1 Präludium

Die französische Schriftstellerin mit marokkanischen Wurzeln Lëila Slimani begibt sich im Rahmen eines Kunstprojektes für eine Nacht allein in das venezianische Museum für moderne Kunst Punta Della Dogana. In dem Buch „Der Duft der Blumen bei Nacht“ verarbeitet sie ihre Erfahrungen während dieser besonderen Nacht, in der sie sich im Gegenüber zu den Kunstwerken herausgefordert sieht, alle bisherigen Verortungen und Positionierungen ihres Lebens von diesem ungewohnten Standpunkt aus in neuer Perspektive wahrzunehmen, zueinander ins Verhältnis zu setzen und sich einem schmerzlichen Prozess der Bewusstwerdung der eigenen Haltungen, Überzeugungen und Sehnsüchte auszusetzen. An einer Stelle heißt es:

„Da bin ich nun, allein im Herzen der Dogana, Königin in meinem Reich ohne Bewohner, ohne Licht und ohne Leben. Ich irre von Saal zu Saal, ohne Ausweispapiere vorzuzeigen, ohne Gründe anzugeben, ohne mich zu erklären. Ich habe die Macht über dieses Territorium übernommen, ich habe den Lauf der Dinge umgekehrt, ich lebe bei Nacht und werde im Morgengrauen schlafen gehen. Ich muss niemandem Rechenschaft ablegen. Mein ganzes Leben lang hatte ich das Gefühl, nicht der Mehrheit anzugehören, mit den anderen keine Schicksalsgemeinschaft zu bilden. Ich habe mich nie an Traditionen und Bräuche gehalten. […] In Marokko bin ich zu westlich, zu frankofon, zu atheistisch. In Frankreich bleibt mir die Frage nach der Herkunft nie erspart […]. Meine Widersprüche waren unerträglich. […] Was mich lange beschäftigt hat, ist die Frage, ob man ohne feste Verankerung, ohne Fundament, auf dem man ruht, schreiben kann. […] Was hat man zu erzählen, wenn man das Gefühl hat, nirgendwo herzukommen? […] Niemals ganz von hier, nicht mehr ganz von dort, habe ich mich lange jeder Identität beraubt gefühlt. Auch wie eine Verräterin, weil es mir nie gelang, die Welt, in der ich lebte, vollständig anzunehmen. Es waren immer die anderen, die für mich entschieden, was ich war.“ (Slimani, 2021, S. 134–140).

Diese Passage berührt viele Topoi der Positionierung und Identitätssuche im „Zwischenraum“ des konflikthaften Kulturkontaktes, die auch sonst vielfältig in der Literatur von Migrant*innen aufgenommen werden (z.B. Stanišić, 2019; Mangold, 2018) und die in den Postkolonial Studies (Castro Varela & Dhawan, 2020) theoretisch reflektiert werden. Andere Abschnitte dieses Buches lassen jedoch darüber hinaus in noch viel differenzierterer Weise erkennen, wie angesichts des herausfordernden Ortes und seiner Artefakte die eigenen Deutungsmuster und Praxen hinsichtlich einer bewussten Neuverortung befragt werden. Es geht ganz wesentlich um nachhaltige Prägungen, die bis zu den festen Positionen der Eltern auf dem heimischen Sofa reichen, um deutungsmächtige Narrative und Zuschreibungen, um die Stimmen der anderen, in denen sich das Eigene spiegelt und die das Selbstverständnis wesentlich mitbestimmen, um starke Gefühle, die die Selbstverortung in der Welt und die Bewegungen in ihr lenken, und schließlich um die Rolle der Religion und vor allem der Literatur bei der Suche nach dem Fundament, das trägt. Die eigene Positionierung erfolgt dann im fiktionalen Raum des eigenen Schreibens, das sich von den Fremdzuschreibungen zu lösen versucht: „Beim Schreiben entdeckt man die Freiheit, sich selbst zu erfinden und die Welt zu erfinden.“ (Slimani, 2021, S. 15). Die Facetten des Bewusstwerdens der eigenen Prägungen und Haltungen, die Wahrnehmung der Prozesse von Konstruktion und Dekonstruktion bei der Suche nach dem eigenen Standpunkt sowie die Entdeckung von Möglichkeitsräumen der Deutung und Entfaltung der eigenen Position im Spannungsfeld von Fiktionalität und Realität werden im Folgenden indirekt aufgenommen und in religionspädagogischer Perspektive verfolgt.

