Eingangsmusik: „Ein feste Burg ist unser Gott“ (Jazz-Version)

Thematische Einführung1

  • „Ich lebe vegan – und du?“

  • „Ich finde, man kann nur noch mit Genderstern schreiben, völlig alternativlos – siehst Du doch bestimmt auch so, oder nicht?“

  • „Man braucht doch keine Kirche, um zu glauben! Oder siehst Du das anders?“

  • „Bist Du für die Ukraine oder für Russland?“

  • „Glaubst Du an den Schöpfungsbericht?“


Das sind doch einfache Fragen – kannst Du darauf auch einfache Antworten geben? Hop oder top, schwarz oder weiß?

Kurzum: Bist Du kompetent, Dich klar zu positionieren? Die Bibel ist doch schließlich auch sehr klar!

Gemeinsames Psalmengebet: Psalm 1 (BasisBibel)

Zuspitzung

Das ist eine provokante Gegenüberstellung im Psalm, eine klare Kontrastierung:

Gerechte hier, Gottlose dort. Sünder versus Fromme. Verwelken auf der einen Seite, Fruchtbringen auf der anderen. Bestehen im Gericht versus Nichtbestehen.

Zwei Alternativen sind hier aufgerufen, ähnlich wie in Josua 24 (Landtag zu Sichem): Gott oder Götze – auf wessen Seite stehen wir? Auf welcher Seite stehst Du? „Sag mir, wo du stehst!“

Liedeinspieler: „Sag mir, wo du stehst“ (Oktoberklub)

Impuls

So reizvoll solche Schwarz-Weiß-Zeichnungen sein mögen – die Welt ist doch komplexer!

Gewiss, eine klare Entscheidung kann möglich, ja geboten sein. Davon zeugt die Bibel immer wieder: In Psalm 1, in Josua 24, aber auch in 1. Könige 18, diesem spektakulären „Showdown“ am Karmel. Nach Karl Ernst Nipkow ist die Frage nach „Gott oder Götze?“ dabei die entscheidende, die „elementare Struktur“ des Textes („Wie lange hinket ihr auf beiden Seiten?“).

Zugleich zeugt die Bibel selbst aber auch von Ambiguität: Neben solchen Stellen mit eindeutigem Entweder/Oder finden sich solche, die von weniger Eindeutigkeit berichten, etwa Galater 2 (Meinungsdifferenzen Petrus-Paulus).

RU-Lehrkräfte sind, wie Christen allgemein, regelmäßig herausgefordert zur Positionierung – zur Stellung-Nahme: Ja oder Nein, hop oder top, schwarz oder weiß.

Nicht minder groß ist für sie aber zugleich die Herausforderung, inmitten aller Sachfragen das Prinzip der Ambiguität sowohl selbst im Blick zu behalten als auch – gerade in der Schule – es anderen nahezubringen. Es gibt eben nicht nur schwarz und weiß, immer und überall, sondern enorm viel dazwischen. Nicht nur ein Scheideweg bestimmt dann die Situation, der zur Linken oder Rechten weiterführt, sondern mitunter ganz andere, ebenfalls gangbare Wege „im Dazwischen“. Vielleicht sind sie schwerer zu finden im unwegsamen Gelände, vielleicht auch deutlich anstrengender, aber gangbar und vielleicht sogar geboten.

Das Primärziel in puncto Positionalität ist es daher doch, selbst begründete, differenzierte Positionen einzunehmen und andere zu „empowern“, dies ihrerseits ebenfalls zu tun – ganz gleich, ob mir ihre Position nahesteht oder nicht. Vielfalt und Diversität sollte es nicht nur in Aufsätzen und Leitlinien geben, sondern sie sollten gelebte Praxis sein – Praxis, die mit Spannungen zu leben imstande und willens ist! Auch, ja gerade bei Reizthemen, die kontrovers diskutiert werden, könnte der RU ein echter „safe space“ sein – und damit „Religion“ in der Schule ein Leuchtfeuer. Was könnte dabei letztlich mehr erreicht werden, als dass allen Beteiligten klar wird: „Ich darf meine eigene Meinung haben zur Klimafrage, zu Ernährungsthemen, zu gesellschaftspolitischen und

-ethischen Themen…“ und das ggf. im Widerspruch zur Lehrkraft, lediglich um den Preis, dass alle die Positionen anderer respektieren und es aushalten, dass ihre eigene nicht von allen geteilt wird!

In der Theorie sind wir längst soweit – doch wie steht es um die Praxis? Wieviel Beinfreiheit wird da dem Individuum zugestanden – und wieviel Flexibilität? Meine heutige Position kann sich morgen schon weiterentwickelt haben – und die meiner Nächsten ebenfalls. Vielleicht ist es an der Zeit, ausgetretene Pfade zu verlassen, alternativlose Wege gar nicht erst anzutreten, sondern vertrauensvoll neue Wege zu gehen. Dazu lade ich ein!

Lied: „O komm, du Geist der Wahrheit“, 1-3 („Lieder zwischen Himmel und Erde“)

Gebet

Allmächtiger, ewiger Gott,

der Du in Deiner Geschichte mit uns Menschen Position bezogen hast: für Sünder und Gottlose, für Schwache und Angefochtene, für Verlorene und Verzweifelte,

wir bitten Dich:

  • um die Kraft, wohlüberlegt und begründet Positionen zu beziehen, die den vielen Schattierungen des Lebens gerecht werden,

  • um die Weisheit, andere dabei zu unterstützen, ihre eigenen Positionen in Freiheit zu finden, einzunehmen und zu begründen,

  • um den Mut, neue Wege zu gehen und dabei Dich im Blick zu behalten, der selbst Weg, Wahrheit und Leben ist.

Zu Dir beten wir, wie Jesus seine Jünger zu beten gelehrt hat: Vater unser im Himmel…

 

Lied: „Vertraut den neuen Wegen“, 1-3 (EG 395)

Segen

Ausgangsmusik: „Verleih uns Frieden“ (Jazz-Version)

Dr. Jonathan Kühn, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Praktische Theologie und Religionspädagogik der Humboldt-Universität zu Berlin.

  1. Die am 11.09.2022 in Erfurt gehaltene Andacht ist hier in einer überarbeiteten Fassung wiedergegeben.