftlichen Bearbeiten der Corona- und der Klima-Krise, gegen inhumane und herabsetzende Formen im Umgang mit Minderheiten und Benachteiligten, gegenüber Flucht und Migration und nicht zuletzt zum aktuellen Krieg in Europa.

Das Abschmelzen der Bindungskraft auf der einen Seite und die damit einhergehende Herausforderung, sich in seiner persönlichen Position neu (er)finden zu müssen, auf der anderen Seite, färben ab auf die Berufsmotivation und das professionelle Selbstverständnis von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im pastoralen Dienst, von Lehrkräften an kirchlichen Schulen, von Religionslehrerinnen und Religionslehrern und nicht zuletzt auch von Dozentinnen und Dozenten an Hochschulen. Exemplarisch kann das die folgende Stimme einer jungen Religionslehrerin deutlich werden lassen. Für sie und für viele andere Lehrerinnen und Lehrer ist ihr Kerngeschäft, nämlich Religion zu unterrichten und das im Namen ihrer Kirche zu tun, nur noch im „Zustand der Empörung“ (Müller, 2019) möglich: „Zum Empört-Sein über meine Kirche brauche ich derzeit keine Aufforderung. Ich bin es eigentlich im Dauerzustand. […] Dabei ist Empörung eine denkbar schlechte Voraussetzung für das, was ich als Religionslehrerin eigentlich tagtäglich tun soll und auch will: Eine Person sein, für die Religiosität und Glaube nicht nur ein Gegenstand, sondern auch ein Standort ist, bereit ‚die Sache des Evangeliums zu [m]einer eigenen zu machen.“ (Müller, 2019, mit Bezug auf den Würzburger Synodenbeschluss zum Religionsunterricht) Positionalität ist mindestens aus Sicht konfessionell gerahmter religiöser Bildung gefragt und erwünscht, zunehmend aber auch erzwungen. Denn sie ist zugleich eine Reaktion auf die Kontingenz konfessioneller Bindungen, in denen sich nicht nur Lehrkräfte biographisch bedingt wiederfinden und in denen sie sich selbst, ihre religiöse Identität und ihre religionspädagogische Professionalität neu bestimmen müssen.

2 Normative Ebene: Verschiebungen und neue Akzente

Die geforderte Bereitschaft zur Positionierung wiegt möglicherweise so schwer wie nie zuvor auf der Professionalität von Religionslehrkräften. Und mindestens aus katholischer Sicht lässt sich feststellen, dass sich dabei eine normative Verschiebung vom Institutionellen zum Individuellen vollzogen hat, wenn man die Genese entlang der bischöflichen Verlautbarungen zum schulischen Religionsunterricht in den Blick nimmt. 

In der Erklärung der katholischen Bischöfe „Die bildende Kraft des Religionsunterrichts“ (1996) wird Konfessionalität, hier im Sinne einer konfessionellen Positionalität verstanden, als „gesprächsfähige Identität“ (DBK, 1996, S. 49) umschrieben und mit der Leitlinie des Perspektivenwechsels (DBK, 1996, S. 62–63.) gekoppelt. Die Rede von einer ‚gesprächsfähigen Identität‘ ist hier allerdings noch klar und eindeutig gerahmt von einer konfessionellen Eindeutigkeit des katholischen Religionsunterrichts im Sinne der konfessionellen Trias. Das Dokument wird von der Sorge getragen, dass religiöse Pluralität zu einem Verlust der eigenen Identität führen könne. Es zeichnet einen Religionsunterricht, der zwar einerseits schulpädagogisch und bildungstheoretisch verankert ist, dem andererseits aber sehr deutlich katechetische Ziele zugeschrieben werden: Seine Konfessionalität sei ein „konkreter Ausdruck für die Verwurzelung und Beheimatung des Glaubens in einer […] Lebenswelt, die gerade für Kinder und Jugendliche im Sinne einer Hinführung zum Glauben unaufgebbar ist“ (DBK, 1996, S. 76). Die damit einhergehende Frontstellung zur evangelischen Denkschrift „Identität und Verständigung“ (1994) und die faktische Absage an den konfessionell-kooperativen Religionsunterricht braucht hier nicht eigens entfaltet werden (vgl. dazu Woppowa, 2018a).

Demgegenüber bringt die letzte Erklärung der katholischen Bischöfe im Blick auf den schulischen Religionsunterricht ökumenische Argumente so stark wie nie zuvor ein und rahmt von hier ausgehend die Rede von der ‚gesprächsfähigen Identität‘ bzw. nun auch „pluralitätsfähigen Identität“ (DBK, 2016, S. 10) in neuartiger Weise. Sie fußt auf einem Verständnis von Konfessionalität, das „nicht mit Selbstbeharrung, Abgrenzung oder Selbstisolierung verwechselt werden“ (DBK, 2016, S. 10) dürfe, was schließlich darin mündet, dass erst mit dieser Erklärung das Beharren auf einer konfessionshomogenen Gestalt des Religionsunterrichts zugunsten einer konstruktiven Weiterführung und politischen Öffnung hin zu regionalen Lösungen der konfessionellen Kooperation schwindet. Der Anspruch auf Konfessionalität des Religionsunterrichts bleibt auch nach der Verabschiedung von der konfessionellen Trias erhalten und wird kirchlicherseits nun aber stärker auf die Akteurinnen und Akteure des Unterrichts, insbesondere die Lehrkräfte als konfessionellen Bildungsagenten übertragen: „Die Religionslehrkräfte unterrichten konfessionsbewusst und differenzsensibel und sind als katholische oder evangelische Lehrkräfte erkennbar. So können die Schülerinnen und Schüler lernen, wie ein konfessioneller Standpunkt mit Verständnis und Offenheit für andere Konfessionen und Religionen verbunden werden kann.“ (DBK, 2016, S. 33). Demgegenüber ist die Positionalität von Lehrkräften und auch Schülerinnen und Schülern in der Erklärung von 1996 noch klar durch die Rede von konfessioneller Beheimatung gerahmt und dadurch vielleicht als Bezugsrahmen für die je individuelle Positionierung selbstverständlicher gewesen. Denn Beheimatung heißt hier eben auch, sich weitgehend in der Position der beheimatenden Institution wiederzufinden, wenn auch in kritischer Loyalität.

Was Rita Burrichter im Blick auf die Entwicklung sog. professionsorientierter Metaphern von Religionslehrerinnen und Religionslehrern aufgedeckt hat (Burrichter, 2013) – nämlich eine konfessionelle Inanspruchnahme von Lehrkräften („Bürge“) und institutionelle Verengung von Professionsmetaphern („Brückenbauer“), die vormals eher individuell ausgerichtet waren („Zeuge“) – stellt sich hier nun umgekehrt dar, allerdings nicht weniger problematisch. So hat entlang der bischöflichen Verlautbarungen im Blick auf die Positionalität von Lehrkräften eine Verschiebung vom Institutionellen zum Individuellen stattgefunden. Das ist aus vielfältigen kirchensoziologischen und individualpsychologischen Gründen sicherlich wichtig und richtig, bleibt aber auch mit einem hohen Anspruch an die Lehrkräfte verbunden und mündet möglicherweise sogar in einer konfessionellen Überbeanspruchung. Denn nicht selten wird nun, ausgehend von der letzten bischöflichen Erklärung, die religionsunterrichtsrelevante Rede von einer ‚gesprächsfähigen‘ bzw. ‚pluralitätsfähigen Identität‘ in einseitiger Weise verkürzt. So eigne sich in der Vorstellung von Verantwortlichen für die Implementierung des konfessionell-kooperativen Religionsunterrichts in NRW gerade dieser dazu, die konfessionelle Identität der Schülerinnen und Schüler zu stärken, konfessionelle Profile wieder zu schärfen und das Konfessionsbewusstsein von Lehrkräften neu zu profilieren (Nachweise bei Woppowa, 2019). Zuletzt hat sich auch das Erzbistum Köln zur Einführung des konfessionell-kooperativen Religionsunterrichts entschlossen und begründet das wie folgt: „Die Erfahrungen der ersten Schuljahre mit Konfessioneller Kooperation haben gezeigt, dass sie das Potential habe, beides zu fördern – religiöse Dialogfähigkeit einerseits und die Sprachfähigkeit und Positionalität in der eigenen Konfession andererseits.“ (Presseerklärung des Erzbistums Köln, 2022) Ein stark markierter Konfessionsbezug im Blick auf die Lehrkräfte findet sich darüber hinaus auch in neueren Stimmen evangelischer Provenienz wieder, so etwa in den „Empfehlungen der Gemischten Kommission für die Reform des Theologiestudiums“ (2020) angesichts des konfessionell-kooperativen Religionsunterrichts und den damit verbundenen Herausforderungen für die Religionslehrerinnen- und Religionsbildung. Das professionelle Selbstkonzept der Lehrkräfte beinhalte nämlich eine „evangelische Positionalität … und konfessionelle Identität“ zur „Entwicklung und Pflege einer konfessionssensiblen, als sinnhaft bejahten und glaubwürdig gelebten Religiosität und Berufsrolle“ (Empfehlungen, 2020, S. 195). Auch das werbende Statement der damaligen Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen Annette Kurschus für einen dialogisch-pluralen Religionsunterricht für alle mündet in das Motiv der Profilschärfung: „Die Kritiker wittern Gleichmacherei und Vermischung. Sie fragen: Geben wir zunehmend auf, was uns kostbar ist? Verwässern wir unsere Inhalte? Ich nehme die Bedenken sehr ernst – und frage dennoch zurück: Könnte nicht gerade der Dialog mit anderen das eigene Profil schärfen und stärken?“ (Kurschus, 2020).

Kurzum: Die Rede von konfessioneller Positionierung und Positionalität hat im Einklang mit konfessioneller Profilbildung auf einer normativen Ebene der Steuerung von Religionsunterricht und Lehrerprofessionalisierung deutlichen Aufwind erfahren, und zwar über die Konfessionen hinweg, wenn auch zum Teil bildungspolitisch unterschiedlich eingebettet. Angesichts verschiedener empirischer Einblicke im Folgenden und vor dem Hintergrund der eingangs aufgezeigten positionellen Abgrenzungsprozesse ist damit die Spannung zwischen Individualität und Positionalität einerseits und Konfessionalität und Institutionalität andererseits offenkundig größer geworden.

3 Konzeptionelle Ebene

Auf der konzeptionellen Ebene religionsdidaktischer Ansätze spielen Positionalität und Positionierung eine wichtige Rolle. Darauf sei an dieser Stelle nur kurz verwiesen, allerdings nicht ohne einen Blick auf die semantische Ebene der Begriffsbestimmung zu werfen. Mit Steffi Fabricius (2022) soll hier Positionierung prozesshaft und raum-metaphorisch in Bezug auf eine Sache oder Person verstanden werden. Auch Stefanie Lorenzen hat in ihrer Studie zur religiösen Positionierung plausibel machen können, dass sich Positionierung in Bezug auf vorgegebene Raum-Konstellationen und damit verbundene Orientierungs- und Verdichtungserfahrungen ereignet (Lorenzen, 2020, S. 149). Positionalität hingegen betont „den existenziellen, jedoch nicht weniger im Werden seienden Zustandscharakter einer Person: Man hat eine Position oder etwas besitzt eine Dimension von Positionalität.“ (Fabricius, 2022) Zugleich ist Positionalität Prozess und Ergebnis eines Vollzugs von Positionierungen und Produkt eines relationalen Sich-In-Beziehung-Setzens des Individuums. Zuletzt haben Fabricius,Riegel, Zimmermann und Totsche (2022) aufgezeigt, dass sich Lehrkräfte bei der Konzeptualisierung der Konstrukte Positionierung bzw. Positionalität metaphorischer Beschreibungen bedienen, in denen ebenfalls Räumlichkeit und Leiblichkeit zentrale Kategorien darstellen: Positionierung ist Bewegung, Positionen sind Orte; Positionalität bzw. Positionierung gleicht einem Kampf oder einem theatralischen Spiel, denn (kooperativer) Religionsunterricht wird als ein begrenzter Raum begriffen, in dem die Lehrkraft eine bestimmte Position einnimmt und damit in eine unterrichtsbezogene Rolle als „aktive dynamische Landmarke“ (Fabricius,Riegel, Zimmermann & Totsche, 2022, S. 213) schlüpft, jeweils angepasst an die didaktisch-methodische Dramaturgie des Unterrichtsgeschehens. Eine solche Raummetaphorik scheint auch in einigen aktuellen religionsdidaktischen Ansätzen bzw. Diskursen durch, die hier nur stichwortartig in Erinnerung gerufen werden sollen. In allen spielen Positionalität und Positionierung eine zentrale Rolle (vgl. überblicksartig bspw. Lorenzen, 2021) und zugleich stellen sie wesentliche Faktoren im Diskurs um die Weiterentwicklung des schulischen Religionsunterrichts dar:

  • der konfessionell- bzw. interreligiös-kooperative Religionsunterricht auf der Grundlage einer Didaktik der Multiperspektivität mit den Modi der Perspektivenverschränkung, der Perspektivenübernahme und des Perspektivenwechsels einschließlich der Förderung von Standpunktfähigkeit (vgl. bspw. Käbisch & Woppowa, 2022)

  • der Diskurs um den Hamburger Weg eines dialogischen Religionsunterrichts für alle, der nicht weniger ein „positionsbezogenes und gemeinsames Lernen“ (Knauth, 2016) verfolgt, neuerdings mit starker Akzentuierung einer „exemplarischen Positionalität“ (Bauer, 2019, S. 433) der Lehrkräfte

  • die programmatische Rede von einem „transparent-positionellen Religionsunterricht“ (Schröder, 2014, S. 165) bzw. einem „positionell-religionspluralen Religionsunterricht“ (Schambeck, 2020)

  • die Begründung eines interreligiös angelegten Religionsunterrichts entlang theologischer Modelle (von einer Pluralistischen Religionstheologie bis hin zur Komparativen Theologie) einschließlich ihres jeweiligen Umgangs mit religiöser bzw. konfessioneller Positionalität

  • diverse Ansätze interreligiöser Bildung und interreligiösen Lernens unter Bezugnahme auf einen Modus des „Sich-Vorläufig-Positionierens“ (Meyer, 2019, S. 175) oder auf „reflektierte Positionalität“ (Hüttenhoff, 2001, S. 160–168; vgl. auch Lorenzen, 2020)

Dass auf einer konzeptionellen Ebene gerade jetzt wieder verstärkt von Positionalität und Positionierung die Rede ist, dürfte kein Zufall sein, denn die Phänomene einer „flüchtigen Moderne“ (Bauman, 2003), die Begegnung mit herausfordernden Phänomenen religiöser Pluralität und die Erfahrung fluider Identitätsbildungsprozesse verlangen offenkundig nach neuer Orientierung und verlässlicher Positionierung. Jenseits dessen können auf der Ebene der Praxis allerdings Beobachtungen gemacht werden, die zum einen konträr zu dem liegen, was normativ gefordert wird und zum anderen auch die Ansätze konzeptioneller Theoriebildung kritisch anfragen.