2 Positionierungsprozesse und Perspektivenwechsel in komplexen Deutungsräumen und Praxen

Slimani führt exemplarisch vor, was es heißt, dass positionelle Selbstvergewisserung immer kontextbezogen erfolgt und „Momente der Irritation“ (Evers, 2022, S. 74) braucht. Diese Dynamik hat Dirk Evers aus systematisch-theologischer Perspektive auch für Prozesse religiöser Bildung in dem jüngst erschienenen Band von Michael Domsgen und Ulrike Witten „Religionsunterricht im Plausibilisierungsstress“ nachdrücklich hervorgehoben. Bei ihm heißt es: Religiöse Positionsfindungsprozesse brauchen Irritation, „weil Religion in ihrem Transzendenzbezug nur dadurch kommunikationsfähig wird, dass sie sich in besonderer Weise irritationsfähig zeigt, dass sie einerseits immer schon von einer durch den Transzendenzbezug bestimmten ‚Position‘ herkommt, andererseits diese Positionalität in einem lebendigen Kommunikationsvorgang immer wieder neu und durch Irritation hindurch gewonnen werden muss“ (Evers, 2022, S. 74). Man könnte zugespitzt sagen: Das Transzendente ist unverfügbar und auf keine Position festzulegen. Es stellt vielmehr eine im Spiegel bestimmter Erfahrungen gedeutete Bezugsgröße und in diesem Sinne einen Ausgangs- oder Zielpunkt der glaubenden Selbstverortung dar. In den religiösen Deutungs- und Kommunikationszusammenhängen bzw. Praxen des Sich-Verhaltens zum Unverfügbaren wird es für den Menschen zu einem kulturell vermittelten Gegenüber, um das durch Irritationen und Zweifel hindurch immer wieder neu gerungen wird. Von daher ist jede religiöse Standortbestimmung, Perspektive und Stellungnahme immer vom Moment des Entzogenen, der Entsicherung, des notwendig Fragmentarischen und Begrenzten durchdrungen.

In die Ausbildung eines differenzierten Wahrheitsbewusstseins im Kontext religiöser Bildung ist korrespondierend eine grundlegende Unterscheidungskompetenz zwischen Gott und Welt einzuzeichnen, die in konfessorischer Rede zwischen Wirklichkeitsdeutung und dem damit verbundenen Wahrheitsanspruch (Meyer-Blanck, 2016, S. 8) unterscheidet bzw. zwischen dem Bekenntnis zu einer erfahrenen oder erkannten Wahrheit und der Wahrheit (Gottes) selbst, die sich uns immer nur partiell erschließt (Plasger, 2022, S. 46).  Dem geglaubten Unbedingten stehen entsprechend die vielfältig bedingten Positionierungen im Verhältnis zu ihm gegenüber. Auch religiöse Positionsfindung bleibt demnach im pluralen Kontext auf Dialog und Diskurs zwischen den sehr unterschiedlichen Positionen angewiesen (Leonhard, 2017, S. 224) und braucht eine Transzendierung des Eigenen auf das Andere hin.

Position und Perspektive bzw. Positionierungsprozesse und Perspektivenwechsel gehören im räumlich konnotierten metaphorischen Feld untrennbar zusammen (Dressler, 2008, S. 74–88; Käbisch, 2014, S. 216–251) und gerade Letztere sind eben nicht statisch, sondern jeweils als dynamisches „relationales Ereignis“ zu begreifen, wobei man sich „innerhalb eines Positionierungsraumes aufeinander zu- oder voneinander wegbewegt“ oder sich an Orientierungspunkten im Raum ausrichtet, um die eigene Position zu finden oder zu beziehen (Fabricius, 2022a, S. 71, 72, 77). Das Sich-Platzieren in Diskursräumen bzw. dialogischen Begegnungsräumen (Fabricius, 2022a, S. 79) wird durch verschiedene Prozesse befördert: Positionen sind – so weit möglich – transparent zu machen, um zu klären, welche mögliche Perspektiven sich von ihnen aus ergeben können bzw. eben auch nicht. Manche Perspektivenwechsel verlangen einen Positionswechsel, andere geringerer Reichweite dagegen gelingen mit leichten Bewegungen im Radius des eigenen Standpunktes. Bestimmte Positionen sind schwerer zu verändern oder gar zu verlassen als andere und man kann die Positionen und Perspektiven anderer immer nur näherungsweise selbst einnehmen (Fabricius, 2022a, S. 82, 84). Zudem sind Binnen- und Außenperspektiven mit Blick auf bestimmte Deutungsräume und Positionierungen in ihnen zu unterscheiden und in bleibender Spannung aufeinander zu beziehen (Dressler, 2012). Entsprechend geht es um angemessene Umgangsformen mit eigener und fremder Positionalität und damit differenz- und grenzbewusst um die Anregung von Perspektivenwechseln. Dazu gehört die Frage: „Wie erscheint der jeweils andere in meiner Perspektive und ich in seiner und wie kann ich diese Differenz in meiner Perspektive wieder verstehen?“ (Evers, 2022, S. 78).

In einem weiteren Schritt ist bewusst zu halten, dass es Positionen im Deutungsgeschehen und in komplexen Praxen nicht einfach an sich gibt, sondern dass sie sich kontextbezogen in Konstruktions- und Dekonstruktionsprozessen ergeben. Sie werden nicht nur einfach frei gewählt, sondern in sozialen und kulturellen Präge- und Aushandlungsprozessen auch zugewiesen oder im Wechselspiel mit Artefakten im Zusammenhang von Diskursen durch Subjektivierungsprozesse gefunden, wie es in gegenwärtigen praxeologischen Zugängen formuliert werden kann (Reckwitz, 2016, S. 23–48). Man positioniert sich und wird positioniert (Roth & Gilly, 2021, S. 9) bzw. Positionen ergeben sich im Spannungsfeld von Selbst- und Fremdbestimmung, Selbst- und Fremdzuschreibung. Das entbindet freilich nicht von der Verantwortung, für den eigenen Standpunkt, wie er sich in den komplexen Wechselwirkungen ergeben hat, wenn gefordert auch gewissenhaft und argumentativ transparent einzustehen (Heimbrock & Kerntke, 2017, S. 25).

In den jüngsten Diskursen zur Positionalität des Religionsunterrichts werden zunächst die Lehrkräfte in den Blick genommen (Fabricius, 2022b). Sie sollen – wie es im Rahmen einer exemplarischen empirischen Studie unter Religionslehrkräften in der EKHN, die von Hans-Günter Heimbrock und Felix Kerntke durchgeführt wurde, heißt – eine „professionsspezifische Fähigkeit zur eigenen Positionierung im Sinne ‚gelebter Konfessionalität‘“ (Heimbrock & Kerntke, 2017, S. 31) ausbilden. Dabei geht es darum, „wie Religionslehrkräfte mit Positionsbildung zu letzt-verbindlichen Fragen für sich persönlich umgehen, wie sie dies als eine Position im Unterricht verstehen und wo sie sie in die Praxis umsetzen“ (Heimbrock & Kerntke, 2017, S. 32). Obwohl andere Studien zeigen, dass Positionalität auch von Lehrkräften zunächst grundsätzlich weitgehend positiv bewertet wird (Zimmermann, 2022, S. 11–13), legt die Studie der EKHN die nicht unerheblichen konkreten Schwierigkeiten vieler Lehrkräfte offen, sich theologisch und sprachlich differenziert in dieser Hinsicht sowohl im Unterricht als auch in der Selbstreflexion zu äußern. Sie bringen vielmehr die Unsicherheiten der je eigenen Positionierung zum Ausdruck. Heimbrock und Kerntke fordern in Reaktion darauf, dass „gelebte Konfessionalität“ gegebenenfalls vor allem im Studium allererst anzuregen bzw. auszubilden sei.

In diesem Zusammenhang sei jedoch aus Deutungsmachtperspektive angemerkt, dass überall dort, wo grundlegende belief systems, Überzeugungssysteme, Haltungen oder ein entsprechender Habitus schon mitgebracht werden, die Veränderungsmöglichkeiten in den Grundpositionen in sekundären Bildungsprozessen realistisch eingeschätzt werden müssen. Denn bei einem komplexen Habitus, der sich auch mit bestimmten Positionen verbindet, geht es um innere Dispositionen, die sich sehr wirkungsmächtig in bestimmten Haltungen, Deutungen, Äußerungen und Handlungen zeigen. Haltungen sind einem Menschen durch Prägung, durch Gewohnheit und Übung, durch Routinen so selbstverständlich geworden, dass das mit ihnen verbundene Handeln weder aus Zufall noch aus Zwang erfolgt, sondern gleichzeitig mit dem Gefühl der Freiheit und Notwendigkeit verbunden ist (Heil & Riegger, 2017, S. 18–21). Da Haltung etwas mit Halt zu tun hat, werden gerade Religionen als eminent haltungsprägend erlebt. Das gilt allerdings auch für andere weltanschauliche Einstellungen, die früh und nachhaltig ausgeprägt werden und das heißt eben auch für die Überzeugungen von konfessioneller Ungebundenheit. Haltungen wird daher auch von religionspädagogischer Seite eine gewisse „Trägheit“ zugeschrieben (Heil & Riegger, 2017, S. 20). Sie sind zwar durch neue Erfahrungen veränderbar, aber immer nur im Verhältnis zu den schon ausgebildeten Dispositionen. In der Regel können also durch die Reflexion oder die Erprobung von neuen Lebensformen Haltungen und grundlegende Positionen eher transformiert als radikal umgestaltet werden.

Dabei ist vorausgesetzt, dass der- oder diejenige, die in Bildungskontexten tätig ist und an der eigenen und der Haltung anderer bzw. an den entsprechenden Positionierungen arbeiten will, sich – so weit möglich – erst einmal selbstreflexiv fragen muss, was die eigene Haltung und die eigene Position ausmacht und welche Prägekräfte das eigene Gewordensein beeinflusst haben. Im Kontext des Religiösen, wie es im EKD-Text zu den grundlegenden theologisch-religionspädagogischen Kompetenzen reflektiert wird, meint das z.B.: „Die eigene, sich lebensgeschichtlich verändernde Religiosität im Kontext der Berufsrolle kritisch reflektieren und darüber Auskunft geben“ bzw. „Sich als Religionslehrerin und -lehrer mit der eigenen religiösen Position religionspädagogisch verantwortlich in den Dialog mit Schülerinnen und Schülern einbringen“ können (EKD-Texte 96, 2008, S. 28). Das lässt sich z.B. in folgende elementare Fragen übersetzen: Welche Form von Religiosität/weltanschaulicher Ausrichtung hat mich geprägt? Welche religiösen Praxen ziehen mich an/stoßen mich ab und warum? Welche lebensdienlichen und lebenshinderlichen Formen von Religion habe ich selbst erlebt oder bei anderen wahrgenommen? Was ist mir so wichtig, dass ich es weitergeben will? Wie verstehe ich meine Berufsrolle und welche Rolle spielt die Religiosität/die Auseinandersetzung mit Religion dabei? Wie verhalte ich mich zu anderen religiösen und nicht-religiösen Positionen und Lebensstilen? Was bedeutet die Institution Kirche für meine Religiosität? Ähnlich sind nach Pirner und Wamser Lehrkräfte im Sinne einer „bildungstheologischen Reflexionskompetenz“ gefordert, die eigenen Überzeugungen zum korrespondierenden pädagogischen Handeln bewusst und kritisch ins Verhältnis setzen zu können (Pirner & Wamser, 2017, S. 118).

Freilich sind bei dem Nachdenken über die Positionalität der Lehrkräfte in professionsorientierter Perspektive immer auch die Positionierungen der Lernenden direkt oder indirekt mit im Blick, die sowohl als Ausgangspunkt von Lernprozessen wahrgenommen werden als auch durch entsprechende Anregungen im Unterrichtsgeschehen irritiert, reflektiert und begleitet werden sollen, indem Positionierungsprozesse und Perspektivenwechsel in dem oben beschriebenen grenzbewussten Rahmen erprobt werden (z.B. Reis, 2022, S. 48–59; Roose, 2022, S. 60–70). Um zu eruieren, wie sich Positionalität bei Jugendlichen in religiösen Fragen empirisch jenseits des Unterrichts in lebensweltlichen Zusammenhängen überhaupt aufbaut und welche Bedingungsgefüge dabei eine Rolle spielen, hat Stefanie Lorenzen anhand der Kategorien „Wirkzentrum“, „Verdichtung“ und „Passungsarbeit“ verschiedene Typen klassifiziert und – wie Slimani im migrantischen Kontext – dabei strukturparallel ein besonderes Augenmerk auf die Positionierungen des In-Between, des Dazwischen im fluiden, changierenden Wechsel zwischen Zuschreibungen religiöser oder nicht-religiöser Positionen gelegt. Der religionspädagogischen Begleitung legt sie vor allem die Arbeit an einer „reflektierten Positionalität“ nahe (Lorenzen, 2020, S. 291–297). Im Folgenden soll nun gezeigt werden, wie über das bisher Gesagte hinaus die Deutungsmachtperspektive zu einer solchen Ausbildung reflektierter Positionalität konstruktiv etwas beitragen kann.

3 Deutungsmachtsensible Wahrnehmung, Begleitung und Reflexion von Positionierungsprozessen im Kontext religiöser Bildung

Es geht dezidiert nicht um die Darstellung eines neuen Ansatzes, sondern grenzbewusst um das Einspielen verschiedener Facetten einer möglichen Deutungsmachtanalyse im Sinne eines weiteren hermeneutischen Bausteins reflektierter Positionierungsprozesse und Perspektivenwechsel im Kontext religiöser Bildung. Denn schon an dem Beispiel von Lëila Slimani scheint auf, dass die eigene Positionierung mit Fragen von Macht und dem Ringen um Deutungshoheit zu tun haben kann. Nicht umsonst hat sie sich als machtvolle Königin in einem Reich inszeniert, in dem ihr keine Positionszuweisung von außen zuwächst, sondern in dem sie sich im Ausnahmezustand weitgehend frei bewegt und dabei in der Erinnerungs- und Konstruktionsarbeit die wirkmächtigen Deutungszusammenhänge ihres Lebens aufruft und auf ihren Einfluss hinsichtlich der eigenen Positionierung befragt. Auch im religionspädagogischen Positionierungsdiskurs wird konstatiert, dass Facetten machtimprägnierter Auseinandersetzungsprozesse in Sprachwendungen wie „‚Position verteidigen‘, ‚Position einnehmen‘, ‚Position rechtfertigen‘, ‚jmd. in eine Position zwingen‘, ‚vereinnahmen‘“ reflektiert werden (Fabricius, 2022a, S. 82).

Der Ansatz der Deutungsmachtanalyse versucht, die latente Machtvergessenheit der Hermeneutik aufzubrechen und jenseits von Herrschaft und Gewalt, die davon sehr deutlich zu unterscheiden sind, die subtilen Prozesse und Strategien zu erfassen, mit denen Deutungen auf etwas hinweisen, die Aufmerksamkeit und den Blick lenken und Geltungsansprüche explizit und implizit kommunizieren. Dieses Programm veranschaulicht das Logo des DFG-Graduiertenkollegs 1887 „Deutungsmacht. Religion und belief systems in Deutungsmachtkonflikten“ in Rostock, das den stark vergrößerten Finger von Johannes dem Täufer aus dem Isenheimer Altar zitiert und damit die Verbindung von Blicklenkung und Geltungsanspruch von Deutungen symbolisiert (https://www.deutungsmacht.uni-rostock.de).

Der Ansatz der Deutungsmachtanalyse verbindet dabei verschiedene Dimensionen der Macht und bezieht diese explizit auf Deutungsvollzüge (Stoellger, 2014, S. 1–85). Es wird gefragt, wer die Macht zur Deutung hat und vor allem, wie Deutungen durch ihre besonderen Strategien selbst Macht entfalten können (Stoellger, 2014, S. 13–85; Kumlehn, 2019, S. 6–11). D.h., es werden personelle und institutionelle Formen der Akteursmacht mit Formen modaler Macht verknüpft, wobei sich modale Macht im Kontext von Deutungsmacht als besonders relevant erweist. In einer spezifischen Deutung der Machttheorie Michel Foucaults wird modale Macht vorrangig unter dem Aspekt der Ermöglichung beziehungsweise Verunmöglichung im Sinne von potentia in den Blick genommen (Gehring, 2016, S. 86–91). In der modalen Perspektive organisiert Macht demnach Strukturen des Möglichwerdens von etwas und das Gegenteil im Sinne des Unmöglichmachens von etwas. Im Kontext von Deutungsmacht arbeitet modale Macht an unseren semantischen und pragmatischen Ordnungen und verschiebt deren Grenzen. Sie arbeitet damit auch an Grenzverschiebungen des für möglich oder unmöglich Gehaltenen (Stoellger, 2014, S. 26–28; Kumlehn, 2019a, S. 8–9). Modale Macht zeigt sich daran, ob es gelingt, neue Sichten auf die Welt bzw. Neupositionierungen zu ihr zu ermöglichen. Neben den Diskursen sind Metaphern, Bilder, Mythen und Narrationen Deutungsmachtformationen, die in besonderer Weise neue Perspektiven auf die Weltwahrnehmung eröffnen und diese dadurch neu justieren. Fiktionalität als Eröffnung eines Möglichkeitsraumes der Neu- und Andersdeutung im Sinne eines Experimentalraums der Existenz entfaltet die Spuren modaler Deutungsmacht in exemplarischer Weise (Kumlehn, 2018, S. 300–302; Lauster, 2019, S. 143–165). Denn Fiktionen können unseren Vorstellungshorizont signifikant erweitern, in der Imagination Wahrnehmungsgrenzen verschieben und Selbst- und Weltsichten im Modus des Als-ob erproben. Sie sind sorgfältig – gerade im Sinne einer kritischen Deutungsmachttheorie – auf ihre unterschiedlichen Wirklichkeitsreferenzen einerseits und ihre Abgrenzung von Fakt und Fake andererseits hin zu bestimmen (Kumlehn, 2020a, S. 329–333). 

Wendet man nun Deutungsmachtperspektiven auf das Problem der Positionierung selbst an, könnte man grundsätzlich fragen: Wer bestimmt durch seine Deutungen aufgrund welcher Autorität und welcher institutionellen Verortungen Positionsbildungen wesentlich mit und wie prägen Deutungen mit Hilfe von starken Metaphern und Narrativen Positionsfindungsprozesse. Direkt auf den Positionierungsdiskurs bezogen könnte man aus der Metaperspektive entsprechend fragen: Wer spricht in wessen Namen und in welchem institutionellen Rahmen mit welchem Interesse von der Notwendigkeit zur Positionierung? Warum dieser Begriff? Was lässt er sehen, was verdeckt er – insbesondere im Verhältnis zu den Begriffen der Konfession oder des Konfessorischen? Wo liegen die Unterschiede bzw. semantischen Verschiebungen bei seinem Gebrauch und was wird dadurch im Diskurs ermöglicht oder verstellt? Welche Bilder und Narrative werden in diesem Zusammenhang besonders bemüht? Immer wieder wird z.B. auf das protestantische Urnarrativ von Luthers Auftritt in Worms: „Hier stehe ich, ich kann nicht anders, Gott helfe mir. Amen“ rekurriert (Heimbrock & Kerntke, 2017, S. 25), das im Titel der diesjährigen Kooperationstagung der GwR und des AKGP „Wo stehe ich, wo kann ich anders?“ durch leichte semantische Verschiebung irritiert und damit in seiner latenten, stillen Deutungsmacht in Frage gestellt wird.

Es gehört zur Deutungsmachtanalyse, wahrnehmungsorientiert herauszuarbeiten, warum Deutungen wirkmächtig werden, überzeugen, berühren, aber ebenso auch ihre Anerkennung verlieren können, wenn sie nicht mehr (be-)treffen. Es geht in diesem Sinne im Kontext religiöser Bildung um eine Tiefenbohrung bei der Freilegung von Potentialen religiöser Kommunikationsmodi, die sich anhand der durch sie ermöglichten Perspektivenwechsel, Wahrnehmungslenkungen, Aufmerksamkeitsökonomien, Grenzverschiebungen unserer visuellen und semantischen Ordnungen sowie Um- und Neudeutungen von Wirklichkeit die Alternativen der Wirklichkeitsdeutung erhöhen können. Zugleich ist bei diesen Strategien immer mit zu beachten, was sie „verstellen“, nicht sehen lassen, abblenden, negativ konnotieren, stigmatisieren oder exkludieren.

