„Natürlich erscheint die Wissensvermittlung stets als etwas Positives. In Wirklichkeit […] bedeutet sie eine zweifache Unterdrückung: für jene, die davon ausgeschlossen sind, und für jene, denen sie zuteil wird und denen sie Modelle, Normen, Raster aufzwingt.“ (Foucault 2002 [1971], S. 273)

1 Genealogie und Kritik ethikdidaktisch formierter Sprechpositionen im Kooperationsdiskurs

Die folgenden Beobachtungen wollen Interesse für die Frage wecken, wie im ethikdidaktischen Diskurs über die Kooperation von Ethik- und Religionsunterricht mit hervorgebracht wird, was lediglich beschrieben oder empfohlen zu werden, aber hinsichtlich seiner konkreten Gestalt noch unbestimmt zu bleiben scheint: der Dialog zwischen den Lernenden. Wenn dahingehend im Folgenden von Ethikdidaktik die Rede ist, ist dies in der weiten, die Fachdidaktiken verwandter Fächer wie Werte und Normen, Praktische Philosophie, LER usw. umfassenden Bedeutung gemeint – Differenzierungen, die sich erst auf der Ebene fachkonzeptioneller Unterschiede zwischen diesen Unterrichtsfächern ergeben könnten, bleiben hier also zunächst außer Betracht.

Die Darstellung schließt sich lose an das von Michel Foucault (1973 [1969], S. 75-82) artikulierte Konzept der Sprechposition an (eigentlich Sprecherposition, hier zeitgemäß neutralisiert und im Sinne des Autors stärker entsubjektiviert). Im Diskurs als einer über soziale Interaktion etablierten und aufrecht erhaltenen Praxis der Produktion von Äußerungen sind dem Konzept der Sprechposition nach nicht nur Gegenstände, Begriffe und Strategien (z.B. thematische Schwerpunktsetzungen) des Sprechens präformiert. Diskursive Formationen enthalten auch Positionen, von denen aus Äußerungen zu produzieren sind und die sich durch Beantwortung folgender Fragen beschreiben lassen: Wer kann sprechen? Aufgrund von welchem Status? Von welchem institutionellen Platz aus? In welcher Art der epistemischen bzw. technischen Zuwendung zum Gegenstand des Diskurses? (Foucault, 1973 [1969], S. 61-75, S. 83-111)

Es sind diese „Äußerungsmodalitäten“ (Foucault, 1973 [1969], S. 75), die durch Sprechpositionen geklärt werden. Etwas später hat Foucault bekanntlich auch ausdrücklich auf Unterricht als Prozedur der „Unterwerfung des Diskurses“ und als System der „Ritualisierung des Wortes, eine Qualifizierung und Fixierung der Rollen für die sprechenden Subjekte“ geblickt (Foucault 1991 [1972], S. 30). Dabei unterschied er deutlicher eine genealogische von einer kritischen Diskursanalyse. Während Genealogie Diskursformationen vor allem als Bedingungen der Produktion von Äußerungen beschreibt, arbeitet Kritik Ausschlüsse und Verwerfungen heraus, die mit Diskursformierungen, u.a. durch Sprechpositionen, verbunden sind, also deren Zwangscharakter bzw. Machtförmigkeit (Foucault 1991 [1972], S. 38-39). Die folgenden Überlegungen verstehen sich in diesem Sinn nicht nur als Anregung zu einer Genealogie, sondern auch zu einer Kritik der innerhalb ethikdidaktischer Kooperationsdiskurse formierten Sprechpositionen.

Es mag allerdings kontraintuitiv scheinen, dass sich Lernende, die ja – neben Lehrenden – in der Regel als Subjekte von Fächerkooperationen vorgestellt werden, überhaupt der Sprechpositionen bedienen sollten, die innerhalb akademischer Diskurse über Fächerkooperationen etabliert werden. Die folgenden Überlegungen setzen insofern tatsächlich eine Vermittlung der theoretisch-konzeptionellen Ebene von Fachdidaktik mit der methodisch-praktischen Ebene von Unterricht voraus. Eine solche Vermittlung kann durch den Verweis auf Unterrichtsmaterialien, Methoden und ritualisierte unterrichtliche Praxen zumindest plausibilisiert werden. Dennoch verweisen die heutigen, an hypothetischen didaktischen Konstruktionen orientierten Überlegungen auf ein anderes, stärker empirisch-kritisches Projekt. Dieses hätte noch zu erschließen, inwieweit sich konkrete unterrichtliche Vollzüge als Aktualisieren von Sprechpositionen aus dem Diskurs über die Kooperation der Fächer verstehen lassen – oder eben von Fall zu Fall auch nicht, im Sinne einer eigensinnigen diskursiven Formierung aus dem Praxisfeld Unterricht heraus.

Im Folgenden werden drei längere Zitate aus der Ethikdidaktik, die sich auf die Kooperation mit dem Religionsunterricht beziehen, aus der geschilderten Perspektive der Frage nach der Formierung von Sprechpositionen (3.-5.) eingehender analysiert. Diesen Analysen wird eine kurze Skizze zum eher marginalen Status von ethikdidaktischen Überlegungen zur Kooperation mit dem Religionsunterricht vorausgeschickt (2.) Abschließend werden die hier exemplarisch herausgearbeiteten Vorzüge einer diskursanalytischen Perspektive auf den Kooperationsdiskurs kurz zusammengefasst (6.).

2 Marginalität ethikdidaktischer Überlegungen zur Kooperation mit dem Religionsunterricht

Mit dem ethikdidaktischen Diskurs über die Kooperation mit dem Religionsunterricht wird kein intensiv bearbeitetes und konsolidiert vorliegendes Forschungsfeld angesprochen. Die Fragen nach dem „Ob?“ und dem „Wie?“ religionsbezogener Bildung im Ethikunterricht beschäftigten und beschäftigen die Ethikdidaktik mehr als die Frage nach der Kooperation mit dem Religionsunterricht. Dies zeigen einschlägige Themenhefte der Zeitschrift für Didaktik der Philosophie und Ethik (H. 40,1 (2018), 31,1 (2009), 6,4 (1984)) bzw. Ethik&Unterricht (H. 13,3 (2002), 9,4 (1998), 3,3 (1992), 2,1 (1991)), zahlreiche weitere Einzelbeiträge in den genannten Zeitschriften zur konkreten inhaltlichen und methodischen Gestaltung von Unterrichtseinheiten (auffindbar online über: https://www.deletaphi.de/), aber auch die Themenschwerpunkte eines jüngst erschienenen Sammelbands (Torkler & Tiedemann, 2023). Generell lässt sich auch auf schulpraktischer Ebene ein Mangel an institutionalisierten Arbeitsbeziehungen der Fächer feststellen, was gelingende, meist auf persönlicher Ebene fundierte Kooperationsformate nicht ausschließt (Schweitzer, Boschki & Ulfat, 2022, S. 124). Versucht man sich den geschilderten Forschungsstand zu erklären, lassen sich mit Blick auf die Ethikdidaktik zunächst zwei Faktoren in Betracht ziehen:

