Im Jahr 2019 erarbeitete die Bildungskammer der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) einen Grundlagentext zum Thema. Er wurde vom Rat der EKD einstimmig beschlossen und veröffentlicht. Das Papier betrachtet die gesamtgesellschaftliche Entwicklung eines zahlenmäßigen Rückgangs der Kirchenmitglieder und fragt nach möglichen theologischen Folgerungen. Ein zentraler Aspekt der kirchlichen Überlegungen beschäftigt sich mit der kirchlichen Bildungsarbeit angesichts der Herausforderungen der Gegenwart. Der nachfolgende Beitrag denkt diese Impulse für den Religionsunterricht weiter und nimmt dabei schwerpunktmäßig die saarländischen Verhältnisse in den Blick.

1 Statistisches

Im Herbst 2019 besuchten - ausweislich der (unveröffentlichten) Zahlen, die das Ministerium jährlich erhebt – etwa 85.000 Schülerinnen und Schüler private und öffentliche Schulen des Saarlandes (Grundschulen, Gemeinschaftsschulen, Gymnasien, berufsbildende Schulen und Förderschulen). Knapp 70 Prozent (58.900) von ihnen waren gemäß den Angaben ihrer Schulen entweder evangelisch oder katholisch. Die verbleibenden 30 Prozent gehörten einer nicht-christlichen Religion an oder waren konfessionslos. Damit ist die Zahl der Kirchenmitglieder unter den Schülerinnen und Schülern im Vergleich der westdeutschen Länder relativ hoch.

Eine etwaige Konfessionslosigkeit der Schülerinnen und Schüler wird in der Statistik nicht erfragt. Ungefähr 28 Prozent der Schülerschaft nimmt am Ethikunterricht teil. Doch aus mehreren Gründen lässt sich daraus nicht auf die Zahl der Konfessionslosen schließen. Denn in den saarländischen Schulen ist in den ersten vier Schuljahren kein Ethikunterricht vorgesehen, in den Schuljahren 5 bis 8 ist es den Schulen überlassen, ob sie im Rahmen der ihnen zugewiesenen Gesamtmenge an Lehrerstunden Ethikunterricht ausweisen oder nicht. Erst ab dem 9. Schuljahr ist das Ersatzfach verpflichtend einzurichten.

Die am Ethikunterricht teilnehmenden Schülerinnen und Schüler sind zudem keineswegs alle konfessionslos. Muslimas und Muslime beispielsweise finden im Saarland nur in seltenen Ausnahmen einen islamischen Religionsunterricht und besuchen deshalb den Unterricht in Allgemeiner Ethik, sofern er angeboten wird, der selbstverständlich auch konfessionellen Schülerinnen und Schüler offensteht.

Schließlich ist der Religionsunterricht auch für Schülerinnen und Schüler ohne Konfession offen. Bezogen auf die Gesamtschülerschaft nehmen mehr Schülerinnen und Schüler am evangelischen Religionsunterricht teil als von der prozentualen Verteilung der Konfessionszugehörigkeit her zu erwarten wäre. In den Gymnasien des Landes nahmen 5.271 Schülerinnen und Schüler am Evangelischen Religionsunterricht teil. Nur 5.049 der saarländischen Schülerinnen und Schüler sind evangelischen Bekenntnisses. Die Zahl der Abmeldungen vom Religionsunterricht wird also durch die Teilnahme von (vermutlich mehrheitlich) Konfessionslosen mehr als ausgeglichen. In der Grundschule (im Saarland ohne ein Angebot im Fach Ethik) betrug der „Überschuss“ sogar mehr als 800 Schülerinnen und Schüler. Im kleinsten deutschen Flächenland liegt diese Zahl im Durchschnitt aller Schularten bei 5,5 %. Im berufsbildenden Schulwesen ist die Quote am höchsten, in der Gemeinschaftsschule am niedrigsten. Die im kirchlichen Papier angegebene Größenordnung von 10 Prozent (EKD, 2020, S. 46 – alle Seitenangaben in Klammern beziehen sich auf diesen Text) wird im Saarland nicht erreicht. Der Grund ist vermutlich in der noch immer relativ hohen Zahl der getauften Schülerinnen und Schüler zu suchen.