Auf der Ebene der Dialog- und Urteilskompetenz gilt es dann, die impliziten und expliziten Deutungsmachtansprüche wahrzunehmen und dabei unbedingt auch Deutungsmachtkritik einzuschließen. Es sind vor allem die latenten und offenen Geltungsansprüche kritisch zu reflektieren und im Kontext von Deutungsmachtkonflikten, also im Zusammenhang konkurrierender gesellschaftlicher und religiöser Positionen – nicht zuletzt auch im interreligiösen Kontext – zu bearbeiten. Deutungsmachtsensible Religionspädagogik nimmt nicht nur verschiedene Modelle von Dialoggestaltung und eine mögliche Konsensorientierung in den Blick, sondern auch Formen differenzbewusster Streitkultur (Kumlehn & Wodianka 2022). Von daher wird die kritische Deutungsmachtanalyse in religiösen Bildungsprozessen gerade auch da relevant, wo diese sich im Schnittfeld von gesellschaftlicher, politischer und religiöser Bildung bewegt, weil ein Rückgriff auf religiöse Semantik im politischen Feld eine Deutungsmachtstrategie sein kann, die es zu beachten gilt. Deutungsmachtkonflikte zwischen unterschiedlichen Grundüberzeugungen, Positionen und Wertsetzungen können dabei als anregende religionsdidaktische Potentiale ins Spiel gebracht werden, wie sich nicht zuletzt an Krisenszenarien zeigen lässt.

4 Deutungsmachtsensible (religiöse) Positionierungsarbeit in Krisensituationen

Bei Lëila Slimani hat eine bewusst herbeigeführte krisenhafte Situation zu der Positionierungsarbeit geführt und auch sonst sind Krisen in besonderer Weise dazu angetan, bisher tragende Positionen bewusst zu machen oder neue Positionierungen herauszufordern. Das sieht man exemplarisch schon in der biblischen Tradition. So könnte man nicht nur an den Exodusnarrativen, sondern z.B. auch anhand des Johannesevangeliums in bibeldidaktischer Absicht exemplarische deutungsmachtsensible Beobachtungen integrieren.1 In einer absolut krisenhaften Situation, die sich in scharfer Auseinandersetzung mit der Täuferbewegung, mit der jüdischen Gemeinde und mit Spaltungstendenzen im johanneischen Kreis Ausdruck verschafft, wird im Evangelium um Geltungsansprüche und Deutungshoheit gerungen. Streit spielt eine große Rolle. Angesichts von eigenen Exklusionserfahrungen im Kontext des erzählten Synagogenausschlusses, der in die Zeit Jesu zurückprojiziert wird, werden im Evangelium radikale Stigmatisierungen der anderen, insbesondere der Pharisäer oder „der Juden“ vorgenommen, die in ihrer Wirkmacht in komplexer Weise mit antisemitischer Polemik späterer Zeiten verbunden werden konnte. Jesus Christus wird im Kontext der johanneischen Theologie exklusiv positioniert und zugleich werden vielfältige Positionierungen ihm gegenüber anhand exemplarischer Figuren im inszenierten Spannungsfeld von Sehen – Nichtsehen, Glauben – Nichtglauben angeboten. Wirkmächtige Metaphern und raffinierte Erzählstrategien als besonders intensive Modi religiöser Kommunikation verleihen der johanneischen Deutung auch im konstruktiven Sinne wirkmächtiger religiöser Rede Nachdruck und eröffnen im fiktionalisierten Deutungsraum des Evangeliums neue Perspektiven auf die Jesus Christus-Figur, die unausweichlich zur eigenen Stellungnahme der Rezipient*innen auffordern. Dies wäre sehr viel genauer hinsichtlich möglicher konkreter didaktischer Impulse zu entfalten, stattdessen soll jedoch noch einmal auf religionspädagogisch herausfordernde Positionierungsprozesse im gegenwärtigen krisenhaft verfassten lebensweltlichen Kontext geschaut werden.

Denn der Modus der Krise ist uns nicht nur seit der Moderne überhaupt permanent präsent, sondern verdichtet sich auch für das Erleben heutiger Kinder und Jugendlicher in dramatischer Weise angesichts sich überlappender Krisenszenarien mit offenem Ausgang und Übergängen in die Katastrophe (Kumlehn, 2020c). Der Zusammenklang von Corona und Klimakrise wird entsprechend auch religionspädagogisch aufgerufen (Gärtner, 2020), inzwischen erweitert um die neu nahe gerückte Erfahrung eines Krieges in Europa. Diese Krisen erfordern in höchstem Maße den Abgleich mit bisher tragenden Positionen im Leben, die als Ressourcen dienen können, und verlangen zugleich die Fähigkeit und die Anforderung sich neu zu positionieren.

So haben wir vor allem in der Corona-Krise mächtige Akteure und Institutionen im Spannungsfeld von Expertentum und Politik sowohl in Interaktion als auch im Widerstreit erlebt, wobei insbesondere die Positionierung der Kirchen im Kontext von System- und Lebensrelevanz hochambivalent wahrgenommen und die Deutungsmacht ihrer Stimme erheblich in Frage gestellt worden ist.2 Das könnte mit Blick auf die eigene Positionierung mit Lernenden kritisch aufgenommen und reflektiert werden. Wessen Stimme haben sie in der Krise gehört? Wem bzw. welcher Institution haben sie Vertrauen geschenkt? Wem haben sie geglaubt? Aufgrund welcher Deutungsmuster und Kommunikationsstrategien konnte z.B. Drostens preisgekrönter Podcast „Corona-Update“ für Jugendliche stabilisierende oder gar tröstende Funktionen übernehmen? Welche Geltungsansprüche haben sie wahrgenommen? Die Relevanzrhetorik spielte in vielen Äußerungen, die Gehör finden wollten, eine große Rolle. Sie hat mit apokalyptischen Metaphern, Endzeitvisionen bis zu einem klar erkennbaren prophetischen Redestil die Positionierung zu beeinflussen gesucht (Kumlehn, 2020b).

Im Zentrum einer deutungsmachtsensiblen Erschließung der geforderten und notwendigen Positionierungsprozesse stünden jedoch vor allem die Grundnarrative der Krise, die in ihrer Wirkung von der Ermöglichung des Ertragens der neuen Situation bis zu ihrer destruktiven Leugnung in den Verschwörungsnarrativen inklusive ihrer religiösen Motive reichen konnten. Wirkmächtig war zunächst das Narrativ, also das Erzählmuster, das sich in der Formel „Stay home – stay safe“ verdichtet hat (Kumlehn, 2021). Diese komprimierte Erzählung wurde durch wirkmächtige Bilder unterstützt – z.B. Aufnahmen von Pflegekräften mit dem mit den Fingern symbolisierten Haus über dem Kopf. Zudem hat sich die Grunderzählung in medial vielfach geteilte Narrative von Solidarität und Unterstützung ausgefaltet. Wichtig dürfte auf lange Sicht jedoch sein, auch die Gegen- und Opfererzählungen, deren Stimme man nicht gehört hat, nicht aus dem Blick zu verlieren, insbesondere aus der Perspektive benachteiligter und vernachlässigter alter Menschen, die auf Besuch und Seelsorge in den Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern gewartet haben, oder aus der Sicht von Kindern und Jugendlichen, die angesichts massiver Ungleichheitserfahrungen in existentieller, materieller und ideeller Perspektive, die lange nachwirken, nicht nur, aber auch im Bildungskontext an den Folgen des social distancing zu tragen haben.

In modaler Perspektive wird die Wirkmacht dieser neuen gesellschaftlichen Deutungsformation zu beobachten sein: Wie hat sie unsere Selbstwahrnehmung und unser Zusammenleben nachhaltig verändert, auch wenn jetzt alles im Prinzip wieder möglich ist. Nehme ich Menschen anders wahr? Was hat die Maske als Artefakt im realen und übertragenen Sinne in der Selbst- und Fremdwahrnehmung für deutungsmächtige Verschiebungen hervorgebracht? (Kumlehn, 2022) Welche grundlegenden Werte sind betroffen und werden möglicherweise langfristig umcodiert, was tritt als systemrelevant und lebensrelevant neu ins Bewusstsein und wie wird der Deutungsmachtkonflikt zwischen konfligierenden diesbezüglichen Einschätzungen ausagiert? Wie verhalten sich auch in der Wahrnehmung von Lernenden diese Irritationen unserer Weltwahrnehmung, unseres Selbstverständnisses und unseres Wertesystems zu christlichen Leitvorstellungen von Nächstenliebe, Barmherzigkeit und in welche paradoxen Positionierungsanforderungen hat gerade dieser Bezug geführt, wenn der Verzicht auf Nähe die Fürsorge zum Ausdruck bringen sollte? Wie interagieren Glaube, Hoffnung und Liebe in der Krise? Diese Spannungsfelder konkurrierender Deutungen können religionsdidaktisches Entdeckungspotential der Selbstpositionierung in diesen komplexen neuen Verhältnissen freisetzen. 

Und schließlich reagieren fiktionale Texte, Filme, Podcasts, Blogs, Corona-Tagebücher und andere Erzählformate auf diese Transformationen, verdichten sie, entwerfen neue Perspektiven und lassen uns unsere Wirklichkeit neu sehen. Pandemieerfahrungen haben durch die Zeiten hindurch eine literarisch narrative Verarbeitung angeregt. Erinnert sei diesbezüglich nur an Giovanni Boccaccios „Decameron“ und die hochinteressante Beobachtung, dass Albert Camus’ „Die Pest“ nach Beginn der Corona-Krise in Frankreich wochenlang ausverkauft war, also offensichtlich Menschen von der Lektüre des radikalen existentialistischen Klassikers Vergewisserungs- und Deutungspotential für die gegenwärtige Situation erwartet haben. Mit „Corona“ von Martin Meyer ist sehr schnell eine novellenartige Erzählung im aktuellen Kontext auf den Markt gekommen, die ihrerseits auf biblische Bezüge und die Klassiker der Pandemie-Literatur rekurriert und sie adaptiert. Dabei spielen religiöse Fragestellungen interessanterweise nicht nur in den Ursprungstexten, sondern auch in der lebensweltlichen Reflexion des Protagonisten im Spiegel der Krise eine wichtige Rolle und umkreisen – wie die Äußerungen theologischer Expert*innen in den Feuilletons – vor allem die Theodizee-Problematik im weitesten Sinne, die in religiösen Bildungsprozessen im Zeichen dieser und der anderen großen Krisen relevant bleiben wird bzw. an neuer Wucht gewinnen kann. Die Erfahrungen von Fragmentarität, Verletzlichkeit, Verzweiflung, Angst, Unsicherheit, die sich in der Unverfügbarkeit von Leben, Gesundheit usw. verdichten lassen, gehören zu den Grund- und Grenzerfahrungen, die zu den religiösen Formen des Umgangs mit Leid und einer verantworteten Rede von Gott in diesem Kontext ins Verhältnis gesetzt werden müssen. Zu diesen existentiellen Fragen müssen sich der Religionsunterricht bzw. die Akteur*innen in ihm unausweichlich positionieren. Diese Positionierungen bleiben freilich riskant und vorläufig. Sie verweisen in besonders exponierter Weise auf das von Evers aufgerufene Irritationspotential, dem sich religiöse Deutungen im Horizont des Transzendenten ausgesetzt sehen und das sie zugleich selbst entfalten können.

5 Ausblick

Die Sehnsucht nach einem festen Fundament und nach belastbaren Positionen in Religion und/oder Literatur, von der Lëila Slimani exemplarisch spricht, ist nicht zuletzt in den gegenwärtigen Krisensituationen sehr verständlich. In protestantischer Perspektive ist das feste Fundament im Sinne eines glaubenden Vertrauens, das sich kontrafaktisch angesichts von Sinnabgründen auf Liebe und Hoffnung hin ausrichtet, jedoch selbst unverfügbar und kann in keiner Weise didaktisch operationalisiert werden. Das sollte m.E. bei aller Berechtigung des neu erwachten Nachdenkens über gewünschte oder geforderte Positionalität Lehrender und Lernender als unhintergehbare glaubende und epistemische Bescheidenheit bzw. notwendige Grenzbestimmung bewusst bleiben. Gerade in deutungsmachtsensibler Perspektive, die ihre Aufmerksamkeit auf Aspekte der Wahrnehmungslenkung, auf das Ringen um Geltung und die entsprechenden Strategien im Kontext konkurrierender und konfligierender Deutungen und ihre Beeinflussung von Positionierungsprozessen richtet, werden Irritationen und Relevanzfragen jedoch explizit kommuniziert. Die Einsicht in die Bedingtheit von Positionierungsprozessen hinsichtlich der zugrundeliegenden belief systems, der prägenden Werthaltungen und Dispositionen und der Integration komplexer Deutungsanforderungen kann das Votum für eine grundsätzliche Offenheit von unabschließbaren Positionierungsprozessen in religiösen Kommunikationspraxen als wichtiges didaktisches Element begreifen, um die vielfältigen, zugleich orientierungsbedürftigen und vorläufigen Versuche, sich zu existentiellen Fragen immer wieder neu ins Verhältnis zu setzen, zu unterstützen.

Literaturverzeichnis

Castro Varela, M. & Dhawan, N. (2020). Postkoloniale Theorie. Eine kritische Einführung (3. Auflage). Stuttgart: UTB GmbH; Bielefeld: transcript Verlag.

Büttner, G. & Roose, H. (2007). Das Johannesevangelium im Religionsunterricht. Informationen, Anregungen und Materialien für die Praxis. Stuttgart: Calwer.

Cebulj, Chr. (2017). Johannesevangelium, bibeldidaktisch. URL: http://www.bibelwissenschaft.de/stichwort/100262/ [Zugriff: 01.10.2022].

Dressler, B. (2008). Performanz und Kompetenz. Überlegungen zu einer Didaktik des Perspektivenwechsels. ZPT,60(1), S. 74–88.

Dressler, B. (2012). „Religiös reden“ und „über Religion reden“ lernen. Religionsdidaktik als Didaktik des Perspektivenwechsels. In B. Grümme, H. Lenhard & M. L. Pirner (Hrsg.), Religionsunterricht neu denken. Innovative Ansätze und Perspektiven der Religionsdidaktik (S. 68–78). Stuttgart: Kohlhammer.

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 Dr. Martina Kumlehn, Professorin für Religionspädagogik an der Theologischen Fakultät der Universität Rostock.

1. Im Folgenden wäre eigentlich umfänglich Literatur zum Johannesevangelium zu zitieren. Aufgrund der sehr knappen Skizze in diesem Kontext wird jedoch darauf verzichtet und nur auf die religionspädagogisch einführenden Texte verwiesen: Büttner und Roose, 2007; Kumlehn, 2012 und Cebulj, 2017.

2. Für den folgenden Abschnitt gilt dasselbe wie für das Exemplum des Johannesevangeliums: Auch hier wäre im Sinne einer umfänglichen Entfaltung auf entsprechende Literatur zu verweisen, die inzwischen auch die Corona-Krise vielfältig interdisziplinär analysiert. Aufgrund des eher illustrativen Charakters dieses Abschnitts wird jedoch nur selektiv auf zwei anregende Bände verwiesen: Volkmer und Werner (Hrsg.), 2020 und WBG (Hrsg.), 2020.