4 Empirische Ebene

Im Blick auf Religionslehrkräfte hat Fabricius kürzlich zwischen konfessioneller Positionalität einerseits und individuell-religiöser Positionalität andererseits unterschieden (Fabricius, 2022). Dass eine solche Unterscheidung in hohem Maße sinnvoll und auch notwendig ist, legen die bisherigen Problemanzeigen nahe und kann auch durch ausgewählte und hier exemplarisch zu lesende empirische Einsichten bestätigt werden.

4.1 Vorstellungen und Selbstaussagen von Lehrkräften

Im letzten Jahr hat die Siegener Forschungsgruppe zur Evaluierung des konfessionell-kooperativen Religionsunterrichts in NRW eine Studie vorgelegt, in der im konfessionell-kooperativen Religionsunterricht eingesetzte Lehrkräfte in Gruppeninterviews nach ihrer Beurteilung spezifischer Anforderungen befragt worden sind. Insbesondere in konfessionell-kooperativen Lernumgebungen wird von den Lehrkräften gefordert, „dass sie um ihren eigenen konfessionellen Standpunkt wissen und sich in die Perspektiven der Partnerkonfession hineinversetzen können“ (Zimmermann, Riegel, Totsche & Fabricius, 2021a, S. 47). Denn ein in konfessioneller Kooperation erteilter Religionsunterricht, der in konzeptioneller und programmatischer Hinsicht auf konfessionelles Wissen, konfessionsbezogene Positionalität und Differenz zurückgreift, fordert die Lehrkräfte noch stärker in ihrer „konfessionellen Rückbindung“ (Zimmermann et al., 2021a, S. 49) heraus. In der Frage nach dem Zusammenspiel von Perspektivenwechsel und Standpunktfähigkeit scheint es laut der Befragten „nur auf der kognitiven Ebene die Möglichkeit zu geben, auch den Standpunkt der jeweils anderen Konfession einzunehmen – und zwar im Modus der Information über konfessionsspezifische Sachverhalte“ (Zimmermann et al., 2021a, S. 55) und eher nicht auf der Ebene der Haltungen und Einstellungen. Darüber hinaus sind bei den Lehrkräften signifikante Vorbehalte bzw. „kritische[] Einlassungen zur Standpunktfähigkeit“ (Zimmermann et al., 2021a, S. 55) zu erkennen, denn Standpunktfähigkeit werde mit Re-Ideologisierung assoziiert, was angesichts diverser kirchlicher Stimmen zum rekonfessionalisierenden Potenzial konfessioneller Kooperation durchaus als Problemanzeige ernst zu nehmen ist (Woppowa, 2019). Das Bild bleibt also ambivalent: Eine positive Einschätzung vom konfessionell-kooperativen Perspektivenwechsel trifft auf ein „Handlungsrepertoire der Lehrpersonen“, in dem „das Zueinander von Perspektivenwechsel und Positionalität nur ansatzweise ausgeprägt“ (Zimmermann et al., 2021a, S. 49) ist. Dazu passen auch die Ergebnisse einer zweiten Studie der Forschungsgruppe, wonach konfessionelle Positionierungsprozesse von Lehrkräften aufgrund der „fehlende[n] lebensweltliche[n] Relevanz konfessionellen Wissens“ (Zimmermann, Riegel, Fabricius & Totsche, 2021b, S. 116) bei Kindern und Jugendlichen „nur in Ausnahmefällen einen Resonanzraum“ (Zimmermann et al., 2021b, S. 121) bei Lernenden erzeugen können, aus dem ein Lernen jenseits religionskundlicher Zugänge erwachsen könnte. Die Positionierungsbereitschaft der Lehrkräfte trifft also auf gewissermaßen konfessionell unfruchtbaren Boden, was die weiterführende Frage nach den tatsächlichen Positionierungspraktiken im Unterrichtsgeschehen aufwirft.

In einer eigenen qualitativen Studie auf Basis einer Paper-Pencil-Befragung mit Statements von knapp 350 evangelischen und katholischen Religionslehrkräften unter der Forschungsfrage: Welche Selbstaussagen treffen Religionslehrkräfte über ihr professionsbezogenes Selbstverständnis als konfessionelle Lehrkraft? haben wir u.a. nach den Aspekten „Positionierung zu Glauben, Konfession und Institution“ bzw. „Sichtbarkeit von Positionalität und Konfessionalität im Unterricht“ kategorisiert. Die Ergebnisse lassen sich in aller Kürze wie folgt zusammenfassen (ausführlich bei Woppowa & Caruso, 2021):

1. Positionierung zu Glauben, Konfession und Institution: In den Statements sind zum einen Herausforderungen identifizierbar, die den Befragten in ihrer Rolle als Religionslehrkraft begegnen. Dazu zählen der Legitimationszwang des Schulfachs Religion, ein Desinteresse auf Schülerseite an den Inhalten des Fachs oder Ablehnung und Kritik gegenüber der Institution Kirche. Zum anderen finden sich Aussagen zur Konfessionsgebundenheit, die u.a. beleuchten, inwiefern sich die Lehrkräfte als christlich bzw. als nicht konfessionsgebunden erleben oder selbst eine Distanz zur eigenen Konfession empfinden. Etwas häufiger begegnen Positionierungen zur Institution Kirche, in der man sich durch pfarrgemeindliches Engagement „zu Hause fühle“, „beheimatet“ sei, zu der man sich aber auch in „kritischer Loyalität“ befinde. Die deutliche Mehrheit der Statements lässt sich allerdings der Subkategorie persönlicher Glaube zuordnen, und zwar mit mehrheitlichem Bezug auf einen Glauben, der individuell gelebt und auch ausdrücklich bezeugt wird und der von einem authentischen Auftreten im Unterricht begleitet wird.

2. Sichtbarkeit von Positionalität und Konfessionalität im Unterricht: Im Blick auf die Kategorie der Sichtbarkeit kann zunächst von einer allgemeinen Positionalität der Lehrkräfte gesprochen werden, zum Beispiel „redlich Rede und Antwort zu stehen“, „Positionen zu beziehen“ oder „Farbe zu bekennen“. Darüber hinaus findet aber auch eine Konfessionalität der Inhalte deutliche Erwähnung. Eine Konfessionalität der Lehrkraft sowie eine Konfessionalität der Schülerinnen und Schüler erscheintin den Antworten der Lehrkräfte hingegen nurmarginal.

Zumindest im Blick auf die befragten Lehrkräfte lässt sich feststellen, dass das eigene biographisch verankerte Glaubenszeugnis gerade nicht ausgeklammert wird. Wenn Positionierung stattfindet, geschieht das primär – so zumindest lassen sich die Ergebnisse deuten – aus der eigenen individuellen Erfahrung heraus und erst nachrangig in Bezug auf institutionelle und konfessionelle Bindungen. Wenn Konfessionalität im Sinne einer konfessionsgebundenen Positionalität in Erscheinung tritt, dann geschieht das – ganz analog zu den oben skizzierten Ergebnissen aus der Lehrkräftebefragung – am ehesten mit Bezug zu den Inhalten des Unterrichts und weniger im Blick auf die eigene Rolle als konfessionell gebundene Lehrkraft. Das Dilemma einer Ausrichtung zwischen individueller Religiosität und kirchlicher Identität zeigt sich auch hier und wird möglicherweise in doppelter Richtung aufgelöst: zum einen in die einer Vermittlung und Bearbeitung konfessionell spezifischer Inhalte, hinter die man sich angesichts einer bestehenden Bezugswissenschaft zurückziehen kann und zum anderen in Richtung individueller religiöser Überzeugungen jenseits konfessioneller bzw. institutionenbezogener Identität. Die von Antonia Lüdtke in Bezug auf die konfessionelle Sichtbarkeit von Lehrkräften in Schleswig-Holstein festgestellte „Transparenzproblematik“ (Lüdtke, 2020, S. 365) ginge im Blick auf die hier analysierten Selbstaussagen, in denen sich u.a. Selbstwirksamkeitsüberzeugungen spiegeln, nicht zwangsläufig auf das Konto einer fehlenden Positionierungsbereitschaft der Lehrkräfte. Vielmehr wäre auch hier weiterführend danach zu fragen, ob sich solche Selbsteinschätzungen in der Unterrichtsperformanz zeigen: in der Auswahl von Lerngegenständen oder in den Inszenierungspraktiken konfessioneller bzw. religiöser Differenz.

4.2 Unterrichtliche Positionierungsdynamiken

Positionierungsprozesse sind mehrdimensional zu rahmen, nicht nur in Bezug zur Zeitlichkeit von Lernprozessen, sondern notwendig bezogen auf räumliche Konstellationen und Orte sowie Leiblichkeit, performative Prozesse und Dramaturgien innerhalb von (unterrichtlichen) Gruppendynamiken (vgl. Lorenzen, 2020, S. 149 bzw. Fabricius et al., 2022). Das führt schließlich auf die Ebene der Unterrichtspraxis und der dort stattfindenden Positionierungsdynamiken. Aus kleineren ethnographischen Studien im Religionsunterricht im Großraum Paderborn lässt sich erkennen, dass Positionierungsprozesse nicht nur kognitiv zu erfassen und zu beurteilen sind. Vielmehr spielen emotional-affektive Aspekte und soziale Machtdynamiken eine herausragende Rolle.1

Ein erstes Beispiel: In einer Unterrichtsstunde zu religiösen Elementen in der Werbung, durchgeführt an einem ostwestfälischen Berufskolleg, provoziert die Lehrkraft durch gezielte Impulse die Schülerinnen und Schüler zu einer individuellen Positionierung. Das anfängliche Schweigen durchbricht Schüler Mark, der sich klar gegen die Werbeanzeige einer bekannten Eismarke und ihren Umgang mit religiösen Inhalten (hier das Themenfeld von Versuchung und Sündenfall) positioniert. Daraufhin geht eine Gruppe von drei Schülern in eine direkte gemeinsame Opposition, was Mark wiederum dazu bewegt, unbeeindruckt seinen Standpunkt zu untermauern. In der Lerngruppe ruft man sich gegenseitig auf, die Lehrkraft hat sich währenddessen räumlich an den Rand des Klassenraums zurückgezogen, bleibt weitgehend in der Rolle der Moderatorin und lässt die Schülerpositionierungen nebeneinanderstehen, vermutlich um deren Bereitschaft nicht durch unbedachte Anfragen auszubremsen. Plötzlich kippt die Situation: Mark bleibt zunächst in seiner Position stabil und versucht weiter zu argumentieren, bis sich Jakob ruckartig meldet, sodass Marks Blick zu ihm wandert und er dessen Aufmerksamkeit auf sich zieht. Vermutlich durch diesen Fokus beeinflusst nimmt Mark Jakob unmittelbar dran. Jakob, der die Augen leicht verdreht und seinen Mitschüler direkt mit einem Laut der Ablehnung („Boah, Maaark!“) anspricht, reagiert damit auf Marks Einschätzung verbal wie körperlich und versucht ihn in seiner Position abzuwerten. Durch die Gruppendynamik fühlt sich Jakob an dieser Stelle offenkundig gestärkt, er bewertet die Verbindung Werbung und Sündenfall als ‚witzig‘ und legitimiert dies mit der Anmerkung, dass ‚Süßigkeiten ja auch so mal kleine Sünden genannt‘ werden. Seine direkte Frage, ob Mark noch nie ein Eis gegessen habe, erzeugt ein Kichern in der Klasse und degradiert Marks Standpunkt zusätzlich. Auch ein weiterer Schüler scheint sich über ihn lustig zu machen und seine Meinung nicht akzeptieren zu wollen, was Mark tiefer in eine defensive Position drängt. Er hält sich im weiteren Verlauf der Diskussion zunehmend zurück und vernachlässigt die Verteidigung seines Standpunkts. Seine Körperhaltung zeigt das: verschränkte Arme, ein leichtes Stirnrunzeln und zusammengekniffene Lippen. Später wird er seine ursprüngliche Positionierung revidieren, indem er beipflichtet, dass die Werbung ‚an sich schon ganz gut gemacht‘ sei. Die Lehrkraft bricht das Unterrichtsgespräch anschließend ab, ohne die machtförmige Dynamik dieses Prozesses identifiziert zu haben.

In dem Beispiel lässt sich unschwer erkennen, dass reale Positionierungsdynamiken quer zu dem laufen können, was eigentlich intendiert ist: nämlich eine kontroverse, aber herrschaftsfreie Aushandlung verschiedener Positionen und ein multiperspektivischer Kommunikationsraum zur Ausbildung eines eigenen Standpunkts. Hier aber spielt vielmehr die affektiv-emotionale Dimension solcher Positionierungsprozesse eine entscheidende Rolle, insofern die Positionierung von Mark aus einer Minderheitensituation heraus erfolgt, was dieser auch klar zu spüren bekommt – bis dahingehend, dass er seine Position angesichts einer dominanten Gruppendynamik relativiert. Diese Relativierung unterscheidet sich allerdings von der Re-Positionierung im Rahmen einer größeren Diskursfähigkeit von Lernenden (Käbisch & Philipp, 2022, S. 178). Denn während diese das Ergebnis eines reflektierten und argumentativen Prozesses darstellt, erfolgt jene primär unter dem Einfluss einer dominant wirkenden anderen Position. Ähnliche Beobachtungen zeigen auch die Arbeiten der Essener Forschungsgruppe um Rudolf Englert und Sebastian Eck, die dominante Gruppendynamiken und die Tendenz zu positioneller Homogenisierung aufeinander beziehen (Englert & Eck, 2021, S. 156–158 bzw. 201). Es gibt also eine nicht zu vernachlässigende affektive bzw. emotionale Dynamik von Positionierungsprozessen, in denen nicht zuletzt die Lehrkraft eine wichtige Rolle spielt, insofern sie solche Dynamiken erkennen und an die Oberfläche heben kann.

Ein zweites Beispiel: In einer fünften Klasse an einer Gesamtschule wird anhand von präsentierten Kinderzeichnungen die Frage unterschiedlicher Gottesvorstellungen thematisiert. Auf Nachfrage einer Schülerin, ob es nicht verboten sei, ein Bild von Gott zu malen, wird auch das biblische Bilderverbot und dessen Ursprung als Kultbildverbot erläutert. Nach der Aufgabenstellung an die Schülerinnen und Schüler, nun selbst ihre Gottesvorstellung zeichnerisch anzufertigen, entgegnet Klara sehr aufgelöst und ängstlich: „Ich habe aber Angst, dass ich in die Hölle komme, wenn ich ein Bild von Gott male.“ Als die Lehrerin sie fragt, warum sie befürchte, in die Hölle zu kommen, erklärt Klara, dass ihre Eltern ihr das so erklärt haben. Daraufhin bietet die Lehrerin Klara an, dass sie etwas anderes malen dürfe und beruhigt die Schülerin mit der Erklärung, dass sie persönlich nicht glaube, dass man dafür in die Hölle komme. Daraufhin ist Klara wesentlich zufriedener und beginnt nun doch, ihre Gottesvorstellung in einem Bild auszudrücken. Im Anschluss an die Stunde begründet die Lehrerin ihre erste Entscheidung damit, dass man sich alsLehrperson der religiösen Erziehung der Eltern nicht entgegenstellen dürfe.

Im Blick auf das Unterrichtshandeln von Lehrkräften kann diese Beobachtung deutlich machen, dass in Positionierungsprozessen soziale Dynamiken einen starken Einflussfaktor auf die Positionierung von Lehrkräften darstellen. Neben ihrer Fachexpertise, die hier in der situationsspontanen Bearbeitung der Frage nach dem biblischen Kultbildverbot wirksam wird, sind es allerdings pädagogische Herausforderungen, die für eine gegenläufige Dynamik sorgen und die didaktische Intention der Lehrkraft durchkreuzen. Das zeigt das Zusammenspiel aus der pädagogischen Lernbegleitung der Schülerin, der eher auf partnerschaftlicher Ebene vollzogenen Selbstpositionierung der Lehrerin, aber nicht zuletzt und wohl am wirksamsten auch der erzieherischen Maßnahmen der Eltern, die hier normativ von außen auf das Handeln und die Selbstpositionierung der Lehrerin einwirken.

5 Fazit und Ausblick

1. Auf der normativen und konzeptionellen Ebene sind Positionierungsprozesse bzw. Positionalität zu einem identity marker des konfessionellen bzw. konfessionell- bzw. interreligiös-kooperativen Religionsunterrichts geworden. Zwar nicht erst seit gestern, aber heute und morgen findet sich dieses Merkmal allerdings in einer zunehmenden Dialektik zwischen individueller Religiosität und institutioneller Konfessionalität wieder, und zwar bei allen personalen Akteurinnen und Akteuren des Unterrichts. Darüber hinaus sind die im ersten Beispiel beobachteten Prozesse nicht unähnlich zu den eingangs erwähnten Erfahrungen von kirchlich gebundenen Christinnen und Christen, für die eine persönliche Positionierung keineswegs nur eine kognitive Herausforderung darstellt. Denn sie tun dies einerseits als Mitglied einer kritischen Mehrheitsgesellschaft, in der sie sich andererseits als Mitglied einer von massiven Glaubwürdigkeitsverlusten geprägten Kirche zugleich und zunehmend in einer (kognitiven) Minderheitensituation wiederfinden.

2. Die Unterrichtsbeobachtungen zeigen, dass sich das, was Lehrkräfte als subjektive Theorien verinnerlicht haben und artikulieren, nicht immer auch mit dem faktischen Unterrichtshandeln deckt. Die Bereitschaft zum persönlichen Zeugnis, eine sichtbare individuell-religiöse Positionalität im Unterricht sind eine Sache, ihre Praktiken und Rollen im performativen Unterrichtsgeschehen eine andere. Klar ist aber auch: Diese Inkongruenz zwischen Theorie und Praxis ist kein Resultat vermeintlich falscher Intentionen oder Entscheidungen der Lehrkräfte selbst, sondern zeigt die Dynamik unterrichtlicher Praktiken jenseits didaktischer Intentionen sowie die bestehende Kontingenz des gesamten Unterrichtsgeschehens. Eine zukünftige Unterrichtsforschung zu den Konstrukten Positionalität und Positionierung wird diese beiden Pole zukünftig stärker zusammendenken und in ihrer wechselseitigen Beeinflussung in den Blick nehmen müssen, insbesondere auch aus praxeologischer Perspektive (Grümme, 2021) zur kritischen Identifizierung affektiver, sozialer und machtförmiger Dynamiken.

3. Die empirischen Einsichten haben gegenüber den normativen Steuerungen offenkundig werden lassen, dass die Positionalität von Lehrenden und Lernenden nicht primär entlang konfessioneller oder religiöser Bindungen festgemacht werden kann und darf. Vielmehr ist Positionalität bildungstheoretisch zu bestimmen, insofern es darum geht, in einem bestimmten konfessionellen oder religiösen Bezugsrahmen individuelle Positionierungsprozesse zu initiieren, und zwar immer auch in der kritischen Bezugnahme auf religiöse Traditionen, Institutionen oder Konfessionen. Wenn beispielsweise Lorenzen den „Begriff der religiös-weltanschaulichen Positionierung als Zielhorizont des Religionsunterrichts“ (Lorenzen, 2020, S. 300) markiert und damit einem konfessionellen Überführungskonzept der Indukation in eine bestimmte religiöse bzw. konfessionelle Tradition als Unterrichtsziel widerspricht, dann geht es im Blick auf Positionierungsprozesse um einen unabschließbaren und wohl fragmentarischen Bildungsprozess des Subjekts, der in hohem Maße anfällig ist für Machtförmigkeiten und Differenzkonstruktionen. Denn individuelle Positionierungsprozesse in religiösen und ethischen Fragen können auch weit über den Schulkontext hinausreichen und – sofern das die Dramaturgie des Unterrichts ermöglicht – auch eine existenzielle und biographische Relevanz entfalten. Im Blick auf das, was im Unterricht möglich und nötig ist – und mit der etwas irritierenden, aber doch auch heilsamen Feststellung einer „relativen Bedeutungslosigkeit religionsunterrichtlicher Bemühungen“ (Englert & Eck, 2021, S. 156) angesichts existenzieller Fragen und Herausforderungen des Lebens –, scheint es ratsam, gegen eine positionelle Überbeanspruchung von Lehrkräften, Kindern und Jugendlichen und Religionsunterricht insgesamt zu plädieren. Es braucht manchmal wohl eher den Mut zur Vorläufigkeit von Positionierungen, zu im didaktischen Sinne spielerischen bzw. inszenierten Positionen im Unterricht, deren gezielte Verschränkung in eine entsprechende Dramaturgie des Unterrichts münden kann. Der Prozesscharakter von Positionierung und Re-Positionierung (Käbisch & Philipp, 2022, S. 176–178) lässt sich mit dem didaktischen Ansatz der Perspektivenverschränkung abbilden und unterrichtlich aufrechterhalten. Denn Verschränkung bedeutet, verschiedene inhaltliche Perspektiven mit geeigneten Lernaufgaben so aufeinander zu beziehen, dass dadurch sichtbare Unterrichtsdramaturgien und kontroverse Lernprozesse entstehen können (Woppowa, 2018b, S. 185–191). Dabei zielt ein perspektivenverschränkendes Lernen in besonderer Weise auf die Förderung individueller Positionierungen und auch – im Blick auf die Lernenden selbst – auf eine „Fähigkeit zur Perspektivenverschränkung“ (Evers, 2022, S. 76), in der im Wechsel von Perspektiven „[a]ngemessene Umgangsformen mit eigener und fremder Positionalität“ (Evers, 2022, S. 76) gelernt und hermeneutische Verstehensprozesse initiiert werden können: „Wie erscheint der jeweils andere in meiner Perspektive und ich in seiner und wie kann ich diese Differenz in meiner Perspektive wieder verstehen?“ (Evers, 2022, S. 76)

4. Wenn Positionalität als existenzielle Haltung oder individueller Habitus beschrieben wird (bspw. Fabricius, 2022; Zimmermann, 2022, S. 15), dann impliziert das die Rückbindung an geistige Ressourcen bzw. spirituelle Quellen, denn eine solche Haltung kann schwerlich nur aus sich selbst heraus entwickelt werden. Das Reden über die Positionalität bzw. Positionierungsfähigkeit von Religionslehrkräften braucht daher eine Aufmerksamkeit für die Spiritualität von Lehrerinnen und Lehrern im Sinne einer gelebten geistigen Identität, in der auch eine gewisse Positionalität in Erscheinung treten kann und die ihrerseits freilich als Prozess der individuellen Anverwandlung geistiger oder spiritueller Quellen zu verstehen ist. Nicht zuletzt im Blick auf das spirituelle bzw. glaubenspraktische ‚Gepäck‘ angehender Lehrkräfte ist die Religionslehrerinnen- und Religionslehrerbildung mittlerweile vielleicht an einem Punkt angekommen, an dem man sich in der Absicht religionspädagogischer Professionalisierung auch den spirituellen Biographien der Adressatinnen und Adressaten zuwenden und spirituelle Bildungsprozesse initiieren müsste. Dafür ist nicht zuletzt auch die Domäne Spiritualität als religiöser Weltzugang und als Dimension religiöser Bildung (Woppowa, 2018b, S. 192–201) ernst zu nehmen. Das gilt insofern auch im Blick auf unterrichtliche Lernprozesse, als „seitens der Lehrpersonen gerade ‚Sinn und Geschmack‘ nicht nur für religiöse Fragen zu erwarten [ist], sondern ebenso für die Performanz religiöser Kommunikationsformen“ (Dressler, 2022, S. 180) oder – mit anderen Worten: für die Vielfalt spiritueller Ausdrucksformen, deren Erschließung und didaktische Bearbeitung eine nicht unwesentliche Dimension religionspädagogischer Professionalität darstellt.

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Prof. Dr. Jan Woppowa, Professor für Religionsdidaktik am Institut für Katholische Theologie an der Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Paderborn

  1. Für die beiden folgenden ethnographischen Aufzeichnungen danke ich an dieser Stelle Herrn Jan Wendte und Frau Laura Clermont.