2 Konfessionslose im Religionsunterricht

Die konfessionslosen Schülerinnen und Schüler, die am Evangelischen Religionsunterricht teilnehmen, bilden weder eine homogene Gruppe noch sind sie trennscharf von der Gruppe der Kirchenmitglieder zu unterscheiden. Naturgemäß besuchen den Religionsunterricht nur wenige Schülerinnen und Schüler, die sich bereits für eine agnostische oder atheistische Welt- und Lebensdeutung entschieden haben. Sind sie getauft, machen sie (bzw. ihre Eltern) in aller Regel von ihrem Recht Gebrauch, sich vom Religionsunterricht abzumelden. Konfessionslose, die für das Angebot des Religionsunterrichts offen sind, finden sich hingegen in fast allen Lerngruppen. Das hat oft einen der folgenden Gründe:

  • Vermeidung einer Sonderrolle: Solange noch immer der deutlich größere Teil der Klasse an einem konfessionellen Religionsunterricht teilnimmt, wollen Eltern bzw. der oder die Lernende eine Sonderrolle für ihr Kind bzw. für sich selbst vermeiden.

  • Interesse der Eltern an religiöser Sozialisation für ihr Kind: Eltern ist die religiöse Erziehung ihrer Kinder ein Anliegen, ihre eigene geringe oder nicht vorhandene religiöse Sozialisation empfinden sie selbst als defizitär. Sie hoffen, dass der Religionsunterricht diese Lücke wenigstens teilweise schließen kann. Sie erhoffen sich, dass sich die religiöse Bildung ihrer Kinder auf die Gemeinschaftsfähigkeit ihres Kindes positiv auswirkt.

  • Interesse der Kinder und Jugendlichen an Inhalten, Vollzügen oder Diskursen des Religionsunterrichts: Wenn Schülerinnen und Schüler feststellen, dass im Religionsunterrichts eine Unterrichtskultur gepflegt wird, die ihnen zusagt, wenn die Methoden des Religionsunterrichts, das Erzählen biblischer Geschichten und die Lebensnähe der Themen sie überzeugt, melden sie sich für eine Teilnahme an. Grundschülerinnen und Grundschüler nennen den Religionsunterricht oft ihr Lieblingsfach.

  • Probleme beim Ethikunterricht: Nicht immer kann der Ethikunterricht, vor allem wenn er ohne fachliche Ausbildung erteilt wird, der Gefahr der „didaktischen Verflachung“ wirksam begegnen.

3 Religionsunterricht – eine Einladung zum Mitgestalten

Die evangelische Religionsdidaktik berücksichtigt schon seit vielen Jahren auch die Perspektive von Schülerinnen und Schülern ohne Konfession. Von einer monodirektionalen Instruktion hat sie sich bereits seit Jahrzehnten verabschiedet. Stattdessen vermittelt sie religiöse Bildung ohne die Aufforderung, sich bestimmte Positionen anzueignen. Der Religionsunterricht trainiert die religiöse Sprachfähigkeit, ermöglicht eine vorläufige Positionierung der Lernenden in religiösen Fragen und übt den Dialog mit Andersdenkenden. Dabei verschweigt er seine eigene Positionalität nicht, denn religiöse Sozialisation benötigt ein Gegenüber, das sowohl eigene Standpunkte als auch Dialogfähigkeit in den Unterrichtsprozess einbringt. Was Schülerinnen und Schüler am Ende eines Schulabschnittes oder beim Verlassen der Schule über theologische Fragen, über Jesus Christus, über die Bibel oder über Gott denken, darf offenbleiben. Glaube und Unglaube werden ebenso wenig bewertet wie eine mögliche religiöse Praxis. Noten gibt es nur für die Kenntnisse und Darstellung der Inhalte des Religionsunterrichts und für die Fähigkeit, diese zu reflektieren.

Der evangelische Religionsunterricht ist didaktisch also auch offen für Menschen, die der Kirche nicht angehören oder ihr kritisch oder ablehnend gegenüberstehen. Angesichts der Zunahme der Konfessionslosen ist das aber künftig nicht mehr genug. Er steht vor der Herausforderung, die Vollzüge des Unterrichts so zu gestalten, dass sie die Teilnahme Konfessionsloser nicht nur mitbedenken, sondern einladend auf sie wirken und ihre Mitarbeit auch aufmerksam fördern. Der Grundlagentext formuliert das für die gesamte kirchliche Bildungsarbeit so: [Die evangelische Kirche muss sich fragen], ob, wo und wie sie ihrerseits ihre Bildungsarbeit für konfessionslose Teilnehmende öffnet und ob, wo und wie sie diese so gestaltet, dass konfessionslose Menschen als Subjekte ihrer Lebensführung und als Subjekte des Lernens wahrgenommen und ernst genommen werden. Empirisch gewendet stellt sich die Frage, wo und in welchem Maße kirchliche Bildungsarbeit konfessionslose Menschen erreichen will, erreichen kann und tatsächlich erreicht. (S. 40)

In den Lehr- und Lehrprozessen lassen konfessionslose Schülerinnen und Schüler nicht selten erkennen, dass sie den Inhalten des Religionsunterrichts aufgrund ihrer kirchlichen Ungebundenheit mit einer gewissen Distanz und einem größeren Maß an Skepsis gegenüberstehen. Auf einen als Vereinnahmung empfundenen Unterricht reagieren sie – aus gutem Grund – empfindlich. Religiöse Themen bedenken sie, weil und insofern sie darin Fragestellungen entdecken, die ihnen bedeutsam erscheinen, oder weil sie sich Antworten auf eigene Lebensfragen erhoffen. Sie achten aber darauf, dass der Unterricht in der Tat so ergebnisoffen ist, wie er zu sein vorgibt, und dass seine Sprache frei von Diskriminierung Nicht-Glaubender ist.

In der Sache ist das aber nichts Neues. Auch ohne die Herausforderung durch die Teilnahme von Nicht-Glaubenden muss sich die Auswahl der Unterrichtsthemen an den lebensweltlichen Bezügen seiner Schülerinnen und Schüler orientieren. Wichtiges über die Christenverfolgung der Antike, die Entstehung der Bibel, die Umwelt Jesu und die Gottesfrage zu lernen (um nur einige Beispiele zu nennen), ist nur dann gerechtfertigt, wenn die Relevanz für die Lernenden erschlossen werden kann. Dieses didaktische Grundanliegen zeichnet zwar jeden schülernahen Religionsunterricht aus. Die Teilnahme konfessionsloser Schülerinnen und Schüler verleiht dieser Forderung aber besonderen Nachdruck.

In Schulbüchern, Unterrichtsmaterialien und inhaltsorientierten Lehrplänen ist dieses Prinzip oft nur angedeutet. Für die Gestaltung von schulinternen Arbeitsplänen sowie für die konkrete Unterrichtsvorbereitung muss der Religionsunterricht … die seit den 1960er Jahren angemahnte Orientierung seiner Themen und Lernarrangements an Relevanz einmal mehr durchbuchstabieren: Es gilt nach wie vor so deutlich wie möglich werden zu lassen, was Interpretamente, Praxen und Traditionen für die Lebensführung und -deutung von Menschen bedeuten (können). Die Stunde des „trägen Wissens“ ist angesichts der religionspluralen Herausforderungen vollends vorbei. (S. 125)

4 Konfessionslosigkeit in Zeiten der Pandemie

Als die Schulen im Frühjahr 2020 nach dem Ende des ersten Lockdown schrittweise wieder öffneten, musste eine Durchmischung von Jahrgangsstufen zunächst vermieden werden. Obwohl weder in Rheinland-Pfalz noch im Saarland die konfessionelle Trennung innerhalb einer einzigen Jahrgangsstufe untersagt war, ordneten zahlreiche Schulen in Übererfüllung der staatlichen Hygienevorschriften einen Unterricht im Klassenverband an. Auf diese Weise war es den Schülerinnen und Schülern, die nicht am Religionsunterricht teilnahmen, untersagt, die Religionslerngruppe zu verlassen. Dies wurde durchaus als Zumutung empfunden. Um nicht gegen das Grundrecht der (negativen) Religionsfreiheit zu verstoßen, wurden die Fachkonferenzen deshalb vielfach angewiesen, ausschließlich „ethische Themen“ zu behandeln. Eine solche Vorgabe stellt – abgesehen von ihrer rechtlichen Problematik, die Landesrecht und grundgesetzliche Vorschriften missachtet – eine Missachtung zentraler Anliegen des Religionsunterrichts dar. Sie „löst“ das Problem der negativen Religionsfreiheit durch eine Preisgabe der positiven Religionsfreiheit.

Dennoch zeigt diese Episode, die sich im Frühsommer 2020 vielfach ereignete und im darauffolgenden Winter wiederholte, dass der Religionsunterricht angesichts der wachsenden Zahl der nicht (mehr) christlich gebundenen Schülerinnen und Schüler in Erklärungsnöte kommen kann. Religiöse Inhalte werden angesichts einer weltanschaulich heterogenen Schülerschaft nicht mehr als selbstverständlicher Teil des Bildungsauftrags der Schule angesehen.

5 Ein neuer Blick auf das Wort Konfessionslosigkeit

Für die Didaktik des Religionsunterrichts ist die Frage, ob Schülerinnen und Schüler getauft sind oder nicht, letztlich nicht von entscheidender Bedeutung. Schülerinnen und Schüler, die Mitglied der Kirche sind, können mit Vertreterinnen und Vertretern der Kirche sehr vertraut sein. Wenn sie aber ihre Parochie, ihre Pfarrerin oder ihren Pfarrer gar nicht kennen und das Kirchengebäude ihrer Gemeinde bislang nicht oder sehr selten betreten haben, stellt sich die Frage der Konfessionslosigkeit anders. Die oben beschriebene Aufgabe, den Religionsunterricht als Einladung zu gestalten, sich mit religiösen Fragen zu beschäftigen, stellt sich im Blick auf alle Schülerinnen und Schüler gleichermaßen. Ob sie der Kirche formal angehören, ist nebensächlich.

6 Digitale Kirche: Andere Zugänge

Innerhalb der Kirche hat eine Diskussion über neue Formen der Zugehörigkeit begonnen. Menschen, die sich für eine Kirchengemeinde engagieren, gehören ihr möglicherweise gar nicht an. Andere engagieren sich für Gruppen, Kreise oder Projekte, sind in der Kirche beheimatet, haben aber den Schritt eines Kircheneintritts oder einer Taufe – aus welchen Gründen auch immer – nicht vollziehen wollen. Andere gehören der Kirche seit ihrer Taufe an, leben aber in großer Distanz zur Kirche. Dennoch haben sie sich – aus welchen Gründen auch immer – nicht entschlossen, aus der Kirche auszutreten.

Wenn Schülerinnen und Schüler, denen lokale Ansprechpartner unbekannt sind, eine kirchliche Ansprechpartnerin oder einen kirchlichen Ansprechpartner suchen, werden sie entweder eine Religionslehrperson ihrer Schule aufsuchen (was häufig geschieht) oder digitale Wege beschreiten. Manchen Gemeindepfarrerinnen und -pfarrern folgen auf Instagram ein Vielfaches an Menschen als ihre Kirchengemeinde Mitglieder hat. Die virtuellen Gemeinden (wenn man sie denn überhaupt so nennen kann) sind jung und volatil, ihr Zugang ist niederschwellig. Ein Klick reicht aus, ihr beizutreten, ein Klick um sie wieder zu verlassen. Diese Möglichkeit sich in kirchlichen „Räumen“ zu bewegen steht auch jungen Menschen offen, die ihr formal nicht angehören. Der Religionsunterricht kann diese Kirchenerkundung anleiten, begleiten und eine Brücke zwischen Konfessionslosen und Konfessionsgebundenen schlagen.

7 Dialogkompetenz braucht Heterogenität

Traditionell wird der Religionsunterricht in Süd- und Südwestdeutschland in konfessioneller Trennung organisiert. Seit vielen Jahren wird dieses Prinzip der Separation kritisch diskutiert. In mehreren Bundesländern sind Wege zu ihrer Überwindung bereits erprobt und eingeführt worden, in Rheinland-Pfalz und im Saarland steht die erweiterte strukturelle Kooperation noch am Anfang.

Wenn Religionsunterricht diskursiv angelegt ist und auf Dialogfähigkeit konfessioneller und nicht konfessioneller Schülerinnen und Schüler abzielt, muss dieser Dialogaspekt auch im Unterrichtsformat abgebildet werden. Die mutige Weiterentwicklung einer Kooperation der beiden großen Konfessionen ist also auch angesichts der Konfessionslosigkeit vieler Schülerinnen und Schüler, die den Religionsunterricht besuchen, das Gebot der Stunde. Denn ein Religionsunterricht, der sich den Fragen der vielfältigen Zugänge zu Religion und Kirche diskursiv und offen nähert, muss zunächst die Wahrnehmung der religiösen Vielfalt organisieren. Eine durchgehende konfessionelle Trennung ist da eher von Nachteil, da sie der Wahrnehmung religiöser Vielfalt abträglich ist. „In jedem Fall geht es zunächst darum, überhaupt erst einmal den Raum und die Gelegenheit zu schaffen, in denen wechselseitige Wahrnehmung, Begegnung und Auseinandersetzung stattfinden können. (S. 91)

Die Vorstellung, dass in religiös homogenen Gruppen besser, leichter oder Wichtigeres gelehrt und gelernt werden könnte, hat sich schon länger als irrig erwiesen. Zudem sind auch konfessionell getrennte Gruppen nicht religiös homogen. Das Grundsatzpapier hält dazu fest: In der Regel müssen sie ihren Ort in der religionspluralen Landschaft in Kooperation und Abgrenzung von anderen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften suchen; am Beispiel schulischen Lernens etwa durch das kooperative Miteinander verschieden-religiösen Religionsunterrichts oder durch die Etablierung eines multireligiösen Faches. (S. 54 f.)

Eines multireligiösen Faches bedarf es im Saarland angesichts der Ausführungen im Eingangsteil dieses Aufsatzes zurzeit nicht, wohl aber ist die Plausibilität einer durchgehend konfessionellen Trennung katholischer und evangelischer Lerngruppen angesichts der wachsenden Zahl von konfessionslosen Schülerinnen und Schüler nicht mehr gegeben.

8 Sind Gottesdienste als Rituale der Schulgemeinschaft noch geeignet?

Im Saarland gab es bis zum Beginn der Pandemie an vielen Schulen die Tradition, das Schuljahr mit einem Gottesdienst zu beginnen und zu beenden. Insbesondere zur Begrüßung neuer Schülerinnen und Schüler oder zur Verabschiedung der Absolventinnen und Absolventen boten und bieten Gottesdienste bislang einen geeigneten Rahmen. Ähnliches galt für den letzten Schultag vor Weihnachten. Bis zum Beginn der Corona-Krise war die Zahl der Gottesdienste hoch, aber es gab bereits kritische Stimmen, die anmerkten, dass das Anliegen der Gottesdienste nicht mehr von der ganzen Schulgemeinschaft geteilt werden könne. Tatsächlich stellt sich angesichts der wachsenden Zahl von konfessionslosen und nichtchristlichen Schülerinnen und Schülern (sowie ebensolchen Lehrpersonen und Eltern) die Frage, ob christlichen Rituale, die bis 2020 eine kleine Renaissance erlebten, noch die gemeinschaftsbildende Funktion haben, die ihnen vielfach zugesprochen wird. Interreligiöse Feiern lösen dieses Problem nicht, denn Konfessionslose finden auch in ihnen keinen Ausdruck für ihre Distanz zu jeglicher Religiosität. So wurden Personen, die einen Schulgottesdienst vorbereiteten, gebeten, mit Rücksicht auf Menschen ohne religiöse Orientierung auf bestimmte liturgische Elemente im Gottesdienst zu verzichten – oder diese zumindest anders zu benennen.

Ist aber ein Gottesdienst, der auf eine biblische Lesung, auf Gebete und einen Segen verzichtet, noch ein Gottesdienst? Eine spirituelle Handlung in einer christlichen Kirche kann kaum aller christologischen Aussagen, die zum Weihnachtsfest gehören, entkleidet werden, ohne seinen Markenkern zu verlieren. Andererseits sind Menschen aller Generationen gerade in der Weihnachtszeit und vor dem Jahreswechsel für Angebote des Innehaltens und der Besinnung offen. Ein Verzicht auf ein Ritual ist also ebenso wenig denkbar.

Es ist also eine Überlegung wert, ob der vorweihnachtliche Wunsch nach Frieden, Gemeinschaft und Stille nicht in einer säkularen Liturgie aufgenommen werden könnte, die Christinnen und Nichtchristen verbindet und nicht trennt. Die Implementierung eines solchen jährlichen Rituals kostet zwar Mühe und Überzeugungskraft und dauert möglicherweise mehrere Jahre. Vielleicht müssen Skepsis und Widerstände überwunden werden. Der Aufwand und die Zeit sind aber gut investiert. Einige Vorschläge zur Gestaltung für die Zeit nach der Corona-Krise:

  • Momente der Stille, Eine Klangschale wird angestoßen. Alle Mitglieder der Schulgemeinschaft kommen zur Ruhe.

  • Rückschau: Nach einer Begrüßung (z. B. durch eine Schülerin oder einen Schüler) kommen einzelne Mitglieder der Schulgemeinschaft zu Wort. Sie erzählen von prägenden Erfahrungen des Jahres.

  • Gedenken: Es wird der verstorbenen Mitglieder der Schulgemeinschaft gedacht. Ihre Namen werden verlesen. Statt eines Gebetes wird ihrer schweigend gedacht. Menschen, die (wegen einer Lebenskrise in der Familie) in Sorge sind, werden gestärkt.

  • Erinnerung: Wie war Weihnachten bei uns früher? Wie wurde das Fest in einer früheren Heimat begangen? Großeltern oder Urgroßeltern berichten von Weihnachtsfesten vergangener Jahrzehnte, Eltern mit Migrationsgeschichte schildern ein Weihnachtserlebnis aus ihrem Herkunftsland.

  • Elemente kollektiver Erinnerung an Narrative, die uns verbinden: Die Weihnachtsgeschichte könnte verlesen werden. Auch Texte anderer religiöser Traditionen werden präsentiert.

  • Ritual: Die ältesten Schülerinnen und Schüler, die sich nun vor allem um ihre Abschlussprüfungen kümmern werden, übergeben ein Licht an die jüngsten Jahrgänge.

  • Das gemeinsame Weihnachtslied oder ein Mottolied der Schule wird gesungen. Ein gemeinsamer Gesang will in den ersten Jahren vielleicht nicht gelingen, aber gerade dieser Teil eines vorweihnachtlichen Rituals wird nachhaltig in Erinnerung bleiben.

  • Abschied und gute Wünsche für das neue Jahr. Dies ist der Ort, an dem die Schulleiterin oder der Schulleiter ihre oder seine Abschiedsworte spricht.

9 Eine Anfrage: Religionsunterricht ist keine „Kommunikation des Evangeliums“

Das EKD-Grundsatzpapier bedenkt den Religionsunterricht vor allem aus kirchlicher Sicht. Zu wenig nimmt es den Blickwinkel der staatlichen Schule ein und argumentiert für den Religionsunterricht zu wenig vom Bedarf der Schülerinnen und Schüler aus. Religionsunterricht ist nicht in erster Linie ein kirchliches, sondern ein schulisches Handeln. Gäbe es nur ekklesiologische Argumente für den Religionsunterricht, dann müsste er – wie vielfach gefordert – aus der Schule ausgegliedert werden. Religiöse Bildung im Kontext der Schule kann und muss aber aus dem Bedarf der Kinder und Jugendlichen und aus dem Auftrag der Schule heraus begründet werden.

Das EKD-Papier springt an dieser Stelle zu kurz. Am deutlichsten wird das, wenn die kirchliche Bildungsarbeit als Teil der “Missio Dei“, also des göttlichen Auftrags, angesehen wird, mit dem die Kirche an die Welt gewiesen ist. Dieser Begriff wirkt im Kontext des Religionsunterrichts verstörend und ist problematisch.

  • Es ist nicht ratsam, kirchliche Bildungsangebote in die Nähe einer wie auch immer zu verstehenden „missionarischen Kirche“ (S. 86 ff.) zu rücken. Kirchliche Texte müssen Begriffe vermeiden, die bei Kirchenfernen und Kirchenkritischen unweigerlich zu Missverständnissen führen. Das Wort Mission wird heute mehr denn je mit dem Versuch assoziiert, Menschen anderer religiöser Überzeugungen von der eigenen Wahrheit zu überzeugen. Wenn kirchliche Bildung dialogisch und diskursorientiert sein soll, darf von dem (theologisch ursprünglich unverdächtigen) Wort Mission nicht mehr die Rede sein.

  • Zusätzlich ist die Mitarbeit der Kirche am Bildungsauftrag der staatlichen Schule von den kirchlichen Bildungsanstrengungen zu unterscheiden, die sie in eigener Verantwortung übernimmt, sei es in der Elementarpädagogik, der Konfirmandenarbeit oder der Erwachsenenbildung. Ob bezüglich der Erwachsenenbildung, der Kindertagesstätten und der Konfirmandenarbeit wirklich von „Missio Dei“ die Rede sein sollte, sei dahingestellt. Für den Religionsunterricht ist dieser Ausdruck eindeutig unpassend.

Auch der Begriff der „Kommunikation des Evangeliums“ (S. 90) ist nicht hilfreich. Er taugt ebenso wenig als Leitbild für den Religionsunterricht. Die folgende Zusammenfassung eines kirchlichen Bildungsverständnisses birgt insofern sowohl theologisch Wertvolles als auch Problematisches: „Bildung ist insofern eine missionarische Chance, muss aber gerade in dem Bewusstsein praktiziert werden, dass die Gewinnung von Überzeugungen unverfügbar ist und dass die Wahrnehmung von Bildungsverantwortung dem Überwältigungsverbot unterliegt. (S. 98)

10 Zum Schluss: Die Sprache

Zweifellos richtet sich das EKD-Papier nicht an Konfessionslose. Und doch wäre es lohnenswert gewesen, die theologische Sprache vor der Veröffentlichung mit der Brille des nicht theologisch vorgebildeten Lesers oder der nicht kirchlich beheimateten Leserin zu prüfen. Es spricht nicht in allen Kapiteln eine Sprache, die auch von denen verstanden wird, die in kritischer Distanz zur Kirche stehen und keine religiöse Lebenspraxis wünschen. Die Begriffe „epistemische Demut“ und „transformativer Richtungssinn“ (S. 82) kleiden wertvolle Überzeugungen in eine Sprache, die keine Allgemeinverständlichkeit beanspruchen kann.

11 Ganz zum Schluss: Eine Bitte von Religionslehrpersonen an das Fach Allgemeine Ethik

Der Religionsunterricht soll offen sein. Keinesfalls darf er religiöse Einstellungen voraussetzen oder erwarten. Er beschäftigt sich deshalb auch ernsthaft mit der Kritik an sich selbst, also mit historischen und gegenwärtigen Anfragen an Glauben und Kirche.

Entsprechendes wünschen sich Religionslehrerinnen und Religionslehrer auch vom Ethikunterricht. Ebenso wie der Religionsunterricht möge er ergebnisoffen angelegt sein. Auch das Ersatz- oder Wahlpflichtfach Ethik darf Schülerinnen und Schülern das kulturelle Welterbe der Religionen nicht vorenthalten und möge dabei einseitige Betrachtungen vermeiden. „Der Themenkreis „Religion/Religionen“ im Ethikunterricht sollte nicht einseitig religionskritisch grundiert werden.“ (S. 114) und religiösen Deutungsmustern die ihnen gebührende Wertschätzung entgegenbringen.

Bei der Beschäftigung mit Fremdreligionen wünschen sich Religionslehrpersonen das Wissens- und Dialogniveau, das für den Religionsunterricht gilt. Soweit für Schülerinnen und Schüler anderer religiöser Orientierung kein islamischer, alevitischer oder jüdischer Religionsunterricht erteilt wird, kann sich der Ethikunterricht nicht von der Aufgabe dispensieren, sich mit den Fragen und Orientierungen seiner Schülerinnen und Schüler zu beschäftigen, auch wenn sie religiöser Natur sind.

Horst Heller ist Pfarrer der Evangelischen Kirche der Pfalz und leitet das Religionspädagogische Zentrum im saarländischen St. Ingbert