  1. Es lässt sich rückblickend erkennen, dass sich frühe ethikdidaktische Positionen um der Wahrung der weltanschaulichen Neutralität des noch neuen Unterrichtsfachs und um der negativen Religionsfreiheit der Lernenden willen beschränkt sahen auf eine schwerpunktmäßig „durch sachliche Information“ erfolgende „Wissensvermittlung“ (Pöpperl, 1996, S. 12) über Religion. Die im Ethikunterricht in diesem Sinn vermittelten Kenntnisse sollten neben Zugängen zu religiösen Prägungen der die Lernenden umgebenden Lebenswelt, Kultur und auch der abendländischen Ethik (Lohmann, 1999) vor allem ein durch religionskundliche Kenntnisse gestütztes Verständnis und auf dieser Grundlage Toleranz für religiösen Glauben bzw. religiös Gläubige ermöglichen. Auch wenn der Zusammenhang zwischen religionskundlichem Wissen bzw. Verstehen und Toleranz keineswegs notwendig ist und mutmaßlich ein Missverständnis bezogen auf die Gründe und Veranlassungen für Toleranz impliziert, existieren entsprechende ethikdidaktische Positionen sowie entsprechend orientierte Unterrichtsmaterialien nach wie vor. Und es gibt auch in der jüngeren Diskussion Stellungnahmen, die mit ähnlichen Gründen und unter zusätzlicher Betonung der Eigenständigkeit und Suffizienz säkularer, philosophisch fundierter Lebensorientierung den Bezug auf Religion im Ethikunterricht auf die genannten religionskundlichen Elemente beschränken (Tichy, 2016) oder auch auf diese eher verzichten möchten (Wilhelm, 2023).

  2. Schon länger hat sich über die Orientierung an „Kulturmündigkeit“ (Henke, 2016, S. 125) und toleranter Verständigung hinaus in der Ethikdidaktik jedoch auch eine umfassendere Auffassung von religionsbezogener Bildung etabliert. Als Anlässe dieses Wandels lassen sich die von Jürgen Habermas prominent vertretene Annahme einer bleibenden Relevanz von Religion in modernen Gesellschaften und die durch Jürgen Baumert vorgeschlagene Annahme eines für Religion spezifischen, nicht substituierbaren und insofern allgemein bildungsbedeutsamen Rationalitätsmodus ausmachen (Tichy, 2016). Religionsbezogene Bildung im Ethikunterricht wird in diesem Zusammenhang als umfassendere Bildungsaufgabe verstanden, welche bezogen auf die am Ethikunterricht teilnehmenden Lernenden nur der Ethikunterricht selbst übernehmen kann, da sich in den meisten deutschen Bundesländern die Teilnahme am Religions- und Ethikunterricht wechselseitig ausschließen.

Religionskundlichen Elementen kommt dabei weiter eine wichtige Rolle zu. In den Vordergrund treten nun aber die Prozesse einer verstehenden Auseinandersetzung, auch mit der Binnenperspektive von Religionen, ihren ausdifferenzierten Praxen und Institutionen und ihren originären sprachlichen und kognitiven Leistungen. Auch die handelnde Interaktion mit religiös Gläubigen bzw. gegenüber religiösen Institutionen, bis hin zur Frage danach, ob eine religiöse Lebensgestaltung für die Lernenden selbst eine praktische Option darstellen könnte bzw. wie sie sich zu praktischen Geltungsansprüchen religiösen Ursprungs verhalten wollen, verbinden sich nun mit religionskundlichen Zugängen. Gegenüber einer versachlichend-informierenden und am Paradigma kultur- und religionswissenschaftlichen Verstehens orientierten Didaktisierung von Religion im Ethikunterricht wird mit diesen Schwerpunktsetzungen auch die Orientierung an einer diskursiven Verhandlung religiöser Geltungs- und Wahrheitsansprüche wichtiger. Diese kann im Medium des für den Ethikunterricht ohnehin charakteristischen sokratischen Selbst-Denkens wie in Anknüpfung an den fachlichen Diskurs der Religionsphilosophie bzw. Religionskritik erfolgen – aber auch die Gestalt einer philosophischen Rekonstruktion ohne Annahme der Vorbedingung des Glaubens gewinnen (Henke, 2016, Reuter, 2014, Torkler, 2022).

Als differenzierter ausgearbeitete ethikdidaktische Konzeption religionsbezogener Bildung in diesem Sinn können insbesondere die im Kontext der LER-Didaktik formulierten und an das sogenannte Berliner Modell religiöser Bildung (Benner, Schieder, Schluß & Willems, 2011) anschließenden Überlegungen von Eva Maria Kenngott (2012) angeführt werden. Kenngott bezieht religionskundliche Elemente integrativ auf die Förderung der als zentral begriffenen religiösen Deutungs- und Partizipationskompetenz. Diese sind auf die verstehende Erschließung des Religionen eigenen Transzendenzbezugs bzw. des Umgangs mit Transzendenz und auf die Beteiligung an der öffentlichen Interaktion und am Diskurs zwischen religiösen und nicht-religiösen Menschen in pluralistischen Gemeinwesen bezogen. Die im Vergleich mit Kenngott stärker anthropologisch und religionsphilosophisch als vom Konzept der pluralistischen Öffentlichkeit her fundierte Didaktik des Religiösen von Hans-Bernhard Petermann (2002, S. 126-147) integriert religionskundliches Lernen in ähnlicher Weise. Es wird einerseits bezogen auf eine philosophierende Erschließung des Spezifischen von Religion im Rahmen einer religiösen Propädeutik/Anthropologie bzw. religiösen Sprachlehre, andererseits auf die philosophierende Auseinandersetzung mit Orientierungsfragen. Diese umfassen nicht nur die kritische Stellungnahme gegenüber Religion und die philosophische Tradition der Religionskritik gleichermaßen, sondern auch die Frage nach eigenen, religiöse Optionen einschließenden, Lebensentscheidungen.

Sowohl der früheren wie der umfassenderen Variante einer Didaktik des Religiösen im Ethikunterricht kann ein Anteil an der eher geringen Aufmerksamkeit des ethikdidaktischen Diskurses für das Thema der Kooperation mit dem Religionsunterricht zugerechnet werden. Der eher auf Divergenz gegenüber dem Religionsunterricht angelegten, schmalen Didaktik muss die Kooperation mit dem Religionsunterricht als eher unattraktiv erscheinen, weil damit diejenigen umfassenderen religionsbezogenen Bildungsziele und Inhalte in den Ethikunterricht wieder einbezogen zu werden scheinen, die jene Didaktik aus den genannten Gründen verabschiedet hatte. Der an umfassenderen, religionsbezogenen Bildungszielen orientierten und insofern mit dem Religionsunterricht eher konvergierenden Didaktik mag hingegen eine Kooperation mit dem Religionsunterricht ebenfalls nicht besonders attraktiv erscheinen. Hinsichtlich der Erschließung neuer Bildungsperspektiven scheint sie vom Religionsunterricht, mit dem sie eben in dieser Hinsicht konvergiert, kaum Andersartiges erwarten zu dürfen. Sie muss sich aber in der Kooperation auf einen ihr fremden Modus der Arbeit an ähnlichen Zielen einlassen und nicht nur die oben erwähnte Betonung einer diskursiv-philosophischen Behandlung des Themas zur Disposition stellen. Zumindest unter dem Vorzeichen des konfessionellen Religionsunterrichts muss Ethikdidaktik in der Kooperation sich auch auf den Bezug auf die spezifischen Kontingenzen einer einzigen Bezugsreligion einlassen.

Zu diesen fachkonzeptionell gelagerten Faktoren kommen rechtliche und schulorganisatorische Besonderheiten im Vergleich mit anderen potenziell für eine Kooperation zur Verfügung stehenden Unterrichtsfächern hinzu. Ethik- und Religionsunterricht werden als Ersatz- bzw. Alternativfächer kaum als komplementäre Ergänzungen wahrgenommen. Dies wirkt nicht zuletzt auch auf die Ausbildung von Lehrkräften zurück. Sie verfügen oftmals über nur sehr geringfügige Kenntnisse bezogen auf das jeweils andere Fach, da sie an der Schule in der Regel nicht beide Fächer umfänglich besucht haben und ein Studium beider Fächer (anders etwa als in Konstellationen der sogenannten MINT-Fächer) die Ausnahme bildet bzw. oftmals gar nicht regulär möglich ist. Allgemeine Trends, wie die zunehmende curriculare Etablierung fächerübergreifenden Lernens, bezogen auf Schlüsselprobleme, wie z.B. neuerdings Nachhaltigkeit oder Digitalisierung, und klassischerweise Friedenserziehung, wirken der angesprochenen Trennung von Ethik- und Religionsunterricht zwar graduell entgegen, aber auch dies bleibt meist beschränkt auf kürzere Zeiträume im Schuljahr und etabliert institutionell und inhaltlich gerade keine umfassenderen Kooperationsstrukturen bzw. -diskurse.

Vor diesem Hintergrund erstaunt auf gewisse Weise nicht, dass in gängigen Einführungen zur Ethikdidaktik das Thema der Kooperation mit dem Religionsunterricht kaum eine Rolle spielt. Der einzige Handbuchartikel zur Kooperation der Fächer stammt sogar von einem aus der Religionspädagogik kommenden Autor (Schweitzer, 2016). Auch in einem einschlägigen Sammelband, der sich explizit der Alternative Konkurrenz oder Kooperation der Fächer widmet (Schröder & Emmelmann, 2018) scheinen die ethikdidaktischen Stimmen, unter freundlichem Verzicht auf die Behauptung eines Konkurrenzverhältnisses, eher die Eigenheiten des Fachs Ethik und die Begründung seiner eigenständigen religionsbezogenen Bildungsziele zu artikulieren, also eher die Koexistenz der Fächer auszubauen als Kooperation anzubahnen.

Der evangelische Religionspädagoge Andreas Kubik (2022) hat kürzlich die dazu passende Beobachtung entfaltet, dass neuerdings, angesichts sinkender Teilnahmezahlen, gerade die christliche Religionspädagogik verstärkt das Interesse an einer möglichst vielfältigen und stetigen Kooperation mit dem Ethikunterricht und Fächern des nichtchristlichen Religionsunterrichts formuliere. Sie erliege dabei aber dem Missverständnis, dass die eigenen, aufgrund ihrer Formierung unter den Bedingungen liberaler Staatlichkeit und im Milieu neuzeitlicher Pädagogik irrigerweise als allgemein akzeptabel aufgefassten, religionspädagogischen Inhalte und Methoden für andere Fächer bzw. deren Didaktiken unmittelbar akzeptabel seien. Ähnliche Haltungen sollen hier für die ja unter ähnlichen Formierungsbedingungen entstandene Ethikdidaktik gar nicht ausgeschlossen werden – und lassen sich tatsächlich kritisch in Frage stellen (Kühnlein, 2022). Insofern kann unter die Faktoren, die einem ausgedehnteren ethikdidaktischen Diskurs über Kooperation mit dem Religionsunterricht entgegenstehen, auch gezählt werden, dass man sich seitens der Ethikdidaktik letztlich bereits im Besitz der allgemein akzeptablen Orientierungen glaubt, die eine mögliche Kooperation bestimmen sollten. Kubik erwähnt als Mittel der Korrektur diesbezüglicher Einbildungen die Etablierung realer, ergebnisoffen geführter Aushandlungsprozesse, was an dieser Stelle nur bekräftigt werden kann.

Die folgenden Überlegungen zu ethikdidaktischen Kooperationskonzepten entfalten ausgehend von der Frage nach der Formierung von Sprechpositionen der Lernenden allerdings zunächst eine vor allem immanente Kritik. Vielleicht kann diese aber möglicherweise die Bereitschaft zu realen Aushandlungen zwischen den Fächern graduell mit befördern, insofern sie bereits etablierte Selbstverständlichkeiten von Seiten der Ethikdidaktik noch einmal in Frage stellt.

3 Sprechen im Kontext fächerverbindender menschlicher Fragen

Die folgende Untersuchung konzentriert sich, wie schon angekündigt, auf ausgewählte, längere Zitate aus der verfügbaren Literatur.

Das erste Zitat entnehme ich der Veröffentlichung Religions- und Ethikunterricht in der Schule mit Zukunft, einem von den Religionspädagogen Michael Domsgen und Matthias Hahn und der Philosophiedidaktikerin Gisela Raupach-Strey gemeinsam herausgegebenen Sammelband (2003). Der Band kann als Ergebnis eines der eben angesprochenen, realen Aushandlungsprozesse gelten, insofern die Autoren und die Autorin die im Folgenden diskutierte Konzeption gemeinsam veröffentlicht haben. Sie greifen mit Blick auf Sachsen-Anhalt, in politikberatender Perspektive, aber konzeptionell darüber hinausweisend, die Idee einer inhaltlich und schulorganisatorisch eng verzahnten Fächergruppe auf, in der die Fächer des konfessionellen Religionsunterrichts und das Alternativfach Ethikunterricht eng verzahnt kooperieren.

Dies geht auf einen seit den 1990er Jahren prominenten Vorschlag aus der evangelischen Religionspädagogik seitens Karl Ernst Nipkows zurück, der sich bis heute nachhaltiger Aufmerksamkeit und Wertschätzung erfreut (Schröder, 2018). Außerordentlich reizvoll erscheint auch noch nach 20 Jahren, dass Domsgen, Hahn und Raupach-Strey eine organisatorische Gestaltung vorschlagen, innerhalb derer Lernende über die Teilnahme am Unterricht eines der Fächer der Fächergruppe jeweils nicht für ein ganzes Schuljahr entscheiden. Die Autoren schlagen vor, ein Kurssystem zu organisieren, in dem Ethik- und Religionsunterricht über das Schuljahr hinweg jeweils Angebote zu „gemeinsamen Fragestellungen“ (Domsgen et al., 2003, S. 56) machen. Die Lernenden entscheiden bei jedem Kursangebot neu, im Kontext welchen Fachs sie lernen. Gerahmt werden die differenzierten Kursphasen durch gemeinsames Lernen zum Einstieg (Themeneröffnung) und zum Ende der Sequenz (Austausch und Diskussion der Lernergebnisse).

Zwei große Vorteile dieses Vorschlags gegenüber eher episodischen Kooperationsformen liegen auf der Hand: Die Lernenden können Inhalte und Vorgehensweisen von Religions- und Ethikunterricht mehr als oberflächlich kennenlernen und in Beziehung setzen. Außerdem bleiben die Individuen, die in diesem Modell selbst über die Teilnahme an mehr als einem Fach der Fächergruppe entscheiden, gänzlich frei von der Kooperation der Fächer, wenn sie in dieser Weise Gebrauch von ihrer Freiheit machen möchten.

Mit Blick Sprechposition und Äußerungsmodalitäten scheint mir jedoch ein genauerer Blick auf die Rede von „gemeinsamen Fragestellungen“ angezeigt, die des Öfteren vorkommt (Fröhlich, 1998, Lehmann & Schmidt-Kortenbusch, 2018). Domsgen, Hahn und Raupach-Strey explizieren diesen Dreh- und Angelpunkt ihrer Überlegungen in dem folgenden Zusammenhang:

„In den beteiligten Fächern richtet sich das Interesse des Schülers und des Lehrers auf allgemein interessierende Fragen des Menschseins, auf Grenzsituationen des menschlichen Lebens, existenzielle Fragen, Orientierungs- und Sinnfragen. Sie betreffen alle Schüler gleichermaßen. Von daher ist es möglich, den Unterricht so zu organisieren, dass

  • zum einen alle Schülerinnen und Schüler sich im Horizont eines bestimmten Problems begegnen, sich auseinandersetzen und sich den unterschiedlichen Wegen und Herangehensweisen stellen (Integration),

  • zum anderen die Schüler einen oder mehrere fachliche Zugänge zum Problem wählen, besonders verfolgen und vertiefen (arbeitsteiliges Vorgehen, Wahldifferenzierung im Kurssystem […])“ (Domsgen et al., 2003, S. 55)

Die Lernenden sprechen demnach also im kooperativen Unterricht als Menschen, in Zuwendung zu Fragen, die sich im Sinne anthropologischer Konstanten, oder jedenfalls hier und jetzt, allgemein jedem Menschen stellen – und durch Religion und Ethik/Philosophie unterschiedlich untersucht und beantwortet werden. Im differenzierten Unterricht lernen die Lernenden nicht nur unterschiedliche Antworten aus den beteiligten Fächern kennen, sondern auch die spezifischen „Vorgehensweisen und Erfahrungsbereiche“ (Domsgen et al., 2003, S. 55), welche die Fächer laut den Autoren/der Autorin unterscheiden. Diese Unterschiede werden in der abschließenden Lernphase präsentiert und diskutierend miteinander vermittelt. Zwei Bemerkungen scheinen mir diesbezüglich angebracht:

  1. Durch den geschilderten Rahmen scheint ein Sprechen der Lernenden präformiert, dass sich innerhalb der Grenzen des funktionalistisch-vernunftreligiösen Religionsbegriffs bewegt, den die Autoren/die Autorin mit ihrer Position der gemeinsamen, durch anthropologische Herausforderungen bedingten Fragestellungen der Fächer als Äußerungsmodalität mit setzen. Religion hat demnach eine Funktion im rationalen, oder jedenfalls rationalisierbaren Erschließen und Beantworten von Fragen, die sich aus der conditio humana heraus, jedenfalls zeitweilig, universell stellen. Es wird schwerfallen, unter diesen Bedingungen etwa ein Sprechen über Religion zu etablieren, das Religion – auch in ihren Stellungnahmen zu spezielleren, etwa ethischen Themen – stärker als kontingente Beziehungsgeschichte zum Göttlichen mit einem Erfahrungsschwerpunkt auf Offenbarung und Aufrechterhaltung einer wertgeschätzten Orthopraxie versteht. Und dies wäre nur eine divergierende, stärker an einem substantiellen Religionsbegriff orientierte, und real ja durchaus existierende und berücksichtigenswerte Spielart des Verständnisses des Religiösen. Ähnliches gilt für philosophische Positionen, die Religion stärker von ihrer Transzendenz gegenüber dem Rationalen und lebensweltlich eingebetteter Rationalität her deuten – man denke an Kierkegaards „Sprung“, der ein Jenseits ethischer Rationalität adressiert und mit zu demjenigen gezählt werden kann, was neben aller rational-diskursiven Erschließung von Religion im Ethikunterricht erfasst werden soll (Henke, 2016, S. 127).

  2. Ein inhaltlich oder formal genuin unterschiedliches Fragen der Unterrichtsfächer und ihrer wissenschaftlichen Bezugsdisziplinen scheint zudem in dem geschilderten Rahmen schwer adressierbar. Differenz soll ja lediglich in der Zuwendung zu unterschiedlichen Vorgehensweisen und Erfahrungsbereichen zu denselben Fragen artikuliert werden. Wie aber schon der dem Band beigegebene Vorschlag zum Thema Gewalt zeigt (Domsgen et al. 2003, S. 73-75, aus der Feder von Nipkow), stellen die Fächer und Disziplinen innerhalb komplexer Überzeugungssysteme und vor dem Hintergrund spezifischer disziplinärer Diskursgeschichten auch inhaltlich und formal recht unterschiedliche, und nicht ein und dieselbe Grundfrage, konvergieren also weitaus weniger, als die Rede vom gemeinsamen Fragen es suggeriert.

In neueren Veröffentlichungen wird anekdotisch berichtet, dass Lernergebnisse nach disziplinär getrennt erteiltem Religions- und Ethikunterricht zur unterrichtlich zuvor gesetzten identischen Frage nach der Erlaubtheit von Sterbehilfe in einem konkreten Fall sich abschließend in einem Rollenspiel nur schwer vermitteln lassen (Merkel, Lieberknecht & Haase, 2018, S. 274-276). Dahinter steht möglicherweise aber nicht nur ein kontingentes, an den entsprechenden Lernmaterialien festzumachendes, sondern das hier angesprochene, prinzipielle Problem.

Demnach wäre die Sprechposition der Lernenden weitaus mehr für die Artikulation unterschiedlicher, disziplinär bedingter Fragen in den Fächern und für die Artikulation entsprechender Kontraste zu öffnen. Es würden jedenfalls zusätzliche Chancen für das kooperative Lernen entstehen, wenn Lernende in der Auseinandersetzung mit Jean-Paul Sartre (säkulare Ethik) und Giovanni Pico della Mirandola (christlich-humanistische Anthropologie) darüber sprechen könnten, dass beide Autoren nicht lediglich unterschiedliche Antworten auf dieselbe Frage danach geben, was der Mensch „ist“. Zu erschließen wären vielmehr die inhaltlich deutlich unterschiedlichen, in gänzlich unterschiedlichen Überzeugungssystemen semantisch eingebetteten Fragen, von denen aus Sartre und Pico zu entsprechend unterschiedlichen, und sich ebenfalls nur oberflächlich ähnelnden Antworten gelangen, die dann wiederum für ein Unterrichtsfach wie Religion oder Ethik auch noch einmal auf je unterschiedliche Weise relevant werden.

Das Beispiel Sartres und Picos ist instruktiv, weil es nicht nur die bloß scheinbare Gemeinsamkeit von Fragen, sondern die tatsächliche Komplexität der Verhältnisse illustriert. Als geeignete Alternative zum Ansetzen bei gemeinsamen Fragen empfiehlt es die Auswahl von Gegenstandsbereichen, auf die beide Fachdiskurse sich wissenschaftlich und didaktisch zugleich je schon beziehen, in ihrem je eigenen Fragen und Erkennen und in diesen Bezügen auch schon aufeinander. Weder Sartre noch Pico gehören einem der Unterrichtsfächer bzw. wissenschaftlichen Bezugsdisziplinen allein – ihre jeweilige Thematisierung des Menschen ist sowohl auf den Diskurs der philosophischen Ethik wie der christlichen Theologie, auf Religions- wie Ethikunterricht bezogen. Sartre und Pico eignen sich insofern jeweils einzeln, aber auch zusammen, in mehrfacher Hinsicht für ein vor allem an der Differenz der Zugänge der Unterrichtsfächer und der wissenschaftlichen Disziplinen orientiertes Arbeiten innerhalb der Fächerkooperation, wie es von Friedrich Schweitzer (2016, S. 52) im Anschluss an den Religionspädagogen Bernhard Dressler auch für die Fächerkooperation empfohlen wird.

4 Sprechen als Repräsentation von Unterrichtsfächern und diesen zugeordneten Weltanschauungen/Religionen

Ein zweites Zitat ist einer Untersuchung zur Fächerkooperation von Anne Burkard (2022) entnommen. Burkards Aufsatz präsentiert eine Liste von Gründen, die eine Kooperation von Ethik- und Religionsunterricht hemmen können. Viele dieser Gründe resultieren aus der Beobachtung einer inneren Diversität der Ethikdidaktik, die aus der Diversität der in verschiedenen Bundesländern gegebenen Ersatz- bzw. Alternativfächer zum Religionsunterricht resultiere und eine übergreifende Bestimmung von Kooperationsbeziehungen erschwere. Analog lässt sich dieses Argument laut Burkard auch von einer gegebenen Diversität der Religionspädagogik bzw. der Diversität religionsunterrichtlicher Fächer her formulieren.

Trotz der treffend herausgearbeiteten fachkonzeptionellen Unterschiede leuchtet allerdings nicht ohne Weiteres ein, warum Fachkooperationen mit dem Religionsunterricht auf der Grundlage der Fachdidaktik eben eines einzigen Ersatz- bzw. Alternativfachs nicht doch möglich sein sollten – weil eine Kooperation mit mehr als einem bestimmten Ersatz- bzw. Alternativfach in der Praxis ja gar nicht notwendig scheint. Außerdem scheint die Ableitung von Fachdidaktiken aus real gegebenen, und hier föderal eben vielfältig gegebenen, Unterrichtsfächern und deren curricularen Bestimmungen, als nur eine, keineswegs zwingende Vorgehensweise, die das hier markierte Problem erst hervorbringt. Alternativ ließe sich vertreten, eine recht homogene Ethikdidaktik im Sinne eines wissenschaftlichen Diskurses, dem die Unterrichtsfächer empirisch eben immer nur teilweise entsprechen, existiere durchaus und könne eine Basis für die Konzeptualisierung der Fächerkooperation bilden, die dann nur von Fall zu Fall noch weiter anzupassen wäre.

Unabhängig von der in Frage stehenden Heterogenität der Ethikdidaktik führt Burkard als Kooperationshemmnisse den vergleichsweise hohen organisatorischen Aufwand, die oben bereits angesprochene Asymmetrie in der Ausbildung der Fachlehrkräfte und alternative Kooperationsmöglichkeiten mit anderen Fächern sowie folgende Überlegung zu Folgen der „Separierung der Lernenden“ (Burkard, 2022, S. 195) an:

„Die Aufteilung der Schüler:innen in verschiedene Religions- und Ersatzfächer stellt eine grundlegende Herausforderung für die Beförderung von Dialog- oder Sprachfähigkeit und verwandte Lernziele dar, die sowohl in den Curricula als auch in der fachdidaktischen Literatur der Fächer eine wichtige Rolle spielen. Auch wenn wir davon ausgehen, dass sich die rechtliche Lage bis auf weiteres nicht ändert und dadurch die Separierung der Schüler:innen weiterhin der Normalfall sein wird, ist es wichtig, die daraus resultierenden inhaltlichen und pädagogischen Herausforderungen für eine Fachkooperation anzuerkennen. So besteht bei einer temporären Zusammenführung von Religions- und Ethikkursen insbesondere die Gefahr, dass starre oder gar stereotype Zuschreibungen christlicher, muslimischer und anderer religiöser Identitäten auf der einen und atheistischer Identitäten auf der anderen Seite eher verstärkt als durchbrochen werden. Um tatsächlich Dialog- oder Sprachfähigkeit zu befördern, statt zu einem Othering, also zu Grenzziehungen zwischen uns und den Anderen beizutragen, bedarf es für diese Konstellation geeigneter Modelle und großen didaktisch-pädagogischen Geschicks.“ (Burkard, 2022, S. 195)

Episodische Begegnungen ansonsten getrennt unterrichteter Lerngruppen bringen offenkundig die Gefahr solch unterkomplexer Selbst- und Fremdzuschreibungen mit sich (Du, als Mitglied des Ethikunterrichts, also, als Atheist, …), die angesichts der Heterogenität der weltanschaulichen und religiösen Bindungen der Lernenden des Ethikunterrichts als wenig angemessen gelten können. (Vgl. indes Schweitzer, 2016, S. 52, als Beispiel für eine zwar relativierte, aber letztlich doch wider besseren Wissens erfolgende Zuordnung der Lernenden des Ethikunterrichts zur Gruppe der Konfessionslosen.)

Auf der Grundlage von Burkards Einschätzung lässt sich allerdings danach fragen, ob nicht eine Voraussetzung der von ihr angesprochenen Zuschreibungen ist, dass die Sprechposition der Lernenden im kooperativen Unterricht überhaupt über ihre institutionelle Zugehörigkeit zum jeweiligen Unterrichtsfach formiert wird. Geläufige unterrichtsmethodische Routinen dieser Art eröffnen den Lernenden eine solche, die Separierung verfestigende Sprechposition, insofern sie die Kooperation der Fächer über Schülerpräsentationen aus dem jeweiligen Fachkontext initiieren, bevor zu einer kommunikativen Verarbeitung dieser Präsentationen fortgeschritten wird. Die Sprechposition der Lernenden ließe sich jedoch alternativ so formieren, dass jene erst gar nicht primär auf den institutionellen Kontext fachlichen Lernens in dem jeweils von ihnen originär gewählten Unterrichtsfach festgelegt werden. Ebenso könnte eine Formierung des Sprechens der Lernenden erfolgen, die deren Äußerungen nicht als Artikulation scheinbar mit ihrem Fach verbundener Gruppenidentitäten bestimmt.

Beides scheint nun vor allem dadurch erreichbar, dass die Sprechposition der Lernenden im kooperativen Unterricht auf eine Weise festgelegt wird, die jeweils selbstverständlich auf die Domäne des anderen Unterrichtsfachs übergreift. In ihren im unterrichtlichen Rahmen präformierten Äußerungen sollten die Lernenden also insofern letztlich sowohl am Umgang mit der Sache des Unterrichts im Sinne des Ethikunterrichts wie an deren Erschließung im Sinne des Religionsunterrichts partizipieren können (institutionell, im Sinne Foucaults, also nicht ausschließlich von der Zuordnung und Qualifikation von einem Unterrichtsfach her). Auf einer unterrichtsmethodischen Ebene entspräche dem wohl tatsächlich eine stärkere zeitliche Gewichtung gemeinsamen Lernens in, bezogen auf die originäre Fächerwahl, heterogenen Gruppen (vgl. den eben unter 3. diskutierten Vorschlag).

Die auf die Beteiligung an der Artikulation religionsunterrichtlicher Gegenstandserschließungen ausgedehnte Sprechposition der Lernenden des Ethikunterrichts könnte sich dabei stützen auf die oben angesprochene, bereits fachimmanent entwickelte, religionsbezogene Kompetenz – Ethiklernende sind nicht religiös ungebildet. Hinzu könnte die Eröffnung eines Sprechens von Lernenden des Ethikunterrichts kommen, welches religionsbezogene Kenntnisse oder Überzeugungen einbringt, die sie außerschulisch, z.B. im gemeindlichen Unterricht einer Religionsgemeinschaft (nicht alle Ethiklernenden sind konfessionslos) oder in der breiteren Öffentlichkeit erworben haben (nicht alle Ethiklernenden sind in religiösen Dingen ahnungslos). Auf diese Weisen formiertes Partizipieren der Lernenden des Ethikunterrichts an religionsunterrichtlichen Gegenstandserschließungen im Kontext kooperativen Lernens würde die Gefahr einer stereotypen Wahrnehmung der Gruppe der Ethiklernenden (und vice versa der Lernenden des Religionsunterrichts) und eines gruppenbezogenen Othering wohl auf einer pragmatischen Ebene schnell erledigen. Die Lernenden sprächen nicht mehr in Repräsentation eines Unterrichtsfachs und der mit diesem, mehr oder weniger stereotyp verbundenen Weltanschauungen, sondern als mehr oder weniger kompetente Adressaten der fachspezifischen Gegenstandserschließungen beider Fächer.

Der kooperative Unterricht würde durch eine grundsätzlich auf die Domäne des anderen Fachs ausgreifenden Sprechposition tatsächlich erst die Gestalt eines Lernens gewinnen, wie es durch die eben angesprochenen Dialogphasen fächerkooperierenden Unterrichts implizit wohl angestrebt wird. Präkonzepte könnten bezogen auf das andere Unterrichtsfach in zeitlich ausgedehnter und differenzierter Weise integriert und Assimilations- bzw. Akkommodationsprozesse tatsächlich angestoßen werden. Eine Lernende des Ethikunterrichts würde etwa von der Teilnahme am religionsunterrichtlich gestalteten Prozedieren einer religionsgeschichtlich und theologisch gelagerten Erschließung eines prophetischen Textes aus der Bibel stärker profitieren, wenn sie an dieser unmittelbar partizipieren (und diese nicht nur nachträglich, zur Präsentation kondensiert kennenlernen würde). Sie könnte dabei sowohl gemeindlich erworbene Vorstellungen über Prophetie wie ethikunterrichtlich erworbene Überzeugungen über religiöse Sprache im Allgemeinen und zur Bedeutung sowie Kritik eines Sprechens mit göttlicher Autorität einbringen und ausdifferenzieren und wo notwendig auch anpassen.

Bedenken, dass durch ein Partizipieren am Lernen im jeweils anderen Unterrichtsfach die grundrechtlich garantierte Wahlfreiheit unter dem Vorwand der Fächerkooperation hintergangen werde, wäre zu entgegnen, dass auch dieses auf die Domäne des anderen Fachs ausgreifende Sprechen gebunden an das originär gewählte Fach erfolge. Ziel wäre eine besonders nachhaltige Konsolidierung bzw. Erweiterung der Lernergebnisse des gewählten Fachs in der Herausforderung durch ein pädagogisch-didaktisch und von der wissenschaftlichen Bezugsdisziplin her anders gelagertes, vom Gegenstandsbezug und der gemeinsamen Diskursgeschichte her aber verwandtes Fach.

5 Sprechen im Kontext des Begegnens

Ein drittes Zitat ist einer Darstellung zur Fächerkooperation entnommen, welches das eben problematisierte Problem eines weltanschaulich bezogenen „Othering“ ebenfalls überwinden möchte. Das entsprechende Konzept ist aus der Kooperation des Philosophiedidaktikers Hans-Bernhard Petermann mit der katholischen Religionspädagogin Katja Boehme – also im oben angesprochenen Sinn, aus einem Aushandlungsprozess – hervorgegangen. Es wurde und wird sowohl im schulischen als auch im Hochschulkontext erprobt und wurde von der Autorin und dem Autor verschiedentlich dargestellt (Boehme, 2023; Petermann, 2023).

Die nachfolgende Darstellung bezieht sich auf einen anlässlich der Einführung des Ethikunterrichts in Österreich erschienenen, gemeinsamen Beitrag (Boehme, Petermann, 2022). Das von den Boehme und Petermann vertretene Konzept des Interreligiösen Begegnungslernens (IRBL) unter Einschluss des Ethikunterrichts schleppt zumindest in der Terminologie den aus einem älteren Entwicklungsstadium stammenden, für den Ethikunterricht aber nicht adäquaten Begriff des Interreligiösen mit. Das Begegnungslernen organisiert das Lernen in vier Phasen, welche strukturell den Phasen der kooperativen Methode des sogenannten Expertenpuzzles entsprechen. Dabei wird 1. zu einem gemeinsam vereinbarten Thema zunächst im eigenen Fach eine Erarbeitung geleistet, die eine inhaltliche Erschließung sowie die Vorbereitung einer Präsentation und eines gastfreundlich gestalteten Präsentationsraums umfasst. In diesen Präsentationsraum werden die Angehörigen der anderen Fächer zur 2. Phase eingeladen. In dieser Phase wird das fachlich Erarbeitete in, bezogen auf die Unterrichtsfächer, heterogenen Gruppen und in einem rotierenden Durchlauf durch die gestalteten Räume jeweils von einem Fachangehörigen präsentiert. Dies umfasst im Sinne einer 3. Phase jeweils auch einen Austausch, in dem die Lernenden der anderen Fächer Gelegenheit erhalten, auf die Erschließung des Gegenstandes durch das jeweils andere Fach kommunikativ zu reagieren. Nach Abschluss des Durchgangs durch die Präsentationsräume erarbeiten und präsentieren die fachlich heterogenen Lerngruppen in einer 4. Phase eine Reflexion des gesamten Prozesses, bevor dieser abschließend noch einmal im Kontext der jeweiligen homogenen Fachgruppen reflektiert wird.

Boehme und Petermann präsentieren ihr Konzept als Format, das unter Bedingungen eines Wahlpflichtbereichs, die „Perspektiven und Weltzugänge der verschiedenen Fächer des RU als auch des EThU miteinander ins Gespräch“ bringt, „um die Pluralität der Gesellschaft abzubilden und um bei Schüler*innen Mehrperspektivität anzubahnen“ (Boehme, Petermann, 2022, S. 207). Ob der Ethikunterricht in vergleichbarer Weise wie der Religionsunterricht auf eine „Weltsicht“ oder „Perspektive“ bezogen ist, scheint allerdings fraglich. Das Begegnungslernen soll als Projektarbeit zumindest einmal pro Schuljahr stattfinden. Boehme und Petermann sehen hierin den Vorteil der Wahrung und Nutzung gewachsener fachlicher Profilierungen gegenüber einer Auflösung in ein gemeinsames kooperativ verantwortetes Unterrichtsfach, im Sinne von Ethik bzw. Religion „für alle“ (S. 207). Auch kann das Konzept für sich reklamieren, die durch Burkard angesprochenen Probleme einer Asymmetrie in der Lehrer*innenbildung zu adressieren, insofern es auch an der Hochschule, also bezogen auf Lehramtsstudierende, Anwendung finden kann (S. 216). In der für die Projektarbeit vorgeschlagenen Themengestaltung lässt sich ein Bezug auf „grundsätzliche anthropologische Fragen“ (S. 216) finden, wie er oben in Abschnitt 3 bereits diskutiert wurde. Auch sprechen sich Boehme und Petermann in einer ebenfalls bereits angesprochenen Weise dafür aus, die Begegnungen als Begegnungen mit den beteiligten Fächern und ihren jeweiligen Themenerschließung und nicht als Begegnung mit den Angehörigen religiöser bzw. weltanschaulicher Gruppen zu gestalten – allerdings ohne eine direkte Partizipation der Lernenden an der Gegenstandserschließung in der fremden Wissensdomäne (S. 210, S. 212, Fn. 20).

Im Kontext der Frage nach der Formierung von Sprechpositionen der Lernenden erscheint insbesondere folgende Textpassage von Interesse:

„[…] insbesondere in den Schulfächern des Religionsunterrichts (RU) und des EthU werden existenzielle und grundlegende Themen behandelt. Kooperieren diese Unterrichtsfächer ein- oder zweimal im Schuljahr in einem fächerübergreifenden Projekt, können Heranwachsende durch das didaktisch angeleitete Begegnungslernen die unterschiedlichen Perspektiven ihrer Fächer sowie ihre individuellen Weltsichten untereinander ins Gespräch bringen und reflektieren. Auf diese Weise können sich Schüler*innen Perspektivenwechsel und Mehrperspektivität aneignen. […] Aber wie kann diese Chance, Heranwachsenden die Möglichkeit zu geben, sich durch Kompetenzen der Mehrperspektivität und des Perspektivenwechsels auf ihre persönliche und berufliche Zukunft in einer weltanschaulich pluralen Gesellschaft vorzubereiten, konzeptionell und organisatorisch in der Schule umgesetzt werden?“ (Boehme, Petermann, 2022, S. 205)

Zu den hier formierten Äußerungsmodalitäten lassen sich drei Beobachtungen formulieren:

1. Der Begriff des Begegnungslernens lässt sich als spezifische Formierung der Zuwendung der Lernenden zum Gegenstand verstehen. Sich etwas begegnen lassen verweist im pädagogischen Diskurs auf den Lernenden verfügbar zu machende Sprachregister, die weniger begrifflich und stärker wahrnehmungsbezogen, auf konkretes und auf die erfahrbare personale Interaktion bezogen sind. Die Konzeption des fächerkooperativen Unterrichts übernimmt hier eine Kategorie der christlichen Religionspädagogik, der es bereits um diese Wendung des Lernens ging. In der interkonfessionellen Zuwendung zu anderen Religionen wurden deren Angehörige gegenüber interreligiösen Auseinandersetzungen auf dogmatischer Ebene in den Vordergrund gerückt, um in der konkreten Begegnungssituation als durchaus verständlich und achtenswert erfahren werden zu können.

Mit Begegnung wird im Sinne der didaktischen Überlegungen Kersten Reichs zudem ein Sprechen der Lernenden angezeigt, das insgesamt dem Muster folgt „Ich sehe/nehme wahr, also weiß ich“ (Reich, 2012, S. 147) , das also die Viabilität von Konstruktionen der Wirklichkeit, wie Reich es in pragmatistischer Diktion formuliert, anhand konkreter Wahrnehmungssituationen ausweist bzw. prüft (Reich, 2012, S. 155). Begegnen kann ich in diesem Sinn der Art und Weise, wie konkrete Individuen, die in einem anderen Fach lernen, sich dessen Inhalte angeeignet haben und diese mir sinnlich-konkret präsentieren – und wie ich als konkrete Person, von meinem eigenen fachlichen Hintergrund mich ggf. dazu verhalte. Selbstverständlich kann dies auch den Bezug auf symbolische Repräsentationen der fachlichen Inhalte des fremden Fachs und die bereits angesprochene Möglichkeit eines Austauschs umfassen, in den ich nicht nur symbolische Repräsentationen von Inhalten aus dem eigenen Fach einbringen kann, sondern der auch zu einem metareflexiven Diskurs über die Unterschiede dieser Repräsentationssysteme führen kann.

Aber auch dieses dialogische Sprechen über Inhalte des fremden Fachs verbleibt in der Äußerungsmodalität des Begegnens und an dieses gebunden. Der geschilderte methodische Gang offeriert den Lernenden etwa keine anderen Medien oder Methoden, mit Hilfe derer sie ihr Sprechen über das andere Fach von der Begegnungssituation ablösen könnten. Das IRBL zielt aber gemäß dem Zitat auch gar nicht auf ein Sprechen über Inhalte des fremden Fachs, das diese möglichst unabhängig von konkreten personalen Bezügen und anderen Kontingenzen als abstraktes Überzeugungssystem oder als unpersönlichen Diskurs rekonstruiert. Als übergeordnete Ziele werden vielmehr die Einsicht in die Mehrperspektivität unterschiedlicher Weltsichten der Fächer und die Fähigkeit zum Perspektivwechsel deutlich. Diese Ziele lassen sich aber offenkundig auch innerhalb der kontingenten Begegnungssituation erreichen.

2. Daran anschließend kann gesagt werden, dass das IRBL das Sprechen der Lernenden in den angesprochenen Phasen des Austauschs, gerade nicht auf einen wahrheits- bzw. geltungsorientierten Diskurs hin formiert, sondern auf den Wahrheitsrelativismus des erkenntnistheoretischen Perspektivismus. Dies korreliert mit der Rede von Weltsichten, die wiederum anschlussfähig ist an die im Fächerkooperationsdiskurs oft in Anspruch genommene Annahme Bernd Dresslers (2014), der Religions- bzw. Ethikunterricht mache im Sinne Baumerts je eigene, nicht kommensurable Modi der Welterschließung zugänglich und fordere in der Kooperation insofern zum Perspektivenwechsel heraus. Im Hintergrund des Perspektivismus bei Böhme und Petermann steht zudem die Überzeugung, dass speziell Philosophie als gegenständlich nicht festgelegte Reflexionswissenschaft und Theologie als konfessionell festgelegte, reflexive Verständigung über Glaubensinhalte inkommensurabel seien (Boehme, Petermann, 2022, S. 208-209; Petermann, 2023).

Es ist hier sicher nicht der Ort für eine prinzipielle Kritik am erkenntnistheoretischen Perspektivismus, also der Annahme, dass Überzeugungssysteme durch jeweils unterschiedliche epistemische Beschränkungen inhaltlich und formal begrenzt werden und mit Bezug auf diese Grenzen, jedenfalls graduell, auch inkommensurabel – ohne gemeinsames Maß – existieren. Es genügt hier, darauf hinzuweisen, dass eine solche perspektivistische Formierung des Sprechens der Lernenden einen Zugang zu jener Diskurspraxis verschließt, im Rahmen derer in Vergangenheit und Gegenwart religiöse mit religiösen und vor allem mit philosophischen Wahrheits- und Geltungsansprüchen in diskursive, wahrheitsorientierte Auseinandersetzung traten. Bezogen auf die besondere Bedeutung der Diskurs- und Wahrheitsorientierung für die Didaktik des Ethikunterrichts erscheint diese Formierung der Äußerungsmodalitäten – die sich durchaus als Aspekt des Sprechens im Kontext einer irenischen und gastfreundlichen Pädagogik der Begegnung auffassen lässt – besonders problematisch. Eine Begegnung mit dem fachspezifischen Modus der Gegenstandserschließung des Ethikunterrichts sowie eine Transformation entsprechender Überzeugungen im Sinne der oben angesprochenen, differenzierten Präkonzeptveränderung scheinen insofern im Modus der Begegnungspädagogik erschwert. Überlegungen zur Wahrung der Religions- bzw. Meinungsfreiheit der Lernenden, wie sie oben unter 4. bereits angedeutet wurden, scheinen den Hintergrund dieser problematischen Zurückhaltung gegenüber dem wahrheitsorientierten Diskurs zu bilden (Boehme, 2023, S. 194-238).

3. Ironischerweise wird ein perspektivistisch formiertes Sprechen der Lernenden über die Inhalte des eigenen und fremder Fächer aber auch nicht das zu leisten vermögen, was am Ende des Zitats als Ziel des Interreligiösen Begegnungslernens anklingt: den unterrichtlichen Vorschein eines gelingenden Zusammenlebens unter pluralistischen Bedingungen. Denn zum einen stehen sich in einer pluralistischen Gesellschaft nicht primär die unterschiedlichen Lerninhalte und fachlichen Überzeugungen der Teilnehmenden von Unterrichtsfächern des schulischen Fächerkanons konkurrierend gegenüber, sondern individuelle bzw. gruppenbezogene Ansprüche und Interessen, für die in den meisten Fällen wohl nur eine sehr stark vermittelte Beziehung zu unterrichtsfachlichen Inhalten in Anspruch genommen werden könnte. Zum anderen gilt es gemeinhin als anerkannt, dass nicht eine Übernahme des erkenntnistheoretischen Perspektivismus zur Bewältigung der Konflikte innerhalb eines pluralistischen Gemeinwesens beiträgt. Es lassen sich nämlich auch, oder gar erst recht, fremde Ansprüche übergehen, deren anders gelagerte epistemische Bedingtheit ich mir im Sinne eines perspektivistisch zugeschnittenen Lernprozesses zugänglich machen konnte. Gemeinhin werden Hoffnungen eher in die Übernahme eines pluralismuskonformen Ethos der Wertschätzung der Freiheit und Selbstbestimmungsfähigkeit der anderen Personen gesetzt. Von diesem Ethos wird bisweilen angenommen, dass es sich gerade durch die Partizipation an wahrheitsorientierten Diskurse vermittle, weil es diesen prozedural gewissermaßen eingeschrieben ist. Auch mit Blick auf die gesellschaftlichen Ziele des IRBL kann der wahrheitsorientierte Austausch als Äußerungsmodus über das Sprechen im Kontext der Begegnung hinaus also als Desiderat erscheinen. Übersetzung als von Habermas (2005, 137) her – in Anerkennung der Grenzen des Perspektivismus – auch für den Unterricht in Anspruch genommener Modus der Kooperation (Emmelmann, 2018) befreit im Übrigen nicht von dieser Orientierung am wahrheits- bzw. geltungsorientierten Sprechen – sie verteilt nur die Lasten des Bemühens um eine Freilegung entsprechender Sinnressourcen gleichmäßig auf die Schultern säkularer wie religiöser Bürgerinnen und Bürger.

6 Systematisierung und Kritik kooperativer Formate im Modus des Fragens nach Sprechpositionen

Was folgt nun aus diesen drei Kommentaren, welche die drei längeren, hier angeführten Zitate zur Kooperation von Ethik- und Religionsunterricht auf die Formierung von Sprechpositionen hin befragt haben? In aller Kürze und ohne das Gesagte noch einmal zu wiederholen: Es folgt, dass mit der Frage nach der Festlegung von Äußerungsmodalitäten, also danach wer, aufgrund von welchem Status, von welchem institutionellen Platz aus, in welcher Art der epistemischen bzw. technischen Zuwendung zum Gegenstand des Diskurses sprechen kann, zunächst eine Möglichkeit des systematisierenden Zugriffs auf recht heterogene didaktische Konzeptionen gewonnen wird. Zudem bietet die Frage nach Sprechpositionen einen Standpunkt für eine Kritik, welche die Ausschlüsse und Verwerfungen thematisiert, die in der Formierung von Äußerungsmodalitäten im Unterricht notwendig liegen. Im Sinne dieses Verweises auf die Unhintergehbarkeit entsprechender Formierungen unterrichtlichen Sprechens verfolgt die hier jeweils skizzierte Kritik auch nicht das Ziel einen auf dieselbe Weise nicht mehr kritisierbaren Modus der Kooperation von Ethik- und Religionsunterricht zu gewinnen. Eher geht es darum, der fachdidaktischen Forschung, den Aushandlungsprozessen zwischen den Didaktiken der kooperierenden Fächer und der unterrichtlichen Praxis die Äußerungsmodalität der Frage danach, was unter bestimmten unterrichtlichen Bedingungen von den Lernenden gesagt und was nicht gesagt werden kann, zur Verfügung zu stellen.

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Dr. Arne Moritz, Lehrkraft für besondere Aufgaben, Seminar für Philosophie, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg