1 Ausgangslage

Der vorliegende Beitrag fasst meine Prototypentwicklung zur Gameanalyse zusammen, die ich im Rahmen der Poster Session auf der gemeinsamen Jahrestagung von AKRK und GwR 2021 in Trier präsentieren durfte. Es handelt sich um einen Einblick in mein laufendes Dissertationsprojekt unter dem Arbeitstitel „Forschend-entdeckendes Lernen in Games zwischen Digitalität, Religiosität und Digital Literacy“. Mittels hermeneutischer Konzeptentwicklung erforsche ich u.a. Potentiale der Verwendung von Games in Lehr-Lern-Prozessen zur Förderung von Digital Literacy. Die Analyse vorliegender Games bildet dabei einen grundlegenden Baustein für meine Forschung sowie die unterrichtliche Praxis. Andere (pop-)kulturelle Erzeugnisse, wie etwa Bilder, Filme oder Musik, haben sich mitsamt ihrer je distinkten Methodik in der Religionsdidaktik etabliert (vgl. exemplarisch Burrichter & Gärtner, 2014; Feichtinger, 2014; Lindner, 2014). Für Games lässt sich dies trotz jüngerer Veröffentlichungen (vgl. Piasecki, 2017; Zirpel, 2018; Leisten, 2020) und einer geschaffenen Basis (vgl. Köhler-Goigofski & Scholtz, 2006; Haack, 2010; Waltemathe, 2011) gegenwärtig noch nicht feststellen. Palkowitsch-Kühl unterstreicht diesen Umstand mit seinem konkreten Forschungsdesiderat: „Für die Integration digitaler Spiele in (religiösen) Bildungskontexten wäre sicherlich die Erforschung einer spezifischen Analysemethode für Lehrkräfte gewinnbringend, um mit dieser gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern digitale Spiele auf ihren religiösen Hintergrund zu hinterfragen“ (2017, S. 10). Diesem Aufruf folgend nutze ich Erkenntnisse aus dem Game Design zur Entwicklung einer Gameanalyse.

2 Forschungsstand

2.1 Begriffsklärung

So vielfältig wie die digitalen Artefakte, die unter dem Sammelbegriff Game subsummiert werden, so widersprüchlich erscheinen die vorliegenden Definitionen davon, was ein Game als solches ist. Statt in der Aporie zu verharren, bilde ich eine Synthese aus den Betrachtungen von Salen und Zimmerman (2004), Mäyrä (2008), Schell (2020), Juul (2005), Beil (2013), Freyermuth (2015) sowie Egenfeldt-Nielsen, Smith und Tosca (2020), sodass ich für meine Forschung folgende Definition nutze:

Games sind bedeutungsvolle, kontextbezogene und interaktive Problemlöseaktivitäten, die aufgrund ihres hybriden Charakters transmediale Spiel- und Lernwege befördern können.

Ebenso umfassend gestaltet sich auch der analytische Blick auf den digitalen Untersuchungsgegenstand, der mehrperspektivisch und methodisch geleitet erst für den Forschungszugriff und anschließend für Lehrende und Lernende zugänglich gemacht wird.

2.2 Game Design Modelle

Ich nehme im Folgenden auf vier Modelle der Gamebetrachtung Bezug. Die meinerseits vorgenommene treppenförmig aufsteigende Anordnung (s. die untenstehende Abbildung) dient vorrangig der Ausdifferenzierung und Systematisierung, da die ersten drei Modelle zeitlich parallel und unabhängig voneinander entwickelt wurden. Erst Freyermuth greift mit seiner Pentade ausdrücklich auf Schells Tetrade zurück und übernimmt von ihm auch die Nomenklatur (Freyermuth, 2015, S. 221–227).

Mäyrä unterscheidet dyadisch zwischen dem Kern aus Gameplay mit Regeln und technischen Grundlagen sowie der Schale, die das Game als Kommunikationsschnittstelle nach außen den Spielenden gegenüber repräsentiert (2008, S. 17–18).

Als Akronym verbreitet und in der Triade miteinander verschränkt legen Hunicke, LeBlanc und Zubek ihr Modell zum gegenstandbezogenen Austausch zwischen Entwickelnden, Spielenden und Forschenden vor (2004). Mechanik fasst Gamebestandteile zusammen, die Mäyrä im Kern verortet, und Ästhetik berücksichtigt die Wirkung auf die Spielenden. Dynamik differenziert als Additum das Laufzeitverhalten des Games aus, welches abhängig von den Spielenden, ihren Interaktionen und den zuvor betrachteten Daten und Algorithmen das Game verschiedentlich wirken lässt (Hunicke, LeBlanc & Zubek, 2004).

Die namensprägende Tetrade übernimmt im Wortsinn zwei Elemente – Mechanik sowie Ästhetik –, benennt mit ‚Technologie‘ Bestandteile, die andernorts Dynamik genannt werden, und ergänzt die explizite Untersuchung einer Story (Schell, 2020, S. 97–103). Was trivial anmuten könnte, zeigt sich vor dem Hintergrund einer langanhaltenden Debatte um Ludologie vs. Narratologie innerhalb der Game Studies als Durchbruch (eine detaillierte Darstellung des Diskurses findet sich bei Freyermuth, 2015, S. 209–212 sowie Egenfeldt-Nielsen, Smith & Tosca, 2020, S. 224–226). Games entfalten einen Spielraum, in dem sie en passant während der Interaktion mit den Spielenden Stories ko-konstruieren (Schell, 2020, S. 404–406).

Inkrementell entwickelnd ergänzt Freyermuth mit Transmedia ein fünftes Element, sodass Games einerseits auf die Integration weiterer Medienformate hin untersucht und andererseits auch inhaltsgleiche Darstellungen über Mediengrenzen hinweg mittels der Pentade berücksichtig werden können (Freyermuth, 2015, S. 226–227).

3 Entwicklung eines Prototyps

Den Staffelstab von Freyermuth aufgreifend setze ich die Entwicklung fort und erweitere das Modell zu einer Hexade. Alle fünf Perspektiven – je separat eingenommen – vervollständigen das Gesamtbild des untersuchten Games. Eine abschließende Gesamtbetrachtung mitsamt Berücksichtigung möglicher Wechselwirkungen fehlte bislang. Dabei zeichnen sich gerade Games durch ihr Proprium der Mechanik aus. Alle übrigen Elemente lassen sich beispielsweise auch im Film antreffen, sodass Schell die Mechanik sogar als das „Herzstück des Spiels“ (2020, S. 230) bezeichnet. Will eine Gameanalyse sich nicht auf einzelne Aspekte beschränken, so bleibt sie bis zur abschließenden Reflexion, die alle Ergebnisse aus den Teilbereichen umfasst, unvollständig. Harmonische Beziehungen und deren Gegenteil offenbaren sich etwa in der Synopse aus Mechanik und Story, sodass Hocking für eine gegenläufige Wirkung den Begriff der „ludonarrativen Dissonanz“ (2007) bis heute prägt. Die Verschränkung aus Analyse und Reflexion, die sich im Inkrement zur Hexade hin niederschlägt, stützt sich ebenfalls auf die Strategie der KMK, die „Analysieren und Reflektieren“ (2016, S. 18) ausdrücklich als eine der sechs digitalweltbezogenen Kompetenzen zusammenfasst. Insgesamt entsteht aus der sechsteiligen Zusammenstellung ein Brennglas mit dem zu analysierenden Game im Zentrum der Hexade, sodass es mehrperspektivisch analysiert wird. Abb.1: Genese des Prototyps

4 Ausblick

Der vorliegende Prototyp wird im Rahmen meiner weiteren Forschung erprobt und weiterentwickelt, indem er um Leitfragen – nicht zuletzt auch für den praktischen Einsatz in Lehr-Lern-Prozessen – erweitert wird. Besonders für eine unterrichtliche Verwendung erscheint mir eine kompakte Fassung ähnlich einer Placemat-Vorlage erfolgversprechend. Ziel dieses Forschungszwischenproduktes ist es einerseits, im Sinne der kulturhermeneutischen Aufgabe der Religionspädagogik „nicht nur die Texte der Überlieferung, sondern auch die Kultur der Gegenwart auszulegen“ (Schweitzer, 2006, S. 269). Andererseits zielt die Förderung von Digital Literacy auch auf die Förderung von Lese- und Schreibkompetenzen der Lernenden, sodass produktionsorientierte Bestandteile in die Konzeptentwicklung integriert werden, damit die Potentiale des Lernens mit und über Games vielfältige Früchte in Form von selbstgestalteten digitalen Artefakten bringen.

Literaturverzeichnis

Beil, B. (2013). Game Studies. Eine Einführung. Berlin: LIT.

Burrichter, R. & Gärtner, C. (2014). Mit Bildern lernen. Eine Bilddidaktik für den Religionsunterricht. München: Kösel.

Egenfeldt-Nielsen, S., Smith, J. H. & Tosca, S. P. (2020). Understanding Video Games. The Essential Introduction (4. Aufl.). New York: Routledge.

Feichtinger, C. (2014). Filmeinsatz im Religionsunterricht. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Freyermuth, G. S. (2015). Games. Game Design. Game Studies. Eine Einführung. Bielefeld: transcript.

Haack, A. (2010). Computerspiele als Teil der Jugendkultur. Herausforderungen für den Religionsunterricht. Erlangen: CPV.

Hocking, C. (2007). Ludonarrative Dissonance in Bioshock. The problem of what the game is about. URL: https://clicknothing.typepad.com/click_nothing/2007/10/ludonarrative-d.html [Zugriff: 28.10.2021].

Hunicke, R., LeBlanc, M. & Zubek, R. (2004). MDA: A Formal Approach to Game Design and Game Research. URL: https://users.cs.northwestern.edu/~hunicke/MDA.pdf

[Zugriff: 28.10.2021].

Juul, J. (2005). Half-Real. Video Games between Real Rules and Fictional Worlds. Cambridge, MA/London: MIT Press.

Köhler-Goigofski, K.-D. & Scholtz, C. P. (2006). Computerspiele im Religionsunterricht. Rahmenbedingungen, Ziele und Methoden für den Einsatz eines neuen Mediums. Theo-Web. Zeitschrift für Religionspädagogik, (5), S. 295–308.

Kultusministerkonferenz (KMK). (2016). Bildung in der digitalen Welt. Strategie der Kultusministerkonferenz. Berlin: KMK.

Leisten, S. (2020). Wer will ich sein? Ethisches Lernen an TV- und Videospielserien sowie Let’s Plays. Marburg: Schüren.

Lindner, H. (2014). Musik für den Religionsunterricht. Praxis- und konzeptorientierte Entfaltungen. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

Mäyrä, F. (2008). An Introduction to Game Studies. Games in Culture. London: SAGE Publications.

Palkowitsch-Kühl, J. (2017). Digitale Spiele. URL: http://www.bibelwissenschaft.de/stichwort/100277/ [Zugriff: 28.10.2021].

Piasecki, S. (2017). Credere et Ludere. Glauben und Spielen: Computer- und Videospiele aus religionspädagogischer Perspektive. Baden-Baden: Tectum.

Salen, K. & Zimmerman, E. (2004). Rules of Play. Game Design Fundamentals. Cambridge, MA: The MIT Press.

Schell, J. (2020). Die Kunst des Game Designs. Bessere Games konzipieren und entwickeln (3. Aufl.). Frechen: mitp.

Schweitzer, F. (2006). Religionspädagogik. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus.

Waltemathe, M. (2011). Computer-Welten und Religion: Aspekte angemessenen Computergebrauchs in religiösen Lernprozessen. Hamburg: Verlag Dr. Kovač.

Zirpel, T. (2018). Computerspiele im Religionsunterricht als Beitrag zum Dialog mit jugendlichen Lebenswelten. Münster: Münsterscher Verlag für Wissenschaft.

Simon Kluge, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Informatik und Promovend an der Theologischen Